§ 7. Traditionale Herrschaft: mit Verwaltungsstab


§ 7. Der Herr herrscht entweder 1. ohne oder 2. mit Verwaltungsstab. Über den ersten Fall s. § 7 a Nr. 1.

Der typische Verwaltungsstab kann rekrutiert sein aus:

a) traditional, durch Pietätsbande, mit dem Herrn Verbundenen (»patrimonial rekrutiert«):

α. Sippenangehörigen,

β. Sklaven,

γ. haushörige Hausbeamte, insbesondere: »Ministerialen«,

δ. Klienten,

ε. Kolonen,

ζ. Freigelassenen;

b) (»extrapatrimonial rekrutiert« aus:)

α. persönlichen Vertrauensbeziehungen (freie »Günstlinge« aller Art) oder

β. Treubund mit dem zum Herrn Legitimierten (Vasallen), endlich

γ. freie, in das Pietätsverhältnis zu ihm eintretende Beamte.

 

Zu a α) Es ist ein sehr oft sich findendes Verwaltungsprinzip traditionalistischer Herrschaften, die wichtigsten Stellungen mit Angehörigen der Herrensippe zu besetzen.

Zu a β): Sklaven und (a ζ) Freigelassene finden sich in patrimonialen Herrschaften oft bis in die höchsten Stellungen (frühere Sklaven als Großveziere waren nicht selten).

Zu a γ) Die typischen Hausbeamten: Seneschall (Großknecht), Marschall (Pferdeknecht), Kämmerer, Truchseß, Hausmeier (Vorsteher des Gesindes und eventuell der Vasallen) finden sich in Europa überall. Im Orient treten als besonders wichtig der Großeunuch (Haremswächter), bei den Negerfürsten oft der Henker, außerdem überall oft der Leibarzt, Leibastrologe und ähnliche Chargen hinzu.

Zu a δ) Die Königsklientel ist in China wie in Ägypten die Quelle des patrimonialen Beamtentums gewesen.

Zu a ε) Kolonenheere hat der ganze Orient, aber auch die Herrschaft der römischen Nobilität gekannt. (Noch der islâmischen Orient der Neuzeit kannte Sklavenheere.)

Zu b α) Die »Günstlings«-Wirtschaft ist jedem Patrimonialismus spezifisch und oft Anlaß »traditionalistischer Revolutionen« (Begriff s. am Schluß des §).

Zu b β) Über die »Vasallen« ist gesondert zu sprechen.

Zu b γ) Die »Bureaukratie« ist in Patrimonialstaaten zuerst entstanden, [und zwar] als Beamtentum mit extrapatrimonialer Rekrutierung. Aber diese Beamten waren, wie bald zu erwähnen, zunächst persönliche Diener des Herrn.

 

Es fehlt dem Verwaltungsstab der traditionalen Herrschaft im reinen Typus:

a) die feste »Kompetenz« nach sachlicher Regel,

b) die feste rationale Hierarchie,

c) die geregelte Anstellung durch freien Kontrakt und das geregelte Aufrücken,

d) die Fachgeschultheit (als Norm),

e) (oft) das feste und (noch öfter) das in Geld gezahlte Gehalt.

Zu a) An Stelle der festen sachlichen Kompetenz steht die Konkurrenz der vom Herrn zunächst nach freier Willkür gegebenen jeweiligen, dann dauernd werdenden, schließlich oft traditional stereotypierten Aufträge und Vollmachten untereinander, die insbesondere durch die Konkurrenz um die ebenso den Beauftragten wie dem Herrn selbst bei Inanspruchnahme ihrer Bemühungen zustehenden Sportelchancen geschaffen wird: durch solche Interessen werden oft erstmalig die sachlichen Zuständigkeiten und damit die Existenz einer »Behörde« konstituiert.

Alle mit Dauerzuständigkeit versehenen Beauftragten sind zunächst Hausbeamte des Herrn, ihre nicht hausgebundene (»extrapatrimoniale«) Zuständigkeit ist eine an ihren Hausdienst nach oft ziemlich äußerlichen sachlichen Verwandtschaften des Tätigkeitsgebiets angelehnte oder nach zunächst ganz freiem Belieben des Herrn, welches später traditional stereotypiert wird, ihnen zugewiesene Zuständigkeit. Neben den Hausbeamten gab es primär nur Beauftragte ad hoc.

 

Der fehlende »Kompetenz«-Begriff ergibt sich leicht bei Durchmusterung etwa der Liste der Bezeichnungen altorientalischer Beamter. Es ist – mit seltenen Ausnahmen – unmöglich, eine rational abgegrenzte sachliche Tätigkeitssphäre nach Art unserer »Kompetenz« als dauernd feststehend zu ermitteln.

Die Tatsache der Abgrenzung faktischer Dauerzuständigkeiten durch Konkurrenz und Kompromiß von Sportelinteressen ist insbesondere im Mittelalter zu beobachten. Die Wirkung dieses Umstandes ist eine sehr weitreichende gewesen. Sportelinteressen der mächtigen Königsgerichte und des mächtigen nationalen Anwaltsstandes haben in England die Herrschaft des römischen und kanonischen Rechts teils vereitelt, teils begrenzt. Die irrationale Abgrenzung zahlreicher Amtsbefugnisse aller Epochen war durch die einmal gegebene Abgrenzung der Sportelinteressensphären stereotypiert.

 

Zu b) Die Bestimmung, ob und an welche Beauftragten oder ob von dem Herrn selbst die Entscheidung eines Gegenstandes oder einer Beschwerde dagegen erledigt werden soll, ist entweder

α. traditional, zuweilen unter Berücksichtigung der Provenienz bestimmter von außen her übernommener Rechtsnormen oder Präzedenzien (Oberhof-System) geregelt, oder

β. völlig dem jeweiligen Belieben des Herrn anheimgestellt, dem, wo immer er persönlich erscheint, alle Beauftragten weichen.

 

Neben dem traditionalistischen Oberhof-System steht das aus der Sphäre der Herrenmacht stammende deutschrechtliche Prinzip: daß dem anwesenden Herrn alle Gerichtsbarkeit ledig wird, [sowie] das aus der gleichen Quelle und der freien Herrengnade stammende jus evocandi und sein moderner Ableger: die »Kabinettsjustiz«. Der »Oberhof« ist im Mittelalter besonders oft die Rechtsweisungsbehörde, von welcher aus das Recht eines Ortes importiert ist.

 

Zu c) Die Hausbeamten und Günstlinge sind sehr oft rein patrimonial rekrutiert: Sklaven oder Hörige (Ministerialen) des Herren. Oder sie sind, wenn extrapatrimonial rekrutiert, Pfründner (s.u.), die er nach formal freiem Ermessen versetzt. Erst der Eintritt freier Vasallen und die Verleihung der Ämter kraft Lehenskontrakts ändert dies grundsätzlich, schafft aber, – da die Lehen keineswegs durch sachliche Gesichtspunkte in Art und Ausmaß bestimmt werden, – in den Punkten a und b keine Änderung. Ein Aufrükken gibt es, außer unter Umständen bei präbendaler Struktur des Verwaltungsstabes (s. § 8), nur nach Willkür und Gnade des Herrn.

Zu d) Rationale Fachgeschultheit als prinzipielle Qualifikation fehlt primär allen Hausbeamten und Günstlingen des Herrn. Der Beginn der Fachschulung der Angestellten (gleichviel welcher Art) macht überall Epoche in der Art der Verwaltung.

 

Ein gewisses Maß empirischer Schulung ist für manche Ämter schon sehr früh erforderlich gewesen. Indessen vor allem die Kunst zu lesen und zu schreiben, ursprünglich wirklich noch eine »Kunst« von hohem Seltenheitswert, hat oft – wichtigstes Beispiel: China – durch die Art der Lebensführung der Literaten die ganze Kulturentwicklung entscheidend beeinflußt und die intrapatrimoniale Rekrutierung der Beamten beseitigt, dadurch also die Macht des Herrn »ständisch« (s. § 7a Nr. 3) beschränkt.

 

Zu e) Die Hausbeamten und Günstlinge werden primär am Tisch des Herrn und aus seiner Kammer verpflegt und equipiert. Ihre Abschichtung vom Herrentisch bedeutet in aller Regel Schaffung von (zunächst: Natural-) Pfründen, deren Art und Ausmaß sich leicht stereotypiert. Daneben (oder statt ihrer) stehen den außerhaushaltsmäßig beauftragten Organen des Herrn regelmäßig ebenso wie ihm selbst »Gebühren« zu (oft ohne jede Tarifierung von Fall zu Fall mit den um eine »Gunst« sich Bewerbenden vereinbart).

 

Über den Begriff der »Pfründe« s. § 8.


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