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Der kleine Gessler und der große Grosz

Rösselmann:
Das dürft Ihr nicht, das darf der Kaiser nicht, Das widerstreitet unsern Freiheitsbriefen!
Geßler:
Wo sind sie? Hat der Kaiser sie bestätigt?
Er hat sie nicht bestätigt! Diese Gunst Muß erst erworben werden durch Gehorsam. Rebellen seid ihr alle gegen Kaisers Gericht und nährt verwegene Empörung.
Ich kenn euch alle, ich durchschau euch ganz: Den nehm ich jetzt heraus aus eurer Mitte, Doch alle seid ihr teilhaft seiner Schuld.
Wer klug ist, lerne schweigen und gehorchen.

Schiller: ›Wilhelm Tell‹

Im Malik-Verlag zu Berlin-Halensee ist von George Grosz eine Bildermappe ›Gott mit uns‹ erschienen, die wohl die witzigste und künstlerisch beste Abfertigung des alt- und neupreußischen Militarismus bedeutet. Die Leser der ›Freien Welt‹ kennen die Blätter zum Teil und werden sich entsinnen, wie schlagend der Hieb ist, der da geführt wurde. Er sitzt.

Wie der Mehrheitssozialist Schöpflin auf seinem Parteitage angegeben hat, bittet der demokratische Reichswehrminister Dr. Geßler den Chef des Stabes, Herrn von Seeckt, häufig telefonisch, ihn doch einmal sprechen zu dürfen, Herr von Seeckt hat ebenso häufig keine Zeit und macht mit Herrn Dr. Geßler etwas, was der Soldat im Felde ›hinten runterfallen lassen‹ nannte. Bei einem dieser witzigen Telefongespräche scheint Herr von Seeckt dem p. Geßler die Weisung erteilt zu haben, die Bilder von George Grosz beschlagnahmen zu lassen. Oder vielleicht hat er ihm auch einen Wisch zur Unterschrift vorgelegt. Oder vielleicht hat er es ihm auch gar nicht gesagt.

Jedenfalls erschienen am 9. September dieses Jahres im Malik-Verlag ein paar Männer und nahmen die Grosz-Mappen fort. Wie sie angaben, taten sie das auf Befehl des Polizeipräsidiums und auf Antrag des Reichswehrministeriums. Das Polizeipräsidium drückte sich pflaumenweich, und in der Bendlerstraße wurde gekniffen. Wie immer. Am 15. Oktober erschienen wieder ein paar Männer im Malik-Verlag, legitimierten sich als Abgesandte der Abteilung 1 a des Polizeipräsidiums und beschlagnahmten auf Ersuchen des Oberstaatsanwalts beim Landgericht II Berlin die Grosz-Mappen. Sie beschlagnahmten ferner in widerrechtlicher Weise sieben Originalzeichnungen von Grosz, wozu sie keinen schriftlichen Auftrag hatten, erklärten, diesen Rechtsbruch persönlich verantworten zu wollen (das ist eine preußische Redensart) und hinterließen eine handschriftliche Quittung mit der Zahl 1707. Ein ordentlicher Richter in einem ordentlichen Verfahren hat vor dieser Verlagsschädigung noch nicht gesprochen.

Obgleich ich weiß, dass Geßler in der Bendlerstraße ungefähr so viel zu sagen hat wie ich, muß ich mich an ihn und nicht an die dahinter steckenden monarchistischen Offiziere halten, die von der Republik Gehalt beziehen.

Die Zeichnungen von Grosz stellen den deutschen Militarismus von Wilhelm bis zu seinem größeren Nachfolger, dem Arbeiterverräter Noske, nackt dar. Feldwebel, Unterärzte, Oberstabspflasterkasten, kommandierende Rotweingenerale, Puffleutnants und jener grauenhafte Typ der Freiwilligenkorpshäuptlinge – sie sind alle noch nie so gut getroffen worden wie in diesen Bildern. Wenn sich die Reichswehr beleidigt fühlt, kann sie einem leid tun. Entweder sie ist gar nicht getroffen: dann liegt kein Grund vor, einen Staatsanwalt, der im Felde Offizier gewesen, also befangen ist, in Bewegung zu setzen. Oder sie ist getroffen: dann hat Grosz recht.

Die Beschlagnahme der Mappe ist für uns politisch belanglos. Sie war ziemlich teuer, und die Leute, die es aufzuklären gilt, konnten sie sich kaum kaufen. Es gibt andere Mittel, dieselben Bilder desselben Zeichners in die Menge zu werfen. Das wird geschehen.

Die Zensur sei gefallen, sagt man. Hier wird wiederum vor dem Abschluß eines ordentlichen Verfahrens beschlagnahmt, wie in des Zaren bester Zeit. Herr Geßler täusche sich nicht: hinter der Gesinnung dieser Blätter steht das gesamte bessere Deutschland. Gegen ihn.

Herr Seeckt hat neulich in einem seiner Erlasse als seine Aufgabe bezeichnet, »den Geist, der einst nach Sedan uns über hundert Schlachtfelder des Westens und Ostens führte, in der Reichswehr und im Volk lebendig zu erhalten«. Wir halten das nicht für seine Aufgabe. Wir besinnen uns nicht, dass die Feuerwehr oder das Rettungswesen befugt sei, irgend einen Geist zu erhalten. Sie erfüllen ihre sachliche Aufgabe. Weiter nichts. Das Militär steht auf keiner andern Stufe,

Haben sich die Herrschaften verletzt gefühlt? Der Spiegel kann nichts dafür, wenn er der Jungfrau anzeigt, dass sie schwanger ist.

Wir andern aber sehen erfreut in die Blätter, vergleichen sie schmunzelnd mit einer gewissen Sorte von Soldaten und sagen freundlich und bestimmt: »So siehst Du aus!«

Ignaz Wrobel
Freiheit, 24.10.1920.