2. Das Kunstwerk als für den Sinn des Menschen dem Sinnlichen entnommen

d) Nach diesen Bemerkungen über die Betrachtungsweisen, zu welchen die Seite des Kunstwerks als selbst sinnliches Objekt auf den Menschen als sinnlichen eine wesentliche Beziehung zu haben Veranlassung gab, wollen wir jetzt diese Seite in ihrem wesentlicheren Verhältnis zur Kunst selbst betrachten, und zwar α) teils in Rücksicht auf das Kunstwerk als Objekt, β) teils in Rücksicht auf die Subjektivität des Künstlers, sein Genie, Talent usf., ohne uns jedoch auf dasjenige einzulassen, was in dieser Beziehung nur aus der Erkenntnis der Kunst in ihrem allgemeinen Begriff hervorgehen kann. Denn wir befinden uns hier noch nicht wahrhaft auf wissenschaftlichem Grund und Boden, sondern stehen nur erst auf dem Gebiete äußerlicher Reflexionen.
α) Das Kunstwerk bietet sich also allerdings für das sinnliche Auffassen dar. Es ist für die sinnliche Empfindung, äußerliche oder innerliche, für die sinnliche Anschauung und Vorstellung hingestellt, wie die äußere, uns umgebende oder wie unsere eigene innerliche empfindende Natur. Denn auch eine Rede z. B. kann für die sinnliche Vorstellung und Empfindung sein. Dessenungeachtet ist aber das Kunstwerk nicht nur für die sinnliche Auffassung, als sinnlicher Gegenstand, sondern seine Stellung ist von der Art, daß es als Sinnliches zugleich wesentlich für den Geist ist, der Geist davon affiziert werden und irgendeine Befriedigung darin finden soll.
Diese Bestimmung des Kunstwerks gibt nun sogleich Aufschluß darüber, daß dasselbe in keiner Weise ein Naturprodukt sein und seiner Naturseite nach Naturlebendigkeit haben soll, es möchte nun das Naturprodukt niedriger oder höher zu schätzen sein als ein bloßes Kunstwerk, wie man sich wohl etwa im Sinne der Geringschätzung auszudrücken pflegt.
Denn das Sinnliche des Kunstwerks soll nur Dasein haben, insofern es für den Geist des Menschen, nicht aber insofern es selbst als Sinnliches für sich selber existiert.
Betrachten wir näher, in welcher Weise das Sinnliche für den Menschen da ist, so finden wir: was sinnlich ist, kann auf verschiedene Weise zu dem Geiste sich verhalten.
αα) Die schlechteste, für den Geist am wenigsten geeignete Art ist die bloß sinnliche Auffassung. Sie besteht zunächst im bloßen Ansehen, Anhören, Anfühlen usf., wie es in Stunden geistiger Abspannung ja für manchen überhaupt eine Unterhaltung sein kann, gedankenlos umherzugehen und bloß hier zu hören, dort sich umzublicken usf. Bei dem bloßen Auffassen der Außendinge durch Gesicht und Gehör bleibt der Geist nicht stehen, er macht sie für sein Inneres, das zunächst selbst noch wieder in Form der Sinnlichkeit sich in den Dingen zu realisieren getrieben ist und sich zu ihnen als Begierde verhält. In dieser begierdevollen Beziehung auf die Außenwelt steht der Mensch als sinnlich Einzelner den Dingen als gleichfalls einzelnen gegenüber; er wendet sich nicht als Denkender mit allgemeinen Bestimmungen zu ihnen hinaus, sondern verhält sich nach einzelnen Trieben und Interessen zu den selbst einzelnen Objekten und erhält sich in ihnen, indem er sie gebraucht, verzehrt und durch ihre Aufopferung seine Selbstbefriedigung betätigt. In dieser negativen Beziehung verlangt die Begierde für sich nicht nur den oberflächlichen Schein der Außendinge, sondern sie selbst in ihrer sinnlich-konkreten Existenz. Mit bloßen Gemälden des Holzes, das sie gebrauchen, der Tiere, die sie aufzehren möchte, wäre der Begierde nicht gedient. Ebensowenig vermag die Begierde das Objekt in seiner Freiheit bestehen zu lassen, denn ihr Trieb drängt eben dahin, diese Selbständigkeit und Freiheit der Außendinge aufzuheben und zu zeigen, daß dieselben nur da seien, um zerstört und verbraucht zu werden. Zu gleicher Zeit aber ist auch das Subjekt, als von den einzelnen beschränkten und nichtigen Interessen seiner Begierden befangen, weder in sich selbst frei, denn es bestimmt sich nicht aus der wesentlichen Allgemeinheit und Vernünftigkeit seines Willens, noch frei in Rücksicht auf die Außenwelt, denn die Begierde bleibt wesentlich durch die Dinge bestimmt und auf sie bezogen.
In solchem Verhältnis nun der Begierde steht der Mensch zum Kunstwerk nicht. Er läßt es als Gegenstand frei für sich existieren und bezieht sich begierdelos darauf, als auf ein Objekt, das nur für die theoretische Seite des Geistes ist. Deshalb bedarf das Kunstwerk, obschon es sinnliche Existenz hat, in dieser Rücksicht dennoch eines sinnlich- konkreten Daseins und einer Naturlebendigkeit nicht, ja es darf sogar auf diesem Boden nicht stehenbleiben, insofern es nur geistige Interessen befriedigen und alle Begierde von sich ausschließen soll. Weshalb denn freilich die praktische Begierde die organischen und unorganischen einzelnen Naturdinge, welche ihr dienen können, höher achtet als Kunstwerke, die sich ihrem Dienste unbrauchbar erweisen und nur für andere Formen des Geistes genießbar sind.
ββ) Eine zweite Weise, in welcher das äußerlich Vorhandene für den Geist sein kann, ist der einzelnen sinnlichen Anschauung und praktischen Begierde gegenüber das rein theoretische Verhältnis zur Intelligenz. Die theoretische Betrachtung der Dinge hat nicht das Interesse, dieselben in ihrer Einzelheit zu verzehren und sich sinnlich durch sie zu befriedigen und zu erhalten, sondern sie in ihrer Allgemeinheit kennenzulernen, ihr inneres Wesen und Gesetz zu finden und sie ihrem Begriff nach zu begreifen. Daher läßt das theoretische Interesse die einzelnen Dinge gewähren und tritt vor ihnen als sinnlich einzelnen zurück, da diese sinnliche Einzelheit nicht das ist, was die Betrachtung der Intelligenz sucht. Denn die vernünftige Intelligenz gehört nicht dem einzelnen Subjekt als solchem wie die Begierde an, sondern dem Einzelnen als zugleich in sich Allgemeinem. Indem sich der Mensch dieser Allgemeinheit nach zu den Dingen verhält, ist es seine allgemeine Vernunft, die in der Natur sich selber zu finden und dadurch das innere Wesen der Dinge wiederherzustellen strebt, welches die sinnliche Existenz, obschon dasselbe ihren Grund ausmacht, nicht unmittelbar zeigen kann. Dies theoretische Interesse, dessen Befriedigung die Arbeit der Wissenschaft ist, teilt die Kunst nun aber in dieser wissenschaftlichen Form ebensowenig, als sie mit den Trieben der nur praktischen Begierde gemeinschaftliche Sache macht. Denn die Wissenschaft kann zwar von dem Sinnlichen in seiner Einzelheit ausgehen und eine Vorstellung besitzen, wie dies Einzelne unmittelbar in seiner einzelnen Farbe, Gestalt, Größe usw. vorhanden ist. Doch hat dies vereinzelte Sinnliche als solches dann keine weitere Beziehung auf den Geist, insofern die Intelligenz auf das Allgemeine, das Gesetz, den Gedanken und Begriff des Gegenstandes losgeht und ihn deshalb nicht nur seiner unmittelbaren Einzelheit nach verläßt, sondern ihn innerlich verwandelt, aus einem sinnlich Konkreten ein Abstraktum, ein Gedachtes und somit etwas wesentlich anderes macht, als dasselbe Objekt in seiner sinnlichen Erscheinung war. Dies tut das Kunstinteresse in seinem Unterschiede von der Wissenschaft nicht. Wie das Kunstwerk sich als äußeres Objekt in unmittelbarer Bestimmtheit und sinnlicher Einzelheit nach seiten der Farbe, Gestalt, Klanges oder als einzelne Anschauung usf. kundgibt, so ist es auch für die Kunstbetrachtung, ohne daß dieselbe über die unmittelbare Gegenständlichkeit, die ihr dargeboten wird, so weit hinausginge, den Begriff dieser Objektivität als allgemeinen Begriff erfassen zu wollen, wie es die Wissenschaft tut.
Von dem praktischen Interesse der Begierde unterscheidet sich das Kunstinteresse dadurch, daß es seinen Gegenstand frei für sich bestehen läßt, während die Begierde ihn für ihren Nutzen zerstörend verwendet; von der theoretischen Betrachtung wissenschaftlicher Intelligenz dagegen scheidet die Kunstbetrachtung sich in umgekehrter Weise ab, indem sie für den Gegenstand in seiner einzelnen Existenz Interesse hegt und denselben nicht zu seinem allgemeinen Gedanken und Begriff zu verwandeln tätig ist.
γγ) Hieraus nun folgt, daß das Sinnliche im Kunstwerk freilich vorhanden sein müsse, aber nur als Oberfläche und Schein des Sinnlichen erscheinen dürfe. Denn der Geist sucht im Sinnlichen des Kunstwerks weder die konkrete Materiatur, die empirische innere Vollständigkeit und Ausbreitung des Organismus, welche die Begierde verlangt, noch den allgemeinen, nur ideellen Gedanken, sondern er will sinnliche Gegenwart, die zwar sinnlich bleiben, aber ebensosehr von dem Gerüste seiner bloßen Materialität befreit werden soll. Deshalb ist das Sinnliche im Kunstwerk im Vergleich mit dem unmittelbaren Dasein der Naturdinge zum bloßen Schein erhoben, und das Kunstwerk steht in der Mitte zwischen der unmittelbaren Sinnlichkeit und dem ideellen Gedanken. Es ist noch nicht reiner Gedanke, aber seiner Sinnlichkeit zum Trotz auch nicht mehr bloßes materielles Dasein, wie Steine, Pflanzen und organisches Leben, sondern das Sinnliche im Kunstwerk ist selbst ein ideelles, das aber, als nicht das Ideelle des Gedankens, zugleich als Ding noch äußerlich vorhanden ist. Dieser Schein des Sinnlichen nun tritt für den Geist, wenn er die Gegenstände frei sein läßt, ohne jedoch in ihr wesentliches Inneres hinabzusteigen (wodurch sie gänzlich aufhören würden, für ihn als einzelne äußerlich zu existieren), nach außen hin als die Gestalt, das Aussehen oder als Klingen der Dinge auf. Deshalb bezieht sich das Sinnliche der Kunst nur auf die beiden theoretischen Sinne des Gesichts und Gehörs, während Geruch, Geschmack und Gefühl vom Kunstgenuß ausgeschlossen bleiben. Denn Geruch, Geschmack und Gefühl haben es mit dem Materiellen als solchem und den unmittelbar sinnlichen Qualitäten desselben zu tun; Geruch mit der materiellen Verflüchtigung durch die Luft, Geschmack mit der materiellen Auflösung der Gegenstände, und Gefühl mit Wärme, Kälte, Glätte usf. Aus diesem Grunde können es diese Sinne nicht mit den Gegenständen der Kunst zu tun haben, welche sich in ihrer realen Selbständigkeit erhalten sollen und kein nur sinnliches Verhältnis zulassen. Das für diese Sinne Angenehme ist nicht das Schöne der Kunst. Die Kunst bringt deshalb von seiten des Sinnlichen her absichtlich nur eine Schattenwelt von Gestalten, Tönen und Anschauungen hervor, und es kann gar nicht die Rede davon sein, daß der Mensch, indem er Kunstwerke ins Dasein ruft, aus bloßer Ohnmacht und um seiner Beschränktheit willen nur eine Oberfläche des Sinnlichen, nur Schemen darzubieten wisse. Denn diese sinnlichen Gestalten und Töne treten in der Kunst nicht nur ihrer selbst und ihrer unmittelbaren Gestalt wegen auf, sondern mit dem Zweck, in dieser Gestalt höheren geistigen Interessen Befriedigung zu gewähren, da sie von allen Tiefen des Bewußtseins einen Anklang und Wiederklang im Geiste hervorzurufen mächtig sind. In dieser Weise ist das Sinnliche in der Kunst vergeistigt, da das Geistige in ihr als versinnlicht erscheint.