§ 6. Traditionale Herrschaft. Definition


§ 6. Traditional soll eine Herrschaft heißen, wenn ihre Legitimität sich stützt und geglaubt wird auf Grund der Heiligkeit altüberkommener (»von jeher bestehender«) Ordnungen und Herrengewalten. Der Herr (oder: die mehreren Herren) sind kraft traditional überkommener Regel bestimmt. Gehorcht wird ihnen kraft der durch die Tradition ihnen zugewiesenen Eigenwürde. Der Herrschaftsverband ist, im einfachsten Fall, primär ein durch Erziehungsgemeinsamkeit bestimmter Pietätsverband. Der Herrschende ist nicht »Vorgesetzter«, sondern persönlicher Herr, sein Verwaltungsstab primär nicht »Beamten«, sondern persönlichen »Dienern«, die Beherrschten nicht »Mitglieder« des Verbandes, sondern entweder: 1. »traditionale Genossen« (§ 7 a) oder 2. »Untertanen«. Nicht sachliche Amtspflicht, sondern persönliche Dienertreue bestimmten die Beziehungen des Verwaltungsstabes zum Herrn.

Gehorcht wird nicht Satzungen, sondern der durch Tradition oder durch den traditional bestimmten Herrscher dafür berufenen Person, deren Befehle legitim sind in zweierlei Art:

a) teilweise kraft eindeutig den Inhalt der Anordnungen bestimmender Tradition und in deren geglaubtem Sinn und Ausmaß, welches durch Überschreitung der traditionalen Grenzen zu erschüttern für die eigene traditionale Stellung des Herrn gefährlich werden könnte,

b) teilweise kraft der freien Willkür des Herrn, welcher die Tradition den betreffenden Spielraum zuweist.

Diese traditionale Willkür beruht primär auf der prinzipiellen Schrankenlosigkeit von pietätspflichtmäßiger Obödienz.

Es existiert also das Doppelreich

a) des material traditionsgebundenen Herrenhandelns,

b) des material traditionsfreien Herrenhandelns. Innerhalb des letzteren kann der Herr nach freier Gnade und Ungnade, persönlicher Zu- und Abneigung, und rein persönlicher, insbesondere auch durch Geschenke – die Quellen der »Gebühren«– zu erkaufender Willkür »Gunst« erweisen. Soweit er da nach Prinzipien verfährt, sind dies solche der materialen ethischen Billigkeit, Gerechtigkeit oder der utilitarischen Zweckmäßigkeit, nicht aber – wie bei der legalen Herrschaft –: formale Prinzipien. Die tatsächliche Art der Herrschaftsausübung richtet sich darnach: was üblicherweise der Herr (und sein Verwaltungsstab) sich gegenüber der traditionalen Fügsamkeit der Untertanen gestatten dürfen, ohne sie zum Widerstand zu reizen. Dieser Widerstand richtet sich, wenn er entsteht, gegen die Person des Herrn (oder: Dieners), der die traditionalen Schranken der Gewalt mißachtete, nicht aber: gegen das System als solches (»traditionalistische Revolution«).

Recht oder Verwaltungsprinzipien durch Satzung absichtsvoll neu zu »schaffen«, ist bei reinem Typus der traditionalen Herrschaft unmöglich. Tatsächliche Neuschöpfungen können sich also nur als von jeher geltend und nur durch »Weistum« erkannt legitimieren. Als Orientierungsmittel für die Rechtsfindung kommen nur Dokumente der Tradition: »Präzedenzien und Präjudizien« in Frage.


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