1. Das Kunstwerk als Produkt menschlicher Tätigkeit

 

Was den ersten Punkt betrifft, daß ein Kunstwerk ein Produkt menschlicher Tätigkeit sei, so ist aus dieser Ansicht

a) die Betrachtung hervorgegangen, daß diese Tätigkeit als bewußtes Produzieren eines Äußerlichen auch gewußt und angegeben und von anderen gelernt und befolgt werden könne. Denn was der eine macht, vermöchte auch, kann es scheinen, der andere zu machen oder nachzumachen, wenn er nur erst die Art des Verfahrens kenne, so daß es bei allgemeiner Bekanntschaft mit den Regeln künstlerischer Produktion nur Sache des allgemeinen Beliebens wäre, in gleicher Art dasselbe zu exekutieren und Kunstwerke hervorzubringen. In dieser Weise sind die oben besprochenen regelgebenden Theorien und ihre auf praktische Befolgung berechneten Vorschriften entstanden. Was sich nun aber nach solchen Angaben ausführen läßt, kann nur etwas formell Regelmäßiges und Mechanisches sein. Denn nur das Mechanische ist von so äußerlicher Art, daß, um es in die Vorstellung aufzunehmen und ins Werk zu setzen, nur eine ganz leere wollende Tätigkeit und Geschicklichkeit erforderlich bleibt, welche in sich selbst nichts Konkretes, durch allgemeine Regeln nicht Vorzuschreibendes mitzubringen benötigt ist. Dies tut sich am lebendigsten hervor, wenn sich dergleichen Vorschriften nicht auf das rein Äußerliche und Mechanische beschränken, sondern auf die inhaltsvoll geistige, künstlerische Tätigkeit ausdehnen. In diesem Gebiet enthalten die Regeln nur unbestimmte Allgemeinheiten, z. B. das Thema solle interessant sein, man solle jeden seinem Stande, Alter, Geschlecht, Lage gemäß sprechen lassen. Sollen hier Regeln genügen, so müßten ihre Vorschriften zugleich mit solcher Bestimmtheit eingerichtet sein, daß sie ohne weitere eigene Geistestätigkeit, ganz in der Art, wie sie ausgedrückt sind, auch ausgeführt werden könnten. Doch ihrem Inhalte nach abstrakt, zeigen sich deshalb solche Regeln in ihrer Prätention, daß sie das Bewußtsein des Künstlers auszufüllen geschickt wären, durchaus ungeschickt, indem die künstlerische Produktion nicht formelle Tätigkeit nach gegebenen Bestimmtheiten ist, sondern als geistige Tätigkeit aus sich selbst arbeiten und ganz anderen reicheren Gehalt und umfassendere individuelle Gebilde vor die geistige Anschauung bringen muß. Zur Not mögen daher jene Regeln, insoweit sie in der Tat etwas Bestimmtes und deshalb praktisch Brauchbares enthalten, doch nur etwa Bestimmungen für ganz äußerliche Umstände abgeben.

b) So ist man denn auch ganz von dieser angedeuteten Richtung abgekommen, dafür jedoch ebensosehr wieder ins Gegenteil gefallen. Denn das Kunstwerk ward zwar nicht mehr als Produkt einer allgemein menschlichen Tätigkeit angesehen, sondern als ein Werk eines ganz eigentümlich begabten Geistes, welcher nun aber auch schlechthin nur seine Besonderheit, wie eine spezifische Naturkraft, gewähren zu lassen habe und von der Richtung auf allgemeingültige Gesetze wie von der Einmischung bewußter Reflexion in sein instinktartiges Produzieren ganz loszusprechen, ja davor zu bewahren sei, da seine Hervorbringungen durch solches Bewußtsein nur könnten verunreinigt und verderbt werden. Man hat nach dieser Seite hin das Kunstwerk als Produkt des Talents und Genies angesprochen und hauptsächlich die Naturseite, welche Talent und Genius in sich tragen, hervorgehoben. Zum Teil mit Recht. Denn Talent ist spezifische, Genie allgemeine Befähigung, welche der Mensch sich nicht nur durch eigene selbstbewußte Tätigkeit zu geben die Macht hat; wovon noch später ausführlicher zu sprechen ist.

Hier haben wir nur die falsche Seite dieser Ansicht zu erwähnen, daß nämlich bei der künstlerischen Produktion alles Bewußtsein über die eigene Tätigkeit nicht nur für überflüssig, sondern auch für nachteilig gehalten worden ist. Dann erscheint die Hervorbringung des Talents und Genies nur als ein Zustand überhaupt und näher als Zustand der Begeisterung. Zu solchem Zustande, heißt es, werde das Genie teils durch einen Gegenstand erregt, teils könne es sich durch Willkür selber darein versetzen, wobei denn auch des guten Dienstes der Champagnerflasche nicht vergessen ward. In Deutschland tat sich diese Meinung zur Zeit der sogenannten Genieperiode hervor, welche durch Goethes erste poetische Produkte herbeigeführt und dann durch die Schillerschen unterstützt wurde. Diese Dichter haben bei ihren ersten Werken mit Hintansetzung aller Regeln, die damals fabriziert waren, von vorne angefangen und absichtlich gegen jene Regeln gehandelt, worin sie denn andere noch bei weitem überboten. Doch in die Verwirrungen, welche über den Begriff von Begeisterung und Genie herrschend gewesen und über das, was die Begeisterung als solche schon alles vermöge, noch heutigentags herrschend sind, will ich nicht näher eingehen. Als wesentlich ist nur die Ansicht festzustellen, daß, wenn auch Talent und Genius des Künstlers ein natürliches Moment in sich hat, dasselbe dennoch wesentlich der Bildung durch den Gedanken, der Reflexion auf die Weise seiner Hervorbringung sowie der Übung und Fertigkeit im Produzieren bedarf. Denn ohnehin ist eine Hauptseite dieser Produktion eine äußerliche Arbeit, indem das Kunstwerk eine rein technische Seite hat, die bis gegen das Handwerksmäßige sich hin erstreckt; am meisten in der Architektur und Skulptur, weniger in der Malerei und Musik, am wenigsten in der Poesie. Zu einer Fertigkeit hierin verhilft keine Begeisterung, sondern nur Reflexion, Fleiß und Übung. Solcher Fertigkeit aber ist der Künstler benötigt, um des äußeren Materials sich zu bemeistern und durch die Sprödigkeit desselben nicht gehindert zu werden.

 


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