iii
Der General Iwan Fjodorowitsch Jepantschin stand mitten in seinem Arbeitszimmer und betrachtete mit größter Neugier den eintretenden Fürsten; er ging ihm sogar zwei Schritte entgegen. Der Fürst trat zu ihm heran und stellte sich vor.
„Sehr wohl“, antwortete der General, „womit kann ich dienen?“
„Ein dringliches Geschäft habe ich nicht; meine Absicht war einfach, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich möchte nicht stören, da ich weder Ihren Empfangstag noch Ihre Dispositionen kenne … Aber ich komme eben von der Bahn … ich bin aus der Schweiz hergereist.“
Der General war nahe daran zu lächeln, aber er überlegte und hielt inne; dann überlegte er noch ein wenig, kniff die Augen zusammen, musterte seinen Gast noch einmal vom Kopf bis zu den Füßen, bot ihm dann schnell einen Stuhl an, setzte sich selbst schräg gegenüber und wandte sich in ungeduldiger Erwartung zum Fürsten hin. Ganja stand in einer Ecke des Arbeitszimmers am Schreibtisch und blätterte in Papieren.
„Für neue Bekanntschaften habe ich im allgemeinen nur wenig Zeit“, sagte der General, „aber da Sie gewiß dabei Ihre Absicht haben, so …“
„Ich habe es mir vorher gedacht“, unterbrach ihn der Fürst, „daß Sie in meinem Besuch jedenfalls irgendeine besondere Absicht sehen würden. Aber bei Gott, außer dem Vergnügen, mit Ihnen bekannt zu werden, habe ich keinerlei besondere Absicht.“
„Das Vergnügen ist sicherlich auch für mich ein sehr großes, aber man kann sich nicht immer dem Vergnügen widmen; es kommen manchmal auch Geschäfte vor, wie Sie wissen werden … Außerdem vermag ich bis jetzt absolut keine gemeinsame Beziehung zwischen uns zu erkennen … sozusagen einen triftigen Grund …“
„Ein triftiger Grund ist unstreitig nicht vorhanden und gemeinsame Beziehungen gewiß nur wenige. Denn daß ich Fürst Myschkin bin und Ihre Gemahlin aus unserem Geschlecht stammt, ist selbstverständlich kein triftiger Grund. Das sehe ich sehr wohl ein. Aber doch liegt darin der ganze Anlaß meines Besuches. Ich bin ungefähr vier Jahre nicht in Rußland gewesen, mehr als vier Jahre, und als ich wegfuhr, war ich beinah nicht bei Sinnen! Damals kannte ich nichts in der Welt, und jetzt noch weniger. Ich bedarf des Verkehrs mit guten Menschen; und dann habe ich da auch noch eine geschäftliche Angelegenheit, und ich weiß nicht, wohin ich mich hinsichtlich derselben um Rat wenden soll. Schon in Berlin dachte ich: ‚Das sind beinah Verwandte von mir; mit denen werde ich den Anfang machen, vielleicht passen wir zueinander, sie zu mir und ich zu ihnen, — wenn sie gute Menschen sind.‘ Und daß Sie gute Menschen sind, hatte ich gehört.“
„Ich bin Ihnen sehr verbunden“, versetzte der General verwundert. „Gestatten Sie mir die Frage: wo sind Sie abgestiegen?“
„Ich bin noch nirgends abgestiegen.“
„Also sind Sie geradeswegs von der Bahn zu mir gekommen? Und … das Gepäck?“
„Als ganzes Gepäck habe ich ein kleines Bündelchen mit Wäsche bei mir, weiter nichts; das trage ich gewöhnlich in der Hand. Ich werde am Abend noch Zeit haben, mir ein Zimmer zu nehmen.“
„Also beabsichtigen Sie auch jetzt noch, in einen Gasthof zu gehen?“
„Ja, gewiß.“
„Nach Ihren Worten hatte ich beinah geglaubt, daß Sie einfach bei mir Quartier nehmen wollten.“
„Das wäre doch nur möglich, wenn Sie mich einlüden. Ich gestehe indessen, daß ich auch im Fall einer Einladung nicht hierbleiben würde, nicht aus irgendeinem besonderen Grunde, sondern nur, weil das so in meinem Charakter liegt.“
„Nun, da trifft es sich ja gut, daß ich Sie nicht eingeladen habe und nicht einladen werde. Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung, Fürst, um gleich mit einem Male alles klarzulegen: da wir uns soeben darüber ausgesprochen haben, daß von einer Verwandtschaft zwischen uns nicht die Rede sein kann, obwohl eine solche für mich selbstverständlich sehr schmeichelhaft sein würde, so folgt daraus …“
„So folgt daraus, daß ich aufstehen und weggehen soll?“ sagte der Fürst sich erhebend und lachte dabei trotz der schwierigen Lage, in der er sich offenbar befand, ganz heiter. „Und bei Gott, General, obwohl ich absolut keine praktische Kenntnis davon habe, was hier Brauch ist und wie hier überhaupt die Menschen leben, so hatte ich mir doch gedacht, daß zwischen uns die Sache genau den Verlauf nehmen werde, den sie jetzt wirklich genommen hat. Nun, vielleicht ist es so auch ganz in der Ordnung … Ich habe ja auch damals auf meinen Brief keine Antwort bekommen … Nun also, leben Sie wohl, und entschuldigen Sie, daß ich gestört habe!“
Die Miene des Fürsten war in diesem Augenblick so freundlich und sein Lächeln so frei von jeder Beimischung irgendeines verborgenen, feindseligen Gefühls, daß der General plötzlich stutzte und seinen Gast in anderer Weise ansah; die ganze Veränderung seiner Ansicht vollzog sich in einem Moment.
„Wissen Sie, Fürst“, sagte er in ganz anderem Ton, „ich kenne Sie ja noch gar nicht, und auch Lisaweta Prokofjewna wird vielleicht den Wunsch haben, ihren Namensvetter zu sehen … Warten Sie doch ein Weilchen, wenn Sie wollen und Ihre Zeit es erlaubt.“
„Oh, meine Zeit erlaubt es schon; meine Zeit steht ganz zu meiner Verfügung.“ (Der Fürst legte sogleich seinen weichen, rundkrempigen Hut auf den Tisch.) „Ich muß bekennen, ich hatte auch darauf gerechnet, daß Lisaweta Prokofjewna sich vielleicht an das, was ich ihr geschrieben habe, erinnern werde. Vorhin, als ich dort bei Ihnen wartete, argwöhnte Ihr Diener, daß ich gekommen sei, um Sie um eine Unterstützung zu bitten; ich merkte das, und Sie werden wohl in dieser Hinsicht strenge Instruktionen erteilt haben; aber ich bin wirklich nicht deswegen hergekommen, sondern wirklich nur, um mit Menschen zusammenzukommen. Ich fürchte nur, Ihnen lästig geworden zu sein, und das beunruhigt mich.“
„Hören Sie, Fürst“, sagte der General mit einem heiteren Lächeln, „wenn Sie wirklich ein solcher Mensch sind, wie es den Anschein hat, so wird die Bekanntschaft mit Ihnen vielleicht ganz angenehm sein; nur, sehen Sie, ich bin von Geschäften stark in Anspruch genommen und muß mich gleich wieder hinsetzen und dies und das durchsehen und unterschreiben, und dann begebe ich mich zu Seiner Erlaucht und dann in den Dienst; so kommt es, daß, wenn mir auch der Verkehr mit guten Menschen Freude macht … das heißt … aber … Übrigens bin ich von Ihrer vortrefflichen Erziehung so fest überzeugt, daß … Aber wie alt sind Sie eigentlich, Fürst?“
„Sechsundzwanzig.“
„Oh! Ich hatte Sie weit jünger geschätzt.“
„Ja, man sagt mir, daß ich ein jugendliches Gesicht habe. Aber Sie nicht zu stören, das werde ich schon lernen und bald begreifen, weil es mir selbst sehr zuwider ist, jemanden zu stören … Und schließlich sind wir, wie mir scheint, dem Äußern nach in vielerlei Hinsicht so verschiedene Menschen, daß wir wohl nicht viele Berührungspunkte haben können. Aber wissen Sie, an diese letzte Bemerkung glaube ich selbst nicht recht; denn sehr oft scheint es nur so, daß keine Berührungspunkte vorhanden seien, und sie sind doch in Menge da … Das kommt von der menschlichen Trägheit, indem die Menschen einander nur nach dem äußeren Schein klassifizieren und dabei keine Ähnlichkeiten finden können … Aber ich langweile Sie wohl schon? Es kommt mir vor, als ob Sie …“
„Nur zwei Worte: besitzen Sie wenigstens etwas Vermögen? Oder beabsichtigen Sie vielleicht, irgendeine Beschäftigung anzunehmen? Verzeihen Sie, daß ich so …“
„Aber ich bitte Sie, ich finde Ihre Frage sehr natürlich und begreiflich. Ich besitze zur Zeit gar kein Vermögen und habe vorläufig auch keine Beschäftigung, möchte aber eine solche haben. Ich habe jetzt von fremdem Geld gelebt; mein Professor Schneider, bei dem ich in der Schweiz eine Kur machte und mich wissenschaftlich weiterbildete, hat mir das Reisegeld gegeben, und zwar nur gerade ausreichend, so daß ich jetzt nur einige Kopeken übrig habe. Allerdings habe ich da eine geschäftliche Angelegenheit, in der ich einen guten Rat gebrauchen könnte, aber …“
„Sagen Sie, wovon beabsichtigen Sie denn zunächst zu leben und welches sind Ihre Pläne für die Zukunft?“ unterbrach ihn der General.
„Ich wollte irgendwie arbeiten.“
„Och, Sie sind offenbar ein Philosoph; indessen … besitzen Sie nach Ihrem eigenen Urteil irgendwelche Talente oder wenigstens einige Fähigkeiten, das heißt solche, durch die man sich sein tägliches Brot verdienen kann? Verzeihen Sie wieder …“
„Oh, es bedarf keiner Entschuldigung! Nein, ich besitze meiner Meinung nach weder Talente noch besondere Fähigkeiten; im Gegenteil, ich habe sogar, weil ich ein kranker Mensch bin, keinen regulären Unterrichtsgang durchgemacht. Was das tägliche Brot anlangt, so möchte ich meinen …“
Der General unterbrach ihn wieder und begann ihn von neuem zu fragen. Der Fürst erzählte noch einmal alles, was er schon vorher erzählt hatte. Es stellte sich heraus, daß der General von dem verstorbenen Pawlischtschew gehört und ihn sogar persönlich gekannt hatte. Warum Pawlischtschew sich für die Erziehung des Fürsten interessiert hatte, das wußte dieser selbst nicht zu erklären, vielleicht einfach aus alter Freundschaft mit seinem verstorbenen Vater. Der Fürst war noch ein kleines Kind gewesen, als der Tod seiner Eltern ihn zur Waise machte, war auf dem Lande aufgewachsen und hatte dort seine ganze Jugend verlebt, namentlich auch, weil sein Gesundheitszustand Landluft verlangte. Pawlischtschew hatte ihn ein paar alten Gutsbesitzerinnen, die mit ihm verwandt waren, anvertraut; es wurde für ihn zuerst eine Gouvernante, dann ein Hauslehrer angenommen; er erklärte übrigens, daß er sich zwar an alles erinnere, aber nur über weniges in befriedigender Weise zu berichten vermöge, da er sich über vieles seinerzeit nicht habe Rechenschaft geben können. Die häufigen Krankheitsanfälle hätten ihn fast zum Idioten gemacht (der Fürst gebrauchte diesen Ausdruck: zum Idioten). Er erzählte endlich, daß Pawlischtschew eines Tages in Berlin den Schweizer Professor Schneider kennengelernt habe, der sich speziell mit diesen Krankheiten beschäftige, in der Schweiz, im Kanton Wallis, eine Heilanstalt besitze und dort nach seiner eigenen Methode Idiotie und andere Geisteskrankheiten mit kaltem Wasser und gymnastischen Übungen kuriere und dabei seine Patienten auch unterrichte und überhaupt für ihre geistige Entwicklung sorge; zu diesem Professor Schneider habe Pawlischtschew ihn vor etwa vier Jahren nach der Schweiz geschickt, sei aber selbst vor zwei Jahren plötzlich gestorben, ohne weitere Anordnungen getroffen zu haben; Schneider habe ihm noch zwei Jahre Unterhalt gewährt und ihn behandelt; er habe ihn zwar nicht völlig geheilt, aber doch eine erhebliche Besserung seines Zustandes herbeigeführt; schließlich habe er ihn auf eigenen Wunsch und infolge eines besonderen Umstandes jetzt nach Rußland geschickt.
Der General war sehr erstaunt.
„Und Sie kennen bei uns in Rußland niemand, absolut niemand?“ fragte er.
„Zur Zeit kenne ich niemand … aber ich hoffe … außerdem habe ich einen Brief erhalten …“
„Aber Sie haben doch wenigstens“, unterbrach ihn der General, ohne auf das, was der Fürst von dem Brief sagte, recht hinzuhören, „irgend etwas gelernt, und Ihre Krankheit hindert Sie nicht, eine nicht gerade mühevolle Stelle irgendwo im Staatsdienst anzunehmen?“
„Oh, daran wird sie mich gewiß nicht hindern. Und was eine Stelle betrifft, so ist es sogar mein lebhafter Wunsch, eine solche zu erhalten, weil ich selbst gern sehen möchte, wozu ich tauglich bin. An meiner geistigen Bildung habe ich die ganzen vier Jahre lang ständig gearbeitet, freilich nicht in regelrechter Form, sondern nach des Professors eigenem System, und es ergab sich; daß ich dabei sehr viele russische Bücher las.“
„Russische Bücher? Also können Sie russisch lesen und ohne orthographische Fehler schreiben?“
„Oh, das kann ich sehr wohl.“
„Vortrefflich! Und die Handschrift?“
„Meine Handschrift ist vorzüglich. Hierin besitze ich vielleicht sogar Talent; ich bin geradezu ein Kalligraph. Gestatten Sie, daß ich Ihnen sofort etwas zur Probe schreibe!“ sagte der Fürst eifrig.
„Haben Sie die Freundlichkeit! Es ist das sogar erforderlich … Und diese Ihre Bereitwilligkeit gefällt mir sehr, Fürst; Sie sind wirklich sehr liebenswürdig.“
„Sie haben so prächtige Schreibutensilien, was für eine Menge Bleistifte und Federn, und wie kräftiges, prachtvolles Papier! … Und was Sie für ein wundervolles Arbeitszimmer haben! Diese Landschaft hier kenne ich, es ist eine Ansicht aus der Schweiz. Ich glaube sicher, daß der Maler das Bild nach der Natur gemalt hat, und daß ich diese Örtlichkeit gesehen habe: es ist aus dem Kanton Uri …“
„Das kann leicht sein, obwohl das Bild hier gekauft ist. Ganja, geben Sie dem Fürsten Papier; hier sind Federn und Papier. Bitte, setzen Sie sich an dieses Tischchen! Was ist das?“ wandte sich der General zu Ganja, der unterdessen aus seinem Portefeuille eine Photographie in Großformat herausgenommen hatte und ihm nun zeigte. „Ah, Nastasja Filippowna! Hat sie dir das selbst geschickt? Selbst?“ fragte er Ganja lebhaft und mit dem größten Interesse.
„Sie hat es mir soeben gegeben, als ich da war, um ihr zu gratulieren. Ich hatte sie schon lange darum gebeten. Ich weiß nicht, ob das nicht etwa von ihrer Seite eine Anspielung sein soll, daß ich selbst mit leeren Händen, ohne Geschenk, an einem solchen Tage zu ihr kam“, fügte Ganja mit einem unangenehmen Lächeln hinzu.
„Aber nein!“ unterbrach ihn der General im Tone fester Überzeugung. „Was ist das bei dir für eine seltsame Gedankenverbindung! Sie sollte eine solche Anspielung machen … und dabei ist sie überhaupt ganz und gar nicht eigennützig. Außerdem, was könntest du ihr schenken? Dazu gehören ja doch Tausende! Etwa dein Bild? Hat sie dich übrigens noch nicht um dein Bild gebeten?“
„Nein, das hat sie noch nicht getan, und sie wird es auch vielleicht nie tun. Sie denken doch gewiß an die heutige Abendgesellschaft, Iwan Fjodorowitsch? Sie haben doch gewiß auch eine ausdrückliche Einladung erhalten?“
„Gewiß, ich denke daran, gewiß, und werde hingehen. Selbstverständlich! Ihr Geburtstag, an dem sie fünfundzwanzig Jahre alt wird! Hm … Aber weißt du, Ganja, ich will es dir in Gottes Namen verraten. Bereite dich vor! Sie hat mir und Afanassij Iwanowitsch versprochen, sie werde heute abend bei sich zu Hause das letzte Wort sagen: Sein oder Nichtsein. Also mache dich darauf gefaßt, weißt du!“
Ganja geriet auf einmal in eine solche Bestürzung, daß er sogar ein wenig blaß wurde.
„Hat sie das wirklich gesagt?“ fragte er, und es war, als zittere ihm die Stimme.
„Vorgestern hat sie uns ihr Wort gegeben. Wir haben sie beide so in die Enge getrieben, daß sie nicht anders konnte. Nur bat sie uns, dir vorher nichts davon zu verraten.“
Der General blickte Ganja forschend ins Gesicht; Ganjas Bestürzung mißfiel ihm offenbar.
„Halten Sie sich gegenwärtig, Iwan Fjodorowitsch“, sagte Ganja in aufgeregtem, unsicherem Ton, „daß sie mir ja für meine Entschließung volle Freiheit gelassen hat bis zu dem Augenblick, wo sie selbst sich entschieden haben wird, und auch dann habe ich immer noch freie Hand, mein Wort …“
„Also willst du vielleicht … also willst du vielleicht …“, unterbrach ihn der General erschrocken.
„Ich habe nichts gesagt.“
„Aber ich bitte dich, was willst du uns antun?“
„Ich weigere mich ja nicht. Ich habe mich vielleicht nicht richtig ausgedrückt …“
„Das fehlte auch noch, daß du dich weigertest!“ rief der General unwillig, ohne seinen Ärger verbergen zu wollen. „Lieber Freund, was du jetzt zu tun hast, ist nicht etwa, dich ‚nicht zu weigern‘, sondern bereitwillig, mit Vergnügen, mit Freude ihr Jawort zu empfangen … Wie steht es denn bei dir zu Hause?“
„Bei mir zu Hause? Bei mir zu Hause geht alles nach meinem Willen. Nur mein Vater treibt seine Dummheiten wie sonst, er ist jetzt schon ein ganz verkommener Mensch; ich rede mit ihm gar nicht mehr; aber ich halte ihn im Zaum und würde ihm, wenn nicht die Mutter wäre, weiß Gott die Tür weisen. Die Mutter weint natürlich fortwährend, und die Schwester bost sich, aber ich habe ihnen schließlich klipp und klar gesagt, daß ich mein Schicksal selbst zu bestimmen habe und im Hause meine … Anordnungen befolgt zu sehen wünsche. Meiner Schwester wenigstens habe ich das in Gegenwart der Mutter mit aller Deutlichkeit gesagt.“
„Recht klug werde ich aus der Sache immer noch nicht, lieber Freund“, bemerkte der General nachdenklich, wobei er die Schultern etwas in die Höhe zog und die Arme ein wenig ausbreitete. „Nina Alexandrowna hat mir noch neulich, als sie mich besuchen kam (du erinnerst dich wohl?), etwas vorgestöhnt und vorgejammert: ‚Was haben Sie denn eigentlich?‘ fragte ich sie. Schließlich kam es heraus, daß sie darin eine Art Entehrung sehen. Nun möchte ich bloß wissen, was darin für eine Entehrung liegen soll! Wer kann Nastasja Filippowna irgendeinen Vorwurf machen oder ihr irgend etwas Schlechtes nachsagen? Etwa, daß sie mit Tozkij ein Verhältnis gehabt hat? Aber das ist ja doch lauter dummes Zeug, namentlich in Anbetracht gewisser Umstände! ‚Sie werden sie doch auch nicht mit Ihren Töchtern verkehren lassen‘, sagte sie. Na, so was! Ei, ei, Nina Alexandrowna! Das ist ja doch eine arge Verkennung … eine arge Verkennung …“
„Der eigenen Stellung“, ergänzte Ganja den Satz des Generals, der nach einem Ausdruck suchte. „Aber sie versteht ihre Stellung; seien Sie ihr nicht böse! Ich habe ihnen übrigens damals gehörig den Kopf gewaschen, damit sie sich nicht wieder in fremde Angelegenheiten einmischen. Und doch bleibt bisher bei uns zu Hause alles nur deswegen im Geleise, weil das letzte Wort noch nicht gesprochen ist; aber das Gewitter rückt heran. Wenn heute das letzte Wort gesprochen wird, dann ist damit alles entschieden.“
Der Fürst, der in einer Ecke bei seiner kalligraphischen Probearbeit saß, hörte dieses ganze Gespräch mit an. Nun war er fertig, trat an den Tisch und überreichte dem General sein Blatt.
„Also das ist Nastasja Filippowna?“ sagte er, indem er das Porträt aufmerksam und neugierig betrachtete. „Eine wunderbar schöne Frau!“ setzte er sogleich lebhaft hinzu.
Das Porträt stellte in der Tat eine Frau von ungewöhnlicher Schönheit dar. Sie hatte sich in einem schwarzen Seidenkleid von außerordentlich einfachem, elegantem Schnitt photographieren lassen; das anscheinend dunkelblonde Haar zeigte eine schlichte, für das Haus bestimmte Frisur; die Augen waren dunkel und tief, die Stirn nachdenklich; das Gesicht trug einen leidenden und dabei, wie es schien, doch hochmütigen Ausdruck. Sie war im Gesicht etwas mager und vielleicht auch blaß … Ganja und der General sahen den Fürsten erstaunt an …
„Nastasja Filippowna? Kennen Sie Nastasja Filippowna etwa schon?“ fragte der General.
„Ja, ich bin erst vierundzwanzig Stunden in Rußland und kenne bereits eine solche Schönheit“, antwortete der Fürst. Und nun berichtete er von seiner Begegnung mit Rogoshin und teilte alles mit, was dieser erzählt hatte.
„Das ist ja eine hübsche Neuigkeit!“ rief der General, der wieder in Unruhe geraten war. Er hatte die Erzählung mit großer Aufmerksamkeit angehört und blickte nun Ganja fragend an.
„Wahrscheinlich nur so eine Unschicklichkeit“, murmelte dieser, dem gleichfalls eine gewisse Betroffenheit anzumerken war. „Ein Kaufmannssöhnchen schlägt über die Stränge. Ich hatte schon etwas davon gehört.“
„Auch ich hatte davon gehört, lieber Freund“, erwiderte der General. „Nastasja Filippowna hat mir gleich damals nach der Geschichte mit den Ohrringen den ganzen Hergang erzählt. Aber die Sache gewinnt jetzt ein anderes Gesicht. Hier kommt vielleicht wirklich eine Million ins Spiel und … eine Leidenschaft. Eine verdrehte Leidenschaft allerdings; aber es sieht doch nach Leidenschaft aus, und man weiß ja, wozu diese Herren in solchem Rausche fähig sind! … Hm! … Wenn daraus nur nicht ein Skandal entsteht!“ schloß der General nachdenklich.
„Sie haben Furcht vor der Million?“ fragte Ganja lächelnd.
„Du wohl nicht?“
„Was hatten Sie für einen Eindruck, Fürst?“ wandte sich Ganja plötzlich an ihn. „Ist das ein energischer Mensch oder nur so ein windiger Patron? Wie urteilen Sie über ihn?“
In Ganja ging, als er diese Frage stellte, etwas Besonderes vor. Ein neuer, eigenartiger Gedanke war, wie es schien, in seinem Gehirn aufgeflammt und leuchtete nun ungeduldig aus seinen Augen hervor. Der General, der in wirkliche, ernste Unruhe geraten war, schielte gleichfalls nach dem Fürsten hin, aber mit einem Gesicht, als wenn er von dessen Antwort nicht viel erwarte.
„Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll“, antwortete der Fürst, „aber mir schien, daß er von einer starken Leidenschaft, ja von einer krankhaften Leidenschaft ergriffen sei. Auch körperlich machte er noch durchaus den Eindruck eines Kranken. Sehr möglich, daß er sich gleich in den ersten Tagen seines Aufenthaltes hier in Petersburg wieder ins Bett legen muß, namentlich wenn er zu wild draufloslebt.“
„So! Also diesen Eindruck hatten Sie?“ fragte der General, dessen Interesse dieser Gedanke erregte.
„Ja, den Eindruck hatte ich.“
„Und derartige Skandalgeschichten werden sich möglicherweise nicht erst in einigen Tagen ereignen, sondern es kann noch heute, ehe es Abend wird, eine überraschende Wendung eintreten“, sagte Ganja lächelnd zum General.
„Hm! … Gewiß … Sehr möglich; es hängt ganz davon ab, was sie gerade für einen Einfall hat“, versetzte der General.
„Sie wissen ja, wie wunderlich sie manchmal ist.“
„Was meinst du damit?“ rief der General, der sehr verstimmt war, heftig. „Hör mal, Ganja, tu mir den Gefallen und widersprich ihr heute nicht zuviel, und gib dir Mühe, so recht, weißt du … mit einem Worte, so recht herzlich zu sein … Hm! … Warum ziehst du den Mund schief? Hör mal, Gawrila Ardalionytsch, ich halte für zweckmäßig, für sehr zweckmäßig, dir zu sagen: wozu geben wir uns all die Mühe? Du siehst wohl ein, daß ich mich hinsichtlich meines eigenen Gewinnanteils, den mir die Sache bringen soll, längst gesichert habe; ich werde die Angelegenheit auf die eine oder die andere Art, aber jedenfalls zu meinem Vorteil erledigen. Tozkij hat seinen Entschluß gefaßt und wird daran unerschütterlich festhalten, so daß ich mich völlig darauf verlassen kann. Wenn ich daher jetzt noch einen Wunsch hege, so habe ich dabei einzig und allein deinen Vorteil im Auge. Das kannst du dir doch selbst sagen; oder traust du mir etwa nicht? Dabei bist du doch ein Mensch … ein Mensch … mit einem Worte, ein Mensch, der Verstand besitzt, und ich habe in dieser Hinsicht auf dich gerechnet … und Verstand ist doch im vorliegenden Falle … im vorliegenden Falle …“
„Die Hauptsache“, beendete Ganja den Satz, indem er wieder dem nach einem Ausdruck suchenden General zu Hilfe kam. Dabei verzog er seine Lippen zu einem boshaften Lächeln, das er nicht mehr zu verbergen suchte. Er sah mit seinem brennenden Blick dem General gerade in die Augen, wie wenn er wünschte, daß jener in diesem Blick all seine Gedanken lesen möchte. Der General wurde dunkelrot und fuhr auf.
„Nun ja, Verstand ist die Hauptsache!“ stimmte er bei und blickte Ganja scharf an. „Du bist doch ein komischer Mensch, Gawrila Ardalionytsch! Wie ich merke, freust du dich ordentlich über das Auftreten dieses Kaufmannssohnes, als ob du darin für dich einen Weg sähest, um aus der Sache herauszukommen. Aber gerade hier wäre es nötig, gleich von Anfang an Verstand zu beweisen; gerade hier wäre es nötig, zu begreifen und beiderseits offen und ehrlich zu verfahren, gegebenenfalls aber wenigstens vorher Mitteilung zu machen, um nicht andere Leute zu kompromittieren, um so mehr, als dazu Zeit genug vorhanden war und sogar jetzt noch Zeit genug ist“ (der General zog bedeutsam die Augenbrauen in die Höhe),„obwohl wir nur noch ein paar Stunden übrig haben … Hast du verstanden? Ja? Willst du eigentlich, oder willst du nicht? Wenn du nicht willst, so sage es; das soll mir auch recht sein. Niemand wird Sie festhalten, Gawrila Ardalionytsch, niemand Sie mit Gewalt in das Fuchseisen hineinziehen, wenn Sie wirklich hier nur ein Fuchseisen zu sehen glauben.“
„Ich will“, erwiderte Ganja halblaut, aber mit fester Stimme; dann schlug er die Augen nieder und verstummte mit finsterer Miene.
Der General war zufriedengestellt. Er war hitzig geworden, bereute es aber offenbar schon, daß er soweit gegangen war. Plötzlich wandte er sich zum Fürsten, und über sein Gesicht schien der beunruhigende Gedanke hinzugehen, daß der Fürst das alles mit angehört hatte. Aber er beruhigte sich sofort wieder: dazu genügte ein einziger Blick auf diesen.
„Oho!“ rief der General, als er das kalligraphische Probestück betrachtete, das ihm der Fürst reichte. „Das ist ja geradezu eine Schönschreibevorschrift! Und noch dazu von seltener Schönheit! Sieh mal, Ganja, was für ein Talent!“
Auf ein dickes Blatt Velinpapier hatte der Fürst in mittelalterlicher russischer Schrift den Satz geschrieben:
„Der demütige Abt Pafnutij hat dies eigenhändig unterzeichnet.“
„Sehen Sie nur“, erklärte der Fürst mit außerordentlicher Freude und Lebhaftigkeit, „dies ist die eigenhändige Unterschrift des Abtes Pafnutij aus dem vierzehnten Jahrhundert, nach einem Faksimile. Sie bewiesen in ihren Unterschriften eine außerordentliche Kunst, all unsere alten Äbte und Metropoliten, und wie geschmackvoll sehen diese Unterschriften manchmal aus, und welche Sorgfalt lassen sie erkennen! Haben Sie nicht wenigstens die Pogodinsche Ausgabe, General? Dann habe ich Ihnen hier etwas in einer anderen Schrift geschrieben: das ist die runde, derbe französische Schrift des vorigen Jahrhunderts; einige Buchstaben weisen sogar abweichende Formen auf; es ist die Schrift der öffentlichen Schreiber, die auf den Marktplätzen saßen; ich habe sie aus einem ihrer Vorschriftenbücher entnommen (ich besaß eins); Sie werden zugeben müssen, daß sie nicht ohne gewisse Vorzüge ist. Betrachten Sie nur diese runden o und a. Ich habe den französischen Schriftcharakter auf das russische Alphabet übertragen, was eine recht schwere Aufgabe war; aber es ist mir doch gut gelungen. Hier ist noch eine schöne, eigenartige Schrift, hier der Satz: ‚Eifer überwindet alles.‘ Das ist eine echt russische Schrift, die Schrift der Schreiber oder, wenn Sie wollen, der Militärschreiber. So schreibt man ein amtliches Schriftstück an eine hochgestellte Persönlichkeit; es ist gleichfalls eine runde Schrift, eine sehr schöne, schlichte Schrift, in schlichter Art, aber mit beachtenswertem Geschmack geschrieben. Ein Kalligraph würde diese Schnörkel oder, richtiger gesagt, diese Versuche zu Schnörkeln, hier diese unvollendeten, halben Schwänzchen — sehen Sie, diese hier! — nicht billigen; aber im ganzen — wollen Sie darauf achten! — tritt doch darin ein bestimmter Charakter zutage, und es guckt ordentlich die ganze Seele des Militärschreibers heraus: sie möchte sich gern frei ergehen, und das Talent bittet um die Möglichkeit, sich zu betätigen; aber der Uniformkragen ist fest zugehakt, die Disziplin kommt auch in der Handschrift zum Ausdruck, es ist zum Entzücken! Erst kürzlich frappierte mich ein solches Muster, welches ich zufällig fand, und wo hatte ich es gefunden? In der Schweiz! Nun weiter! Hier ist die einfache, gewöhnliche, ganz reine englische Schrift, das Äußerste an Eleganz, da ist alles reizend, perlenartig, geradezu vollendet. Aber da ist noch eine Variation, und zwar wieder eine französische; ich habe sie einem französischen Commis voyageur entlehnt: es ist dieselbe englische Schrift, aber die Grundstriche sind um eine Kleinigkeit dicker und kräftiger als bei der englischen, und gleich ist das Verhältnis von Licht und Schatten gestört. Und beachten Sie noch dies: die Gestalt der Ovale ist geändert; sie ist eine Kleinigkeit rundlicher, und außerdem sind Schnörkel zugelassen; der Schnörkel aber, das ist ein höchst gefährliches Ding! Der Schnörkel verlangt ungewöhnlich guten Geschmack; aber wenn er dann gelingt, wenn das richtige Verhältnis getroffen ist, dann ist eine solche Schrift auch mit nichts zu vergleichen; man könnte sich geradezu in sie verlieben.“
„Oho! In was für Subtilitäten geraten Sie da hinein!“ rief der General lachend. „Sie sind ja gar kein gewöhnlicher Kalligraph, mein Bester; Sie sind ein Künstler! Nicht wahr, Ganja?“
„Erstaunlich!“ sagte Ganja. „Und Sie sind sich auch bewußt, wozu Sie berufen sind“, fügte er spöttisch lachend hinzu.
„Lache du nur, lache du nur!“ sagte der General, „aber diese Fähigkeit eröffnet dem Fürsten eine gute Laufbahn. Wissen Sie, Fürst, an was für hohe Persönlichkeiten wir Sie jetzt werden Briefe schreiben lassen? Fünfunddreißig Rubel kann man Ihnen gleich von vornherein monatlich geben. Aber es ist schon halb eins“, unterbrach er sich mit einem Blick auf die Uhr. „Also schnell zur Sache, Fürst, denn ich muß mich beeilen, und wir werden uns heute vielleicht nicht mehr sehen. Nehmen Sie einen Augenblick Platz; ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich nicht in der Lage bin, Sie sehr oft zu empfangen; aber ich wünsche von Herzen, Ihnen ein wenig behilflich zu sein, selbstverständlich nur ein wenig, das heißt, was das Notwendigste anlangt; dann werden Sie sich ja selbst nach eigenem Belieben weiterhelfen. Eine kleine Stelle in einem Büro werde ich Ihnen verschaffen, keine sehr anstrengende, aber sie wird Pünktlichkeit verlangen. Jetzt ein Wort über das Weitere: in dem Hause, das heißt in der Familie Gawrila Ardalionowitsch Iwolgins, eben dieses meines jungen Freundes, mit dem ich mir erlaube, Sie bekannt zu machen, haben seine Mutter und seine Schwester von ihrer Wohnung zwei oder drei möblierte Zimmer abgezweigt und geben sie an gut empfohlene Mieter mit Beköstigung und Bedienung ab. Auf meine Empfehlung hin wird, wie ich nicht zweifle, Nina Alexandrowna Sie aufnehmen. Für Sie, Fürst, wird das von außerordentlich hohem Werte sein, schon weil Sie dann nicht allein sein, sondern sich sozusagen im Schoße einer Familie befinden werden, und meiner Ansicht nach dürfen Sie bei den ersten Schritten in einer solchen Hauptstadt wie Petersburg nicht allein sein, Nina Alexandrowna, Gawrila Ardalionytschs Mutter, und Warwara Ardalionowna, seine Schwester, sind Damen, die ich sehr hochschätze. Nina Alexandrowna ist die Gemahlin Ardalion Alexandrowitschs, eines pensionierten Generals, der zu Beginn meiner Dienstzeit mein Kamerad war, mit dem ich aber wegen gewisser Umstände die Beziehungen abgebrochen habe, was mich übrigens nicht hindert, ihn gebührend hochzuachten. Ich setze Ihnen dies alles auseinander, Fürst, damit Sie sehen, daß ich Sie sozusagen persönlich empfehle und folglich mich für Sie gewissermaßen verbürge. Der Preis ist ein sehr mäßiger, und ich hoffe, daß Ihr Gehalt bald völlig dazu ausreichen wird. Allerdings braucht man auch Taschengeld, wenigstens etwas; aber nehmen Sie es mir nicht übel, Fürst, wenn ich Ihnen bemerke, daß Sie am besten tun, auf Taschengeld zu verzichten, und überhaupt kein Geld in der Tasche bei sich führen. Das ist meine Ansicht über Sie, und darum sage ich es Ihnen. Aber da jetzt Ihr Geldbeutel ganz leer ist, so gestatten Sie mir, Ihnen diese fünfundzwanzig Rubel hier anzubieten. Wir werden schon miteinander abrechnen, und wenn Sie wirklich ein so aufrichtiger, treuherziger Mensch sind, wie es nach Ihren Worten scheint, so können sich auch in dieser Hinsicht zwischen uns keinerlei Schwierigkeiten ergeben. Wenn ich mich so für Sie interessiere, so habe ich in bezug auf Sie sogar eine bestimmte Absicht; Sie werden diese später noch kennenlernen. Sie sehen, ich verkehre mit Ihnen ganz zwanglos; ich hoffe, Ganja, du hast nichts dagegen, daß sich der Fürst in eurer Wohnung mit einquartiert?“
„Oh, ganz im Gegenteil! Auch meine Mutter wird sich sehr freuen …“, versicherte Ganja freundlich und zuvorkommend.
„Es ist bei euch, soviel ich weiß, erst ein Zimmer vermietet. An diesen, wie heißt er doch gleich? Ferd … Fer …“
„Ferdyschtschenko.“
„Naja; er gefällt mir nicht, dieser euer Ferdyschtschenko. Ein vulgärer Possenreißer. Ich begreife nicht, warum Nastasja Filippowna sich seiner so annimmt. Ist er denn wirklich mit ihr verwandt?“
„O nein, das ist alles nur Scherz! Von Verwandtschaft keine Spur!“
„Na, hol ihn der Teufel! Na, sind Sie nun zufrieden, Fürst, oder nicht?“
„Ich danke Ihnen, General; Sie haben an mir als ein überaus guter Mensch gehandelt, was um so mehr anzuerkennen ist, als ich Sie gar nicht gebeten hatte. Ich sage das nicht aus Stolz; ich wußte tatsächlich nicht, wohin ich mein Haupt legen sollte. Allerdings hat mich vorhin Rogoshin zu sich eingeladen.“
„Rogoshin? Aber nein; da möchte ich Ihnen doch den väterlichen oder, wenn Sie lieber wollen, den freundschaftlichen Rat geben, diesen Herrn Rogoshin ganz zu vergessen. Und überhaupt würde ich Ihnen raten, sich an die Familie zu halten, in die Sie eintreten werden.“
„Da Sie mir schon soviel Güte erweisen“, begann der Fürst, „so möchte ich Ihnen noch eine Angelegenheit, die mich beschäftigt, vorlegen. Ich habe die Nachricht erhalten …“
„Entschuldigen Sie“, unterbrach ihn der General, „jetzt habe ich wirklich keine Minute Zeit mehr. Ich werde sofort meiner Frau von Ihnen berichten. Wenn sie Sie jetzt gleich zu empfangen wünscht (meinerseits werde ich mich bemühen, sie durch meine Empfehlung dazu zu bewegen), so rate ich Ihnen, die Gelegenheit auszunutzen und sich ihre Gunst zu erwerben, da Lisaweta Prokofjewna Ihnen von großem Nutzen sein kann. Sie sind ja ihr Namensvetter. Und sollte sie es jetzt nicht wünschen, so nehmen Sie ihr das weiter nicht übel, sondern kommen Sie zu anderer Zeit wieder! Und du, Ganja, sieh doch unterdessen diese Rechnung durch, mit der Fedossejew und ich uns vorhin abgequält haben! Vergiß aber nicht, sie nachher wegzuschließen!“
Der General ging hinaus, und so kam der Fürst nicht dazu, seine Angelegenheit vorzubringen, von der er etwa zum viertenmal zu reden angefangen hatte. Ganja begann eine Zigarette zu rauchen und bot auch dem Fürsten eine an; dieser nahm sie, versuchte aber nicht, ein Gespräch in Gang zu bringen, um nicht zu stören, sondern betrachtete das Arbeitszimmer. Ganja aber warf kaum einen Blick auf das mit Zahlen bedeckte Papier, auf das ihn der General hingewiesen hatte. Er war zerstreut; sein Lächeln, sein Blick, sein nachdenkliches Wesen machten nach Ansicht des Fürsten jetzt, wo sie beide allein geblieben waren, einen noch unangenehmeren Eindruck. Plötzlich trat er an den Fürsten heran, der sich gerade über Nastasja Filippownas Porträt gebeugt hatte und es betrachtete.
„Also gefällt Ihnen eine solche Frau, Fürst?“ fragte er, indem er ihn durchdringend ansah, als hätte er irgendeine besondere Absicht.
„Ein wunderbar schönes Gesicht!“ antwortete der Fürst. „Und ich bin überzeugt, daß sie ein ungewöhnliches Schicksal gehabt hat. Das Gesicht sieht heiter aus, aber sie hat früher wohl furchtbar gelitten, nicht? Davon reden die Augen, dort die beiden Knöchelchen, die beiden Punkte unter den Augen, wo die Wangen anfangen. Es ist ein stolzes Gesicht, schrecklich stolz, und ich weiß nicht, ob sie ein gutes Herz hat. Ach, wenn sie es doch hätte! Dann wäre alles gerettet!“
„Würden Sie denn eine solche Frau heiraten?“ fragte Ganja weiter, ohne seinen brennenden Blick abzuwenden.
„Ich kann überhaupt nicht heiraten, ich bin krank“, versetzte der Fürst.
„Aber Rogoshin würde sie heiraten? Was meinen Sie?“
„Gewiß, womöglich gleich morgen, denke ich. Er würde sie heiraten und sie eine Woche darauf vielleicht ermorden.“
Kaum hatte der Fürst dies gesagt, als Ganja plötzlich so zusammenfuhr, daß der Fürst beinah aufschrie.
„Was ist Ihnen?“ fragte er, indem er ihn bei der Hand ergriff.
„Durchlaucht, Seine Exzellenz lassen bitten, sich zu Ihrer Exzellenz zu bemühen“, meldete ein Diener, der in der Tür erschien.
Der Fürst ging hinter dem Diener her.