Revolutionswerkstatt
»Revolutionen werden gemacht!« – mit diesem Satz beginnt Emil Barth sein Buch: »Aus der Werkstatt der Revolution« (erschienen in A. Hoffmanns Verlag zu Berlin). Gemacht werden Revolutionen, fährt er fort, nach einer Evolution – und Evolutionen ohne die Existenz schlagkräftiger, energischer, aufopferungsfähiger Männer führen zu nichts, es gibt dann keine Revolution, alles verläuft im Sande … 1918 ists nicht im Sande verlaufen.
Die Schilderung dieser höchst bedeutungsvollen Epoche von Februar bis Dezember 1918 wird, je nach dem Schildernden, immer dieses Bild ergeben: Alle Welt taugte nicht viel, außer mir. Diesen Fehler macht Emil Barth nicht ganz mit – er erkennt die Tätigkeit und die Tüchtigkeit einer Menge Männer an, ohne sie natürlich zu nennen. Denn sie riskierten alle Kopf und Kragen. Die waren wirklich mutig. (Nicht Herr Ludendorff, der zweimal ausriß.) Die setzten wirklich wagemutig alles aufs Spiel – Leben, Familienexistenz, Freiheit und Geld. In den Hinterzimmern von Kneipen, dauernd bespitzelt, beargwöhnt, nie gewiß, ob der Freund nicht morgen zum Verräter werden würde – das sind Helden ihrer Ideen gewesen. Und was kam dann –?
Eine klägliche Enttäuschung. Man muß nur im Buche das Gruppenbild der sechs Volksbeauftragten sehen, um alles zu begreifen. Sind das Köpfe –? (Und es waren noch lange nicht die schlechtesten.) Nein, Köpfe warens nicht. Und außerordentlich schmerzvoll und außerordentlich packend ist die Schilderung, wie leise, leise und unmerklich die ganze Revolution in ein bürgerliches Fest hinübersegelt, wie aus der Volkserhebung eine Organisationssache wird, mit Kompetenzstreitigkeiten, Stempelinschriften und Dienststellen. Von der Krippe zu schweigen, in die die Kindlein sich legen wollten.
Die Novembertage des Jahres 1918 sind vorbei. Da, zum ersten, zum bisher einzigen Mal in der Geschichte Preußens, wehte ein freier Wind in diesem Lande. (Freilich, Herr Meier, die Elektrischen gingen nicht alle!) Da hatte etwas die Massen ergriffen, was nicht nur Phrase war wie in der Augustbesoffenheit des Jahres 1914. Da – zum ersten Mal. Sie wurden schnell wieder nüchtern. Der Preuße kam durch, der Ordentliche, der Brave, der Objektive, der Gerechte, der Abwägende, der, hol ihn der Teufel, der sich Demokrat nennt.
Möglichkeiten – Möglichkeiten! Was hätte da alles geschehen können! Ein, zwei Tage lang hielt die deutsche Welt wirklich den Atem an. Alles lag in der Luft, alles im Bereich der Realität: völlige Zertrümmerung der Bundesstaaten, wirkliche Abrüstung, Herrschaft des Mannes und nicht des Herrn, Trennung von Kirche und Staat – alles, alles. Ein Schritt, ein so kleiner Schritt trennte uns damals von alldem …
Atmet auf. Die Gefahr ist vorbei. Wer weiß, für wie lange Jahre. Als Erinnerung an Schreck und beinah erreichte Seligkeit diene das Buch Emil Barths.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 02.09.1920, Nr. 36, S. 269.