§ 16. Spezifizierte Gewaltenteilung
§ 16. Die Herrengewalt kann ferner abgemildert werden:
4. durch spezifizierte Gewaltenteilung: Übertragung spezifisch verschiedener, im Legalitätsfall (konstitutionelle Gewaltenteilung) rational bestimmter »Funktionen« als Herrengewalten auf verschiedene Inhaber, derart, daß nur durch ein Kompromiß zwischen ihnen in Angelegenheiten, welche mehrere von ihnen angehen, Anordnungen legitim zustande kommen.
1. »Spezifizierte« Gewaltenteilung bedeutet im Gegensatz zur »ständischen«: daß die Herrengewalten je nach ihrem sachlichen Charakter unter verschiedene Macht- (oder Kontroll-) Inhaber »verfassungsmäßig« (nicht notwendig: im Sinn der gesatzten und geschriebenen Verfassung) verteilt sind. Derart entweder, daß Verfügungen verschiedener Art nur durch verschiedene oder daß Verfügungen gleicher Art nur durch Zusammenwirken (also: ein nicht formal erzeugbares Kompromiß) mehrerer Machthaber legitim geschaffen werden können. Geteilt sind aber auch hier nicht: »Kompetenzen«, sondern: die Herrenrechte selbst.
2. Spezifizierte Gewaltenteilung ist nichts unbedingt Modernes. Die Scheidung zwischen selbständiger politischer und selbständiger hierokratischer Gewalt – statt Cäsaropapismus oder Theokratie – gehört hierher. Nicht minder kann man die spezifizierten Kompetenzen der römischen Magistraturen als eine Art der »Gewaltenteilung« auffassen. Ebenso die spezifizierten Charismata des Lamaismus. Ebenso die weitgehend selbständige Stellung der chinesischen (konfuzianischen) Hanlin-Akademie und der »Zensoren« gegenüber dem Monarchen. Ebenso die schon in Patrimonialstaaten, ebenso aber im römischen Prinzipat, übliche Trennung der Justiz- und Finanz- (Zivil-) von der Militärgewalt in den Unterstaffeln. Und letztlich natürlich überhaupt jede Kompetenzverteilung. Nur verliert der Begriff der »Gewaltenteilung« dann jede Präzision. Er ist zweckmäßigerweise auf die Teilung der höchsten Herrengewalt selbst zu beschränken. Tut man das, dann ist die rationale, durch Satzung (Konstitution) begründete Form der Gewaltenteilung: die konstitutionelle, durchaus modern. Jedes Budget kann im nicht parlamentarischen, sondern »konstitutionellen« Staat nur durch Kompromiß der legalen Autoritäten (Krone und – eine oder mehrere – Repräsentantenkammern) zustande kommen. Geschichtlich ist der Zustand in Europa aus der ständischen Gewaltenteilung entwickelt, theoretisch in England durch Montesquieu, dann Burke, begründet. Weiter rückwärts ist die Gewaltenteilung aus der Appropriation der Herrengewalten und Verwaltungsmittel an Privilegierte und aus den steigenden regulären ökonomisch-sozial bedingten (Verwaltungs-) und irregulären (vor allem durch Krieg bedingten) Finanzbedürfnissen erwachsen, denen der Herr ohne Zustimmung der Privilegierten nicht abhelfen konnte, aber – oft nach deren eigener Ansicht und Antrag – abhelfen sollte. Dafür war das ständische Kompromiß nötig, aus dem geschichtlich das Budgetkompromiß und die Satzungskompromisse – die keineswegs schon der ständischen Gewaltenteilung in dem Sinn zugehören, wie der konstitutionellen – erwachsen sind.
3. Konstitutionelle Gewaltenteilung ist ein spezifisch labiles Gebilde. Die wirkliche Herrschaftsstruktur bestimmt sich nach der Beantwortung der Frage: was geschehen würde, wenn ein satzungsgemäß unentbehrliches Kompromiß (z.B. über das Budget) nicht zustande käme. Ein budgetlos regierender König von England würde dann (heute) seine Krone riskieren, ein budgetlos regierender preußischer König nicht, im vorrevolutionären deutschen Reich wären die dynastischen Gewalten ausschlaggebend gewesen.