»Das alte Heer«
Als neulich einmal ein alter Oberst von einem Freund gefragt wurde, ob er für die Deutschnationale Volkspartei einen politischen Posten bekleiden würde, antwortete er entrüstet: »Sie können doch von mir nicht verlangen, dass ich mich mit einer so linksstehenden Partei einlasse!«
Diese wahre Geschichte charakterisiert am besten die politische Stellung der alten Offiziere. Sie bestätigt, was ich immer und immer gesagt habe: Der Offizier des alten Heeres ist im Grunde ganz und gar unpolitisch, er ist nicht konservativ im Sinne der Partei. (Nur kommt die konservative Partei seinem Fühlen am nächsten.) Er will gar keine Politik, er will seine Machtstellung, und Politik nur soweit, als er dadurch nicht gehemmt wird. Der größte Teil der alten Offiziere verficht heute noch den Grundsatz, einer im Felde unbesiegten Armee angehört zu haben – was also den gemeinsten Vorwurf gegen die eigenen Landsleute bedeutet. Gegen Landsleute, die nicht im Kasino Butter, sondern zu Hause Kohlrüben gegessen haben … Aber es gibt Ausnahmen. Der Hauptmann von Wrochem, der den uniformierten Herren mit dem auswechselbaren Boden der Tatsachen, auf dem sie herumhüpfen, die harte Wahrheit gesagt hat – und vor allem ein schreibender Offizier, der, namenlos geblieben, im In- und Auslande mit seinen Arbeiten, die er in der Weltbühne veröffentlicht hat, großes Aufsehen erregte. Diese Aufsätze liegen jetzt gesammelt vor. (»Das alte Heer« von einem Stabsoffizier, Verlag der Weltbühne, Charlottenburg 1920.)
Dieser Stabsoffizier ist deshalb ein guter Kronzeuge für uns andere Kritiker des Heeres, weil er uns in fast allen Einzelheiten (nicht in seinem Gesamturteil) bestätigt.
Das außerordentlich interessante Buch zerfällt in drei Teile: »Das Räderwerk«, »Die Führer«, »Vor, in und nach dem Kriege«.
Es beginnt mit einer vernichtenden Kritik des preußischen Kadettenkorps und zeigt, wie die junge Pflanze schon als Sproß falsch aufgezogen wurde. Kriegsakademie, Kriegsministerium und Generalstab folgen, und in allen Schilderungen der militärischen Friedenseinrichtungen ist es immer wieder dasselbe Bild: eine Sonderkaste, die von der deutschen Welt nichts weiß und nichts wissen will. (Der Stabsoffizier erwähnt die entzückende Geschichte, wie ein Posten einmal berichtet: »Nachts um zwei Uhr flog aus einem Bordell ein nackter Zivilist heraus.«) Zivilisten? Was war das? Das war eine ziemlich traurige Sippschaft, die die Gelder für die Heeresmaschine zu bewilligen und im übrigen das Maul zu halten hatte. Und wie sah es innerhalb der Heeresmaschine aus?
In ein paar Stellen – besonders im Generalstab und in der Kriegsakademie – wurde von guten Leuten gut gearbeitet. Die Beschränkung auf das Fach war so groß, dass fast alle Urteile, auch die der höchsten Führer, über die Dinge des täglichen Lebens grotesk zu nennen waren. Die Stellung des Militärkabinetts, das vollkommen selbständig und unfehlbar wie der Papst arbeitete, wird mit fesselnden und neuen Einzelheiten belegt. Die Stellung des Frontoffiziers im Frieden war traurig, am traurigsten die des Kompanieführers. Immer in Angst, »abgesägt« zu werden – wie sagte einmal ein inspizierender Regimentskommandeur zu einem Major? »Warum holen Sie nicht mehr aus Ihren Kompanieführern heraus? Die Leute sind doch alle verheiratet!« – Es war ein bitteres Brot. Kompott: gottähnliche Stellung über den Zivilisten.
Die Führerportraits, die der Stabsoffizier aufmalt, sind ungemein fesselnd. Schlieffen, Hindenburg, Ludendorff, der alte Haeseler, die dekorativen Führer: die Fürsten – all diese stehen noch einmal auf. Schmeichelhaft sind die Bilder nicht. Aber für uns um so wertvoller, als sie ein Fachmann gezeichnet hat. Es ist ein wenig Kasinoperspektive in diesen Bildern, aber die räsonierenden Offiziere, die von Stab zu Stab geworfen wurden, waren nicht die unerfahrensten Kritiker. Das Buch ist eine unschätzbare Quellensammlung.
Wie sich dieses Heer im Kriege bewähren mußte, wie es versagt hat und warum es versagt hat, geht aus den Aufsätzen klar hervor. Kastenführer befehligten gepreßte Deutsche. Daran scheiterte es.
Die Einzelheiten dieses Buches sind von seltener Qualität. Seine Gesamttendenz teile ich nicht. Nicht darauf kommt es an, ob Falkenhayn ein kalter Streber war und nur Helfferich Herrn Ludendorff hier und da die Wahrheit andeutete, nicht darauf, dass der alte Haeseler wirklich noch fritzisch war und der Kaiser, dieser erste und letzte Commis voyageur auf dem Thron, die ganze Armee mit seiner überlauten Einschätzung des plumpen Erfolges verdorben hat, nicht darauf, dass der verstorbene Generalstabschef Moltke zu Beginn des Krieges den Vormarsch auf Paris nicht zu lenken verstand, nicht darauf, dass die Etappe verschweint war und die Heimarmee korrumpiert – auf den Geist kommt es an. Und der war schlecht. Daß der Stabsoffizier, dessen Verdienste um die Kritik des alten Militarismus ganz unbestritten sind, die Militärjustiz verteidigt, kann man einem Manne, der unter jenem System in Ehren grau geworden ist, nicht verargen. Daß er dem neuen Heer den Geist des alten wünscht, ist nach diesem Fiasko unverständlich.
Eine solche verständnisvolle, saftige und in allen kleinen Zügen lebensechte Kritik wie diese muß zu einem andern Ergebnis führen.
Lest das Buch – es lohnt sich! Und ihr werdet entgegen dem letzten Kapitel über das neue Heer mit mir zu dem ganz selbstverständlichen Resultat kommen: Nie wieder –!
Ignaz Wrobel
Freiheit, 05.12.1920.