2. Schiller, Winckelmann, Schelling


Da ist denn einzugestehen, daß der Kunstsinn eines tiefen, zugleich philosophischen Geistes zuerst gegen jene abstrakte Unendlichkeit des Gedankens, jene Pflicht um der Pflicht willen, jenen gestaltlosen Verstand — welcher die Natur und Wirklichkeit, Sinn und Empfindung nur als eine Schranke, ein schlechthin Feindliches faßt und sich zuwider findet — früher schon die Totalität und Versöhnung gefordert und ausgesprochen hat, als sie von der Philosophie als solcher aus ist erkannt worden. Es muß Schiller das große Verdienst zugestanden werden, die Kantische Subjektivität und Abstraktion des Denkens durchbrochen und den Versuch gewagt zu haben, über sie hinaus die Einheit und Versöhnung denkend als das Wahre zu fassen und künstlerisch zu verwirklichen. Denn Schiller hat bei seinen ästhetischen Betrachtungen nicht nur an der Kunst und ihrem Interesse, unbekümmert um das Verhältnis zur eigentlichen Philosophie, festgehalten, sondern er hat sein Interesse des Kunstschönen mit den philosophischen Prinzipien verglichen und ist erst von diesen aus und mit diesen in die tiefere Natur und den Begriff des Schönen eingedrungen. Ebenso fühlt man es einer Periode seiner Werke an, daß er — mehr selbst, als für die unbefangene Schönheit des Kunstwerks ersprießlich ist — mit dem Gedanken sich beschäftigt hat. Die Absichtlichkeit abstrakter Reflexionen und selbst das Interesse des philosophischen Begriffs sind in manchen seiner Gedichte bemerkbar. Man hat ihm daraus einen Vorwurf gemacht, besonders um ihn gegen die stets sich gleichbleibende, vom Begriff ungetrübte Unbefangenheit und Objektivität Goethes zu tadeln und zurückzusetzen. Aber Schiller hat in dieser Beziehung als Dichter nur die Schuld seiner Zeit bezahlt, und es war eine Verwicklung in Schuld, welche dieser erhabenen Seele und tiefem Gemüte nur zur Ehre und der Wissenschaft und Erkenntnis nur zum Vorteil gereicht hat. — Zu gleicher Zeit entzog auch Goethe dieselbe wissenschaftliche Anregung seiner eigentlichen Sphäre, der Dichtkunst; doch wie Schiller sich in die Betrachtung der inneren Tiefen des Geistes versenkte, so führte Goethe sein Eigentümliches zur natürlichen Seite der Kunst, zur äußeren Natur, zu den Pflanzen- und Tierorganismen, zu den Kristallen, der Wolkenbildung und den Farben. Für diese wissenschaftliche Forschung brachte Goethe seinen großen Sinn mit, der in diesen Gebieten die bloße Verstandesbetrachtung und deren Irrtum ebenso über den Haufen geworfen hat, als Schiller auf der anderen Seite gegen die Verstandesbetrachtung des Wollens und Denkens die Idee der freien Totalität der Schönheit geltend zu machen verstand. Eine Reihe von Schillerschen Produktionen gehört dieser Einsicht in die Natur der Kunst an, vornehmlich die Briefe über ästhetische Erziehung. Schiller geht darin von dem Hauptpunkte aus, daß jeder individuelle Mensch in sich die Anlage zu einem idealischen Menschen trage. Dieser wahrhafte Mensch werde repräsentiert durch den Staat, der die objektive, allgemeine, gleichsam kanonische Form sei, in der die Mannigfaltigkeit der einzelnen Subjekte sich zur Einheit zusammenzufassen und zu verbinden trachte. Nun ließen sich zweierlei Arten vorstellen, wie der Mensch in der Zeit mit dem Menschen in der Idee zusammentreffe; einerseits nämlich in der Weise, daß der Staat als die Gattung des Sittlichen, Rechtlichen, Intelligenten die Individualität aufhebe, andererseits so, daß das Individuum sich zur Gattung erhebe und der Mensch der Zeit sich zu dem der Idee veredle. Die Vernunft nun fordere die Einheit als solche, das Gattungsmäßige, die Natur aber Mannigfaltigkeit und Individualität, und von beiden Legislaturen werde der Mensch gleichmäßig in Anspruch genommen. Bei dem Konflikt dieser entgegengesetzten Seiten soll nun die ästhetische Erziehung gerade die Forderung ihrer Vermittlung und Versöhnung verwirklichen, denn sie geht nach Schiller darauf, die Neigung, Sinnlichkeit, Trieb und Gemüt so auszubilden, daß sie in sich selbst vernünftig werden und somit auch die Vernunft, Freiheit und Geistigkeit aus ihrer Abstraktion heraustrete und, mit der in sich vernünftigen Naturseite vereinigt, in ihr Fleisch und Blut erhalte. Das Schöne ist also als die Ineinsbildung des Vernünftigen und Sinnlichen und diese Ineinsbildung als das wahrhaft Wirkliche ausgesprochen. Im allgemeinen ist diese Schillersche Ansicht schon in Anmut und Würde wie in seinen Gedichten darin zu erkennen, daß er das Lob der Frauen besonders zu seinem Gegenstande macht, als in deren Charakter er eben die von selbst vorhandene Vereinigung des Geistigen und Natürlichen erkannte und hervorhob.

 Diese Einheit nun des Allgemeinen und Besonderen, der Freiheit und Notwendigkeit, der Geistigkeit und des Natürlichen, welche Schiller als Prinzip und Wesen der Kunst wissenschaftlich erfaßte und durch Kunst und ästhetische Bildung ins wirkliche Leben zu rufen unablässig bemüht war, ist sodann als Idee selbst zum Prinzip der Erkenntnis und des Daseins gemacht und die Idee als das allein Wahrhafte und Wirkliche erkannt worden. Dadurch erstieg mit Schelling die Wissenschaft ihren absoluten Standpunkt; und wenn die Kunst bereits ihre eigentümliche Natur und Würde in Beziehung auf die höchsten Interessen des Menschen zu behaupten angefangen hatte, so ward jetzt auch der Begriff und die wissenschaftliche Stelle der Kunst gefunden und sie, wenn auch nach einer Seite hin noch in schiefer Weise (was hier zu erörtern nicht der Ort ist), dennoch in ihrer hohen und wahrhaften Bestimmung aufgenommen. Ohnehin war früher schon Winckelmann durch die Anschauung der Ideale der Alten in einer Weise begeistert, durch welche er einen neuen Sinn für die Kunstbetrachtung aufgetan, sie den Gesichtspunkten gemeiner Zwecke und bloßer Naturnachahmung entrissen und in den Kunstwerken und der Kunstgeschichte die Kunstidee zu finden mächtig aufgefordert hat. Denn Winckelmann ist als einer der Menschen anzusehen, welche im Felde der Kunst für den Geist ein neues Organ und ganz neue Betrachtungsweisen zu erschließen wußten. Doch auf die Theorie und wissenschaftliche Erkenntnis der Kunst hat seine Ansicht weniger Einfluß gehabt.

In der Nachbarschaft nun der Wiedererweckung der philosophischen Idee eigneten sich (um den Verlauf der weiteren Entwicklung kurz zu berühren) August Wilhelm und Friedrich von Schlegel, nach Neuem in der Sucht nach Auszeichnung und Auffallendem begierig, von der philosophischen Idee soviel an, als ihre sonst eben nicht philosophischen, sondern wesentlich kritischen Naturen aufzunehmen fähig waren. Denn auf den Ruf spekulativen Denkens kann keiner von beiden Anspruch machen. Sie aber waren es, die sich mit ihrem kritischen Talent in die Nähe des Standpunkts der Idee stellten und sich nun mit großer Parrhesie und Kühnheit der Neuerung, wenn auch mit dürftigen philosophischen Ingredienzien, in geistvoller Polemik gegen die bisherigen Ansichtsweisen wendeten und so in verschiedene Zweige der Kunst allerdings einen neuen Maßstab der Beurteilung und Gesichtspunkte einführten, welche höher als die angefeindeten waren. Da nun aber ihre Kritik nicht von der gründlich philosophischen Erkenntnis ihres Maßstabes begleitet wurde, so behielt dieser Maßstab etwas Unbestimmtes und Schwankendes, so daß sie bald zuviel, bald zuwenig taten. Wie sehr es ihnen deshalb auch als Verdienst anzurechnen ist, daß sie Veraltetes und von der Zeit Geringgeschätztes, wie die ältere italienische und niederländische Malerei, die Nibelungen usf., mit Liebe wieder hervorzogen und erhoben und wenig Bekanntes, wie die indische Poesie und Mythologie, mit Eifer kennenzulernen und zu lehren suchten, so legten sie doch solchen Epochen einen zu hohen Wert bei; bald verfielen sie selbst darein, Mittelmäßiges, z. B. die Holbergschen Lustspiele, zu bewundern und nur relativ Wertvollem eine allgemeine Würde beizulegen oder sich gar mit Keckheit für eine schiefe Richtung und untergeordnete Standpunkte als für das Höchste enthusiasmiert zu zeigen.

 


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