Schema der Lösung
Dem erzieherischen Aufbau der Arbeit in den Sektionen steht die Aufführung gegenüber als der Spannung die Lösung. Vor ihr tritt der Leiter gänzlich zurück. Denn keine pädagogische Klugheit kann vorhersehen, wie Kinder die geschulten Gebärden und Fertigkeiten mit tausend überraschenden Varianten zu einer theatralischen Totalität zusammenfassen. Kommt schon für den Berufsschauspieler die Erstaufführung als ein Anlaß der glücklichsten Varianten in der einstudierten Rolle nicht selten in Betracht, so bringt sie im Kinde das Genie der Variante zur vollen Herrschaft. Die Aufführung steht der erzieherischen Schulung gegenüber als die radikale Entbindung des Spiels, dem der Erwachsene einzig und allein zusehen kann.
Die Verlegenheiten der bourgeoisen Pädagogik und der heranwachsenden Bourgeoisie machen sich neuerdings in der Bewegung für »Jugendkultur« Luft. Der Widerstreit, den diese neue Tendenz zu vertuschen bestimmt ist, liegt in den Ansprüchen der bürgerlichen, wie jeder politischen, Gesellschaft an die unmittelbar politisch niemals zu belebenden Energien der Jugend. Vor allem der kindlichen. Nun versucht »Jugendkultur« den aussichtslosen Kompromiß: sie entleert den jugendlichen Enthusiasmus durch idealistische Reflektionen über sich selbst, um unmerklich die formalen Ideologien des deutschen Idealismus durch die Inhalte der Bürgerklasse zu ersetzen. Das Proletariat darf sein Klasseninteresse an den Nachwuchs nicht mit den unsauberen Mitteln einer Ideologie heranbringen, die bestimmt ist, die kindliche Suggestibilität zu unterjochen. Die Disziplin, welche die Bourgeoisie von den Kindern verlangt, ist ihr Schandmal. Das Proletariat diszipliniert erst die herangewachsenen Proletarier; seine ideologische Klassenerziehung setzt mit der Pubertät ein. Die proletarische Pädagogik erweist ihre Überlegenheit, indem sie Kindern die Erfüllung ihrer Kindheit garantiert. Der Bezirk, in dem dies geschieht, braucht darum nicht vom Raum der Klassenkämpfe isoliert zu sein. Spielweise können – ja müssen vielleicht – seine Inhalte und Symbole sehr wohl in ihm Platz finden. Eine förmliche Herrschaft über das Kind aber können sie nicht antreten. Sie werden das nicht beanspruchen. So bedarf es denn auch im Proletariat all der tausend Wörtchen nicht, in denen die Bourgeoisie die Klasseninteressen ihrer Pädagogik maskiert. Auf »unbefangene«, »verständnisvolle«, »einfühlende« Praktiken, auf »kinderliebe« Erzieherinnen wird man verzichten können.
Die Aufführung ist die große schöpferische Pause im Erziehungswerk. Sie ist im Reiche der Kinder, was der Karneval in alten Kulten gewesen ist. Das Oberste wird zuunterst gekehrt und wie in Rom an den Saturnalien der Herr den Sklaven bediente, so stehen während der Aufführung Kinder auf der Bühne und belehren und erziehen die aufmerksamen Erzieher. Neue Kräfte, neue Innervationen treten auf, von denen oft dem Leiter unter der Arbeit nichts ahnte. Erst in dieser wilden Entbindung der kindlichen Phantasie lernt er sie kennen. Kinder, die so Theater gespielt haben, sind in dergleichen Aufführungen frei geworden. Im Spielen hat sich ihre Kindheit erfüllt. Sie nehmen keine Restbestände mit, die später eine unsentimentale Aktivität durch larmoyante Kindheitserinnerungen hemmen. Dieses Theater ist für den kindlichen Zuschauer das einzig brauchbare. Wenn Erwachsene für Kinder spielen, kommt Lafferei heraus.
In diesem Kindertheater liegt eine Kraft, welche das pseudorevolutionäre Gebaren des jüngsten Theaters der Bourgeoisie vernichten wird. Denn wahrhaft revolutionär wirkt nicht die Propaganda der Ideen, die hier und da zu unvollziehbaren Aktionen anreizt und vor der ersten nüchternen Besinnung am Theaterausgang sich erledigt. Wahrhaft revolutionär wirkt das geheime Signal des Kommenden, das aus der kindlichen Geste spricht.