1. Das Kunstwerk als Produkt menschlicher Tätigkeit

 

Je höher nun ferner der Künstler steht, desto gründlicher soll er die Tiefen des Gemüts und des Geistes darstellen, die nicht unmittelbar bekannt, sondern nur durch die Richtung des eigenen Geistes auf die innere und äußere Welt zu ergründen sind. So ist es wiederum das Studium, wodurch der Künstler diesen Gehalt zu seinem Bewußtsein bringt und den Stoff und Gehalt seiner Konzeptionen gewinnt.

Zwar bedarf in dieser Beziehung die eine Kunst mehr als die andere des Bewußtseins und der Erkenntnis solchen Gehaltes. Die Musik z. B., welche es sich nur mit der ganz unbestimmten Bewegung des geistigen Innern, mit dem Tönen gleichsam der gedankenlosen Empfindung zu tun macht, hat wenigen oder keinen geistigen Stoff im Bewußtsein vonnöten. Das musikalische Talent kündigt sich darum auch am meisten in sehr früher Jugend, bei noch leerem Kopfe und wenig bewegtem Gemüte an und kann beizeiten schon, ehe noch Geist und Leben sich erfahren haben, zu sehr bedeutender Höhe gelangt sein; wie wir denn auch oft genug eine sehr große Virtuosität in musikalischer Komposition und Vortrage neben bedeutender Dürftigkeit des Geistes und Charakters bestehen sehen. - Anders hingegen ist es in der Poesie. In ihr kommt es auf inhalts- und gedankenvolle Darstellung des Menschen, seiner tieferen Interessen und der Mächte, die ihn bewegen, an, und so muß Geist und Gemüt selbst durch Leben, Erfahrung und Nachdenken reich und tief gebildet sein, ehe das Genie etwas Reifes, Gehaltvolles und in sich Vollendetes zustande bringen kann. Die ersten Produkte Goethes und Schillers sind von einer Unreife, ja selbst von einer Roheit und Barbarei, vor der man erschrecken kann. Diese Erscheinung, daß in den meisten jener Versuche eine überwiegende Masse durch und durch prosaischer, zum Teil kalter und platter Elemente sich findet, ist es, welche vornehmlich gegen die gewöhnliche Meinung geht, als ob die Begeisterung an das Jugendfeuer und die Jugendzeit gebunden sei. Erst das reife Mannesalter dieser beiden Genien, welche, kann man sagen, unserer Nation erst poetische Werke zu geben wußten und unsere Nationaldichter sind, hat uns tiefe, gediegene, aus wahrhafter Begeisterung hervorgegangene und ebenso in der Form durchgebildete Werke geschenkt, wie erst der Greis Homer seine ewig unsterblichen Gesänge sich eingegeben und hervorgebracht hat.  c) Eine dritte Ansicht, welche die Vorstellung vom Kunstwerk als einem Produkte menschlicher Tätigkeit betrifft, bezieht sich auf die Stellung des Kunstwerks zu den äußeren Erscheinungen der Natur. Hier lag dem gewöhnlichen Bewußtsein die Meinung nahe, daß das Kunstprodukt des Menschen dem Naturprodukte nachstehe. Denn das Kunstwerk hat kein Gefühl in sich und ist nicht das durch und durch Belebte, sondern, als äußerliches Objekt betrachtet, tot. Das Lebendige aber pflegen wir höher zu schätzen als das Tote. Daß das Kunstwerk nicht in sich selbst bewegt und lebendig sei, ist freilich zugegeben. Das natürlich Lebendige ist nach innen und außen eine zweckmäßig bis in alle kleinsten Teile ausgeführte Organisation, während das Kunstwerk nur in seiner Oberfläche den Schein der Lebendigkeit erreicht, nach innen aber gemeiner Stein oder Holz und Leinwand oder, wie in der Poesie, Vorstellung ist, die in Rede und Buchstaben sich äußert. Aber diese Seite äußerlicher Existenz ist es nicht, welche ein Werk zu einem Produkte der schönen Kunst macht; Kunstwerk ist es nur, insofern es, aus dem Geiste entsprungen, nun auch dem Boden des Geistes angehört, die Taufe des Geistigen erhalten hat und nur dasjenige darstellt, was nach dem Anklange des Geistes gebildet ist. Menschliches Interesse, der geistige Wert, den eine Begebenheit, ein individueller Charakter, eine Handlung in ihrer Verwicklung und ihrem Ausgange hat, wird im Kunstwerke aufgefaßt und reiner und durchsichtiger hervorgehoben, als es auf dem Boden der sonstigen, unkünstlerischen Wirklichkeit möglich ist. Dadurch steht das Kunstwerk höher als jedes Naturprodukt, das diesen Durchgang durch den Geist nicht gemacht hat; wie z. B. durch die Empfindung und Einsicht, aus welcher heraus in der Malerei eine Landschaft dargestellt wird, dies Geisteswerk einen höheren Rang einnimmt als die bloß natürliche Landschaft. Denn alles Geistige ist besser als jedes Naturerzeugnis. Ohnehin stellt kein Naturwesen göttliche Ideale dar, wie es die Kunst vermag.

Was nun der Geist in Kunstwerken seinem eigenen Innern entnimmt, dem weiß er auch nach seiten der äußerlichen Existenz hin eine Dauer zu geben; die einzelne Naturlebendigkeit dagegen ist vergänglich, schwindend und in ihrem Aussehen veränderlich, während das Kunstwerk sich erhält, wenn auch nicht die bloße Dauer, sondern das Herausgehobensein geistiger Beseelung seinen wahrhaftigen Vorzug der natürlichen Wirklichkeit gegenüber ausmacht.

Diese höhere Stellung des Kunstwerkes wird aber dennoch wieder von einer anderen Vorstellung des gewöhnlichen Bewußtseins bestritten. Denn die Natur und ihre Erzeugnisse, heißt es, seien ein Werk Gottes, durch seine Güte und Weisheit erschaffen, das Kunstprodukt dagegen sei nur ein Menschenwerk, nach menschlicher Einsicht von Menschenhänden gemacht. In dieser Entgegenstellung der Naturproduktion als eines göttlichen Schaffens und der menschlichen Tätigkeit als einer nur endlichen liegt sogleich der Mißverstand, als ob Gott im Menschen und durch den Menschen nicht wirke, sondern den Kreis dieser Wirksamkeit auf die Natur allein beschränke. Diese falsche Meinung ist gänzlich zu entfernen, wenn man zum wahren Begriffe der Kunst hindurchdringen will, ja es ist dieser Ansicht gegenüber die entgegengesetzte festzuhalten, daß Gott mehr Ehre von dem habe, was der Geist macht, als von den Erzeugnissen und Gebilden der Natur. Denn es ist nicht nur Göttliches im Menschen, sondern in ihm ist es in einer Form tätig, die in ganz anderer, höherer Weise dem Wesen Gottes gemäß ist als in der Natur. Gott ist Geist, und im Menschen allein hat das Medium, durch welches das Göttliche hindurchgeht, die Form des bewußten, sich tätig hervorbringenden Geistes; in der Natur aber ist dies Medium das Bewußtlose, Sinnliche und Äußerliche, das an Wert dem Bewußtsein bei weitem nachsteht. Bei der Kunstproduktion nun ist Gott ebenso wirksam wie bei den Erscheinungen der Natur, das Göttliche aber, wie es im Kunstwerk sich kundgibt, hat, als aus dem Geiste erzeugt, einen entsprechenden Durchgangspunkt für seine Existenz gewonnen, während das Dasein in der bewußtlosen Sinnlichkeit der Natur keine dem Göttlichen angemessene Weise der Erscheinung ist.

 d) Ist nun das Kunstwerk als Erzeugnis des Geistes vom Menschen gemacht, so fragt es sich schließlich, um aus dem Bisherigen ein tieferes Resultat zu ziehen, welches das Bedürfnis des Menschen sei, Kunstwerke zu produzieren. Auf der einen Seite kann diese Hervorbringung als ein bloßes Spiel des Zufalls und der Einfälle angesehen werden, das ebensogut zu unterlassen als auszuführen sei; denn es gebe noch andere und selbst bessere Mittel, das ins Werk zu richten, was die Kunst bezwecke, und der Mensch trage noch höhere und wichtigere Interessen in sich, als die Kunst zu befriedigen vermöge. Auf der anderen Seite aber scheint die Kunst aus einem höheren Triebe hervorzugehen und höheren Bedürfnissen, ja zuzeiten den höchsten und absoluten, Genüge zu tun, indem sie an die allgemeinsten Weltanschauungen und die religiösen Interessen ganzer Epochen und Völker gebunden ist. - Diese Frage nach dem nicht zufälligen, sondern absoluten Bedürfnis der Kunst können wir vollständig noch nicht beantworten, indem sie konkreter ist, als die Antwort hier schon ausfallen könnte. Wir müssen uns deshalb begnügen, für jetzt nur folgendes festzustellen.  Das allgemeine und absolute Bedürfnis, aus dem die Kunst (nach ihrer formellen Seite) quillt, findet seinen Ursprung darin, daß der Mensch denkendes Bewußtsein ist, d. h. daß er, was er ist und was überhaupt ist, aus sich selbst für sich macht. Die Naturdinge sind nur unmittelbar und einmal, doch der Mensch als Geist verdoppelt sich, indem er zunächst wie die Naturdinge ist, sodann aber ebensosehr für sich ist, sich anschaut, sich vorstellt, denkt und nur durch dies tätige Fürsichsein Geist ist. Dies Bewußtsein von sich erlangt der Mensch in zwiefacher Weise: erstens theoretisch, insofern er im Innern sich selbst sich zum Bewußtsein bringen muß, was in der Menschenbrust sich bewegt, was in ihr wühlt und treibt, und überhaupt sich anzuschauen, vorzustellen, was der Gedanke als das Wesen findet, sich zu fixieren und in dem aus sich selbst Hervorgerufenen wie in dem von außen her Empfangenen nur sich selber zu erkennen hat. - Zweitens wird der Mensch durch praktische Tätigkeit für sich, indem er den Trieb hat, in demjenigen, was ihm unmittelbar gegeben, was für ihn äußerlich vorhanden ist, sich selbst hervorzubringen und darin gleichfalls sich selbst zu erkennen. Diesen Zweck vollführt er durch Veränderung der Außendinge, welchen er das Siegel seines Innern aufdrückt und in ihnen nun seine eigenen Bestimmungen wiederfindet. Der Mensch tut dies, um als freies Subjekt auch der Außenwelt ihre spröde Fremdheit zu nehmen und in der Gestalt der Dinge nur eine äußere Realität seiner selbst zu genießen. Schon der erste Trieb des Kindes trägt diese praktische Veränderung der Außendinge in sich; der Knabe wirft Steine in den Strom und bewundert nun die Kreise, die im Wasser sich ziehen, als ein Werk, worin er die Anschauung des Seinigen gewinnt. Dieses Bedürfnis geht durch die vielgestaltigsten Erscheinungen durch bis zu der Weise der Produktion seiner selbst in den Außendingen, wie sie im Kunstwerk vorhanden ist. Und nicht nur mit den Außendingen verfährt der Mensch in dieser Weise, sondern ebenso mit sich selbst, seiner eigenen Naturgestalt, die er nicht läßt, wie er sie findet, sondern die er absichtlich verändert. Dies ist die Ursache allen Putzes und Schmuckes, und wäre er noch so barbarisch, geschmacklos, völlig verunstaltend oder gar verderblich wie die Frauenfüße der Chinesen oder Einschnitte in Ohren und Lippen. Denn nur beim Gebildeten geht die Veränderung der Gestalt, des Benehmens und jeder Art und Weise der Äußerung aus geistiger Bildung hervor.

 Das allgemeine Bedürfnis zur Kunst also ist das vernünftige, daß der Mensch die innere und äußere Welt sich zum geistigen Bewußtsein als einen Gegenstand zu erheben hat, in welchem er sein eigenes Selbst wiedererkennt. Das Bedürfnis dieser geistigen Freiheit befriedigt er, indem er einerseits innerlich, was ist, für sich macht, ebenso aber dies Fürsichsein äußerlich realisiert und somit, was in ihm ist, für sich und andere in dieser Verdoppelung seiner zur Anschauung und Erkenntnis bringt. Dies ist die freie Vernünftigkeit des Menschen, in welcher, wie alles Handeln und Wissen, so auch die Kunst ihren Grund und notwendigen Ursprung hat. Ihr spezifisches Bedürfnis jedoch im Unterschiede des sonstigen politischen und moralischen Handelns, der religiösen Vorstellung und wissenschaftlichen Erkenntnis werden wir später sehen.

 


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