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Das Buchhändler-Börsenblatt

Am 6. August habe ich im Neuen Deutschen Verlag in Berlin ein Bilderbuch erscheinen lassen: ›Deutschland, Deutschland über alles‹ John Heartfield hat die Fotos montiert. Von dem Buch ist hier – getreu einer alten, guten Tradition S. J.s – nicht gesprochen worden; wir haben nur eine Probe veröffentlicht. Wenn ich auf das Werk zurückkomme, so geschieht es für uns alle.


Der Neue Deutsche Verlag hat dem ›Börsenblatt für den deutschen Buchhandel‹, jenem täglich erscheinenden Organ, das den Sortimentern als Unterlage für ihre Bestellungen dient, ein Inserat übersandt, in dem mitgeteilt wird, dass das 15. bis 25. Tausend des Buches zur Auslieferung gelangt ist.

Die Redaktion des ›Börsenblatts‹ hat dem Neuen Deutschen Verlag daraufhin folgendes Schreiben übersandt:


Sehr geehrte Firma!

Gegen den weiteren Abdruck der Anzeige betr. Ihr Verlagswerk Tucholskys, ›Deutschland, Deutschland über alles‹ liegt ein Einspruch vor. Unsere vermittelnden Schritte waren ohne Erfolg, so dass sich jetzt die maßgeblichen Stellen des Börsenvereins mit der Angelegenheit beschäftigen werden. Da es nicht abzusehen ist, wann eine Entscheidung getroffen wird, gestatten wir uns, Ihnen das Manuskript zurückzugeben, für den Fall, dass Sie die beiden andern Bücher zunächst gesondert anzeigen wollen.

Hochachtungsvoll ergeben

Schriftleitung des Börsenblatts für den
Deutschen Buchhandel.


Danach scheint der Börsenverein der Deutschen Buchhändler eine Satzung zu haben, die jedem Mitglied gestattet, gegen die Aufnahme eines Inserats einen Einspruch zu erheben, der aufschiebende Wirkung hat. Der Einspruch, der in diesem Fall erfolgt ist, hat ein politisches Motiv.

Ich frage die freiheitlich gesinnten Sortimenter und Verleger:

Ist das so? Laßt ihr euch das gefallen? Haltet ihr es für richtig, dass irgend jemand – sei es eine Person, ein Verband oder der Börsenverein selber – eine Zensur ausübt, die unsittlich ist? Unsittlich deshalb, weil die Zugehörigkeit zum Börsenverein für das reguläre Sortimenter- und Verlagsgeschäft zwangsläufig ist; wenn aber eine derartige Organisation eine Zwangsinnung ist, hat sie der Öffentlichkeit gegenüber Pflichten. Ihre erste und oberste Pflicht ist: Neutralität. Solange dem ›Börsenblatt‹ nicht zugemutet wird, Bücher anzuzeigen, deren Inhalt strafbar ist – also Bücher, die bereits beschlagnahmt oder durch rechtskräftig gewordenen Urteilsspruch eingezogen sind – so lange hat es nicht das Recht, ein Buch zu boykottieren. Die ›Weltbühne‹ darf ein Inserat ablehnen – das Monopolblatt des deutschen Buchhandels darf es nicht. Es geht nicht an, abwechselnd eine Art Behörde des Buchhandels zu spielen und sich dann, wenn es an die Pflichten geht, dahinter zu verstecken, man sei doch nur eine private Fachgilde. Das ist nicht ehrlich, und es ist auch nicht mutig.

Die Haltung des ›Börsenblatts‹ selbst ist politisch niemals neutral gewesen. Über den redaktionellen Teil ist hier öfter gesprochen worden. Im Anzeigenteil wimmelt es von Verlagsanzeigen solcher Bücher, die bis hart an das Strafrecht republikfeindlich sind –, und zwar von rechts her. Diese Anzeigen stehen dort zu Recht. Es ist nicht sauber und des Standes der Buchhändler unwürdig, einen Boykott einseitig anzuwenden.

Wir haben an solchen Versuchen genug und übergenug: da ist der Mißbrauch des Strafrechts, das Gesetz gegen Schmutz und Schund, die Kirche, die Universitäten, die Filmzensur, die Rundfunkzensur – es ist genug. Was hier getrieben wird, ist nicht loyal. Die reaktionären Buchhändler wissen genau, dass die späte Entscheidung über die Aufnahme des Inserats (»eine Entscheidung, die nicht abzusehen ist«) den Vertrieb des Buches schädigen kann. Das ist beabsichtigt.

Soweit mir bekannt, ist dieser Fall erstmalig. Es hat einmal vor langen Jahren Schwierigkeiten mit dem tapfern Grelling gegeben, dessen ›J'accuse‹ die weniger tapfern Buchhändler der Reaktion nicht vertragen haben – ich weiß jedoch nicht, ob damals eine förmliche Ablehnung der Inserate erfolgt ist.

Wenn wir unter einer rechten oder einer linken Diktatur leben, so muß ich mir das gefallen lassen. Dies aber ist eine versteckte und hinterhältige Diktatur, die kein anständiger Mensch billigen kann. Was gestern mir geschehen ist, kann morgen jedem unsrer Kameraden geschehen: also den Exponenten einer Gesinnung. Daß wir nicht in einer Demokratie leben, weiß ich; aber dies geht zu weit – wer soll über unsre Bücher abstimmen: der Käufer oder der Verkäufer –?

Der Verlag fragt sich, wer wohl die Stelle gewesen sein mag, die den Einspruch eingelegt hat. Wir haben in Deutschland nicht viel Männer, aber desto mehr Stellen. Nun, da kann ich vielleicht raten helfen.

Am 14. Mai dieses Jahres hat hier Erich Kästner auf den ›Deutschen Frauenkampfbund‹ hingewiesen, einen Zusammenschluß von etwa fünfzig Vereinen wie: Deutscher Philologinnen-Verband, Rentnerbund, Stahlhelm Groß-Berlin, pp. Die haben es unter anderm mit der Sittlichkeit. Auf ihrer schwarzen Liste steht so ziemlich alles was in der deutschen Literatur Wert hat, bunt vermengt mit harmlosen Albernheiten. »Die Schlußrubrik«, schrieb Kästner, »führt den gelungenen Namen ›Schmutzsonderklasse‹ und nennt Polgar, Tucholsky, Klabund, Kästner.« Dieses Wort ›Schmutzsonderklasse‹, das mir bis zum 14. Mai unbekannt gewesen war, griff ich auf, und in dem Buch sieht man ein Bild: Zwei bekleidete junge Mädchen stehen lachend auf einem Tisch, der Tisch aber hat eine Platte aus Glas, und ein Fotograf hat sie von unten her fotografiert. Darunter schrieb ich: »So sieht diese Schmutzsonderklasse die Welt.« Sollten diese Herrschaften vielleicht … ?

Oder sollte es einer der in dem Buch krumm und lahm geschlagenen Offiziere und Beamten gewesen sein? Zu einer Klage reichts nicht hin, Tapferkeit ist des deutschen Mannes Zier – da machen wir es eben so herum …

Auf der rechten Seite, wo sie nicht nur einen Balken vor dem Kopf haben, sondern mitunter einen ganzen Stapel von Dummheit – auf der rechten Seite wird man mit schlecht kopierten Handbewegungen christeln: »Waih geschrien! Sein Geschäft!« – Ich muß mir mein Geld mit meiner Arbeit verdienen; ich bin weder Kaiser der Reserve noch geschlagener General im Ruhestande: mir zahlt die Republik nichts. Und ich freue mich, wenn ich durch meine Arbeit verdiene; sie macht mich unabhängig.

Auf den Wert dieses Buches kommt es hier nicht an. Ich habe es der Öffentlichkeit vorgelegt; ich lasse mir von jedem Kritiker sagen, wie es ihm gefallen hat. Hier aber ist etwas andres, hier ist jene schleichende, trockne, giftig-gefährliche Reaktion am Werk, die in diesem ganz leicht anachronistischen Buch nicht zu finden ist –: man kann sie nämlich nicht fotografieren. Die neudeutsche Reaktion hat, sehen wir von Zörgiebeln ab, oft verbindliche Formen; und so ein Vorgang wie dieser hier – nationaler Schuß von hinten, aus Angst vor der Wahrheit – der läßt sich nicht illustrieren. Tatsächlich ist das, was sich heute in Deutschland gegen die Arbeiter vorbereitet, eine sanft dahinkriechende Reaktion, eine Gefahr, die zu wenig beachtet wird. Gegen sie gehen wir an.


Soweit war die Sache gediehen, als auf den Protest des Verlages der Börsenverein – ein Bein auf dem Hugenberg, das andre Bein auf dem Boden der Verfassung – eine ›ergänzende Erklärung‹ abgab.

»In Ergänzung unseres Briefes vom 9. 11. erlauben wir uns, Ihnen noch mitzuteilen, dass sich der Einspruch nur gegen die Bildwiedergabe in dem Inserat richtet, da darin eine Verächtlichmachung der Nationalhymne der Deutschen Republik gesehen wird, die dem ›Börsenblatt‹ zur Unehre gereiche. Der Anzeige des Buches an sich steht nichts im Wege. Wir bitten zu entschuldigen, dass in der Eile zunächst vergessen worden ist, Ihnen diese genauere Kennzeichnung des Einspruchs zu geben.«

Der Zurückzieher gibt es mannigfache Arten: kluge und dumme.

Zunächst wird weder im Titel noch auf der Umschlagseite des Buches die Nationalhymne der Republik lächerlich gemacht. Ob eine Verächtlichmachung vorliegt, haben nur die Richter in Anwendung der Gesetze zu entscheiden – nicht die Buchhändler in Anwendung ihrer Satzungen, die gleichgültig sind. Wie subtil sie sich auf einmal haben –! Wie ängstlich –! Wie verfassungstreu –! Nun muß man aber sehen, was da in ihren Anzeigen gegen diese selbe Republik zusammengeflucht, gedroht, gebrüllt und gekreischt wird –! Die Gleichsetzung von Blatt und Anzeige wäre in der Tat ungerechtfertigt, wenn nicht die Mehrzahl der leitenden Männer im deutschen Buchhandel von jener kleinbürgerlichen Rückwärtserei besessen wäre, wie sie von der Industrie und der Landwirtschaft bezahlt und propagiert wird: diese Gehirne sind Matern von Hugenberg.

Die Wirkung –? Eine gute Reklame für das Buch, bei allen Gesinnungsfreunden unter den Buchhändlern. Im übrigen muß der Hieb doch wohl gesessen haben. Der Vorfall bestärkt mich in meiner Haltung:

Für die Unterdrückten, gegen diese vermufften deutschen Spießer, ist jedes Mittel recht, keines zu scharf und alle zu schade. Es wird weitergekämpft.

Kurt Tucholsky
Die Weltbühne, 24.09.1929, Nr. 39, S. 481.