2. Eckharts Nachfolger


a) Eckhart bedeutet die Höhe der deutschen Mystik; kühn und tiefsinnig, zart und innerlich, gleich weit entfernt von ungesunder Sinnlichkeit wie von Quietismus und Willkür (Antinomismus). Sein bedeutendster Schüler Heinrich Seuse oder Suso von Konstanz (1300-1365) ist schon weniger gesund, eine weiche Schwärmernatur, die ihr mystisches Ideal in einem religiösen Minnedienst, der lieblichen »Gemahlschaft« mit dem »allersüßesten« Jesus sieht. Doch bekämpft er eine andere Richtung, die sich gleichfalls auf Eckhart berief, die »Brüder (Schwestern) des freien Geistes«, die aus der Gelassenheit in Gott die sittliche Gleichgültigkeit alles Tuns folgerten. Ihnen gegenüber betonte er, dass die Nachfolge Christi auch aufs Leben und Wirken sich beziehe, dass die »Gelassenheit« wohl Freiheit gegenüber dem Buchstaben, nicht aber gesetzlose Willkür bedeute. Weit männlicher und kräftiger als Susos zarte Seele war

b) Johann Tauler von Straßburg (1300-1361) veranlagt, der in seinen volkstümlichen Reden und Schriften zur praktischen Nachfolge Christi mahnte. Anfangs mehr glänzender Redner, war er durch einen frommen Laien von der Sekte der »Gottesfreunde«, den später als Ketzer verbrannten Nikolaus von Basel, zu dieser inneren Wendung gebracht worden. Sein Kernbegriff, die »Armut«, ist ganz im Sinne Eckharts (s. o.) zu fassen. Zu der höchsten Stufe des »entäußerten Lebens« führt nur die Nachfolge Christi, die man auch entgegen der natürlichen Lust und Neigung üben soll. Übrigens ist der Mensch nicht von Grund aus schlecht, sondern wirkt von Natur lieber das Gute, wie die besten Heiden zeigen. Auch warnt Tauler vor übermäßiger Askese; die wahre Tugend liege in der Mitte. Neben diese nüchternen Betrachtungen tritt dann allerdings öfters die mystische Versenkung in die göttliche Liebe, die man »bis zur Berauschung trinken« soll.

c) Tauler und Eckhart sehr verwandt ist das 1518 von Luther, seitdem häufig herausgegebene, von einem unbekannten Verfasser des 14. Jahrhunderts stammende Büchlein: Theologia deutsch; oft fast wörtlich mit Eckhart übereinstimmend, nur als Abhandlung naturgemäß weniger rhetorisch als dessen Predigten gehalten, und mehr erbaulich als spekulativ. Gib alle Selbheit auf, alle geistige Hoffart, sei arm und demütig, tue das Gute rein um des Guten willen aus lauter Liebe: das sind auch hier die charakteristischen Lehren.

d) In den Niederlanden vertrat Johann von Ruysbroek (1293-1381, • als Prior eines Augustinerklosters bei Brüssel) die Sache der Mystik in einer Reihe von vlämisch geschriebenen, später von seinen Schülern ins Lateinische übersetzten Schriften, in denen er mehr die Mittel und Wege zu der mystischen Einigung mit Gott als die letztere selbst schildert, wie schon aus den Titeln: Die 7 Grade der Liebe, Die 7 Wachen, Die 4 Versuchungen, Der Schmuck der geistlichen Hochzeit hervorgeht. Sein Schüler Gerhard Groot gründete die »Brüderschaft zum gemeinsamen Leben«, aus der der berühmte Thomas a Kempis (1380-1471, eigentlich Thomas Hamerken von Kempen bei Köln) hervorging, der Verfasser des bekannten, auch heute noch viel und nicht bloß in katholischen Kreisen, verbreiteten Andachtsbuches De imitatione Christi, von dem es (nach Erdmann I, 466) gegen 2000 Ausgaben, darunter allein 1000 französische, geben soll. Wohl ist hier die Religion mystisch verinnerlicht, aber das sittliche Ideal bleibt doch das in mönchischer Weltflucht befangene Ideal des mittelalterlichen Katholizismus. Noch mehr als bei den vorigen tritt das spekulative hinter das religiös-erbauliche Moment zurück, dessen genauere Betrachtung nicht hierher gehört.

So endet die Philosophie des mittelalterlichen Christentums mit der Selbstauflösung der Scholastik und der Hingabe an eine aller weltlichen Weisheit abgewandte religiöse Mystik. Inzwischen waren anderswo die Elemente herangereift, die eine neue Zeit heraufführen oder doch vorbereiten sollten.

 

Literatur: Auch die Schriften von Eckharts Nachfolgern sind neuerdings bei E. Diederichs (Jena) in neuhochdeutscher Übertragung erschienen, so: H. Seuse, Deutsche Schriften und J. Taulers Predigten von W. Lehmann, 1911 bzw. 1913, die ›Deutsche Theologie‹ von Büttner, 1907; Susos deutsche Schriften auch von Bihlmeyer.


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Seite zuletzt aktualisiert: 29.10.2006 
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