Choral

Choral. (Musik) Ein vierstimmiger Gesang, der weder figuriert noch rythmisch ist. Er ist gesetzt, um in Kirchen von der ganzen Gemeinde abgesungen zu werden. Man nennt ihn auch den Gregorianischen Gesang, weil Pabst Gregorius der Grosse ihn eingeführt haben soll. Die Franzosen nennen ihn plain chant und die Italiener Canto firmo. Er ist der einfachste Gesang, der möglich ist und schickt sich zu stillen und etwas ruhigen Betrachtungen und Empfindungen, die allgemein den Charakter der Kirchenlieder ausmachen. Er ist einer großen Rührung fähig, und scheint zu ruhigen Empfindungen weit vorzüglicher zu sein als der figurierte melismatische Gesang: wie denn überhaupt überaus wenig dazu gehört, sehr tiefe Empfindungen einer ruhigen Art zu erwecken.1 Wenn er aber seine ganze Kraft behalten soll, so muss durch den Gesang der Fall der Verse und folglich das richtige Zeitmaas der Silben, nicht verloren gehen; nur das cadenzirte, zu abgemessene rythmische Wesen, welches unsere heutigen figurierten Tonstücke gemeiniglich gar zu sehr der Tanzmusik nähert, muss aus dem Choral gänzlich wegbleiben.

 Der Choral wird allemal vierstimmig gesetzt und jede der vier Stimmen ist eine Hauptstimme. Dieses macht seine Verfertigung, obgleich gar wenig Erfindung dazu gehört, dem, der nicht ein vollkommener Harmoniste ist, sehr schwer; weil bei dem langsamen und nachdrücklichen Gange desselben, auch die kleinste Unrichtigkeit in der Harmonie sehr fühlbar wird. Man muss dabei mit den Dissonanzen sparsam sein, die sich ohne dem zu dem sanften Affekt des Kirchengesanges nicht so gut, als zu unruhigen Leidenschaften schicken. Es ist möglich, dass ein bloß zweistimmiger Choral, da die Harmonie der Mittelstimme etwa, wo es nötig ist, durch die Orgel ausgefüllt würde, noch bessere Wirkung täte. Denn da die Stimmen doch, um harmonische Fehler zu vermeiden, sich gegen einander bewegen müssen: so scheint es nicht natürlich, dass bei einerlei Empfindung, einer mit der Stimme steigt, da der andere fällt und der dritte auf derselben Höhe stehen bleibt.

 Der beste Choralgesang scheint der zu sein, der am einfachsten, durch kleinere diatonische Intervalle fortschreitet und die wenigsten Dissonanzen hat, dabei aber die Geltung der Silben auf das genaueste beobachtet wird.

  In den Chorälen richtet man sich noch nach den alten Tonarten, den sechs authentischen und so viel plagalischen. Man kann nicht leugnen, dass nicht dadurch, wenn nur übrigens gut temperirte Orgeln vorhanden sind, eine noch mehrere Mannigfaltigkeit der Charaktere des Gesangs erhalten werde als wenn man, nach einer gleichschwebenden Temperatur, alles auf die jetzt in der anderen Musik üblichen zwei Tonarten bringen wollte. (S. Tonart.)

  Es wäre ein großes Vorurteil, sich einzubilden, dass ein starker Meister der Kunst sich dadurch erniedrige, wenn er sich mit Verfertigung der Choräle abgibt; denn sie sind nicht nur wegen ihrer großen Wirkung zu tiefer Rührung des Herzens, sondern auch wegen der vollkommenen Kenntnis aller harmonischen Schönheiten und strenger Beobachtung der Regeln der Harmonie, der Mühe eines großen Meisters würdig. Mancher, der ein gutes Solo oder Konzert machen kann, würde nicht im Stande sein, einen erträglichen Choral zu verfertigen.

 Auch die Ausführung des Chorals, sowohl in den Stimmen als auf der Orgel, ist nichts schlechtes. Wer nicht jedem Ton seinen Nachdruck und seine bestimmte Modification zu geben und die äußerste Reinheit zu treffen weiß, kann den rührendsten Gesang verderben. Je entblößter ein Gesang von melodischen Auszierungen und Schönheiten ist, desto kräftiger, nachdrücklicher und in seiner Art bestimmter, muss auch jeder Ton angegeben werden, wenn der Gesang Kraft haben soll. Der Begleiter hat große Überlegung und Kenntnis nötig, dass er einfach sei und in seinen Schranken bleibe. Es kommt hierbei gewiss nicht darauf an, dass man nur beide Hände recht voll Töne fasse; dieses verderbt vielmehr die Schönheit des Gesangs. Vornehmlich muss man sich für melismatischen Auszierungen und Läufen hüten, womit ungeschickte Organisten dem Choralgesang aufzuhelfen glauben, da sie ihn doch dadurch gänzlich verderben.

 

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1 S. Lieder.

 


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