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„Die Sache hat ihre Richtigkeit“, erklärte Ptizyn endlich, indem er den Brief wieder zusammenfaltete und dem Fürsten zurückgab. „Sie werden ohne alle Umstände auf Grund des unanfechtbaren Testaments Ihrer Tante ein sehr beträchtliches Kapital erhalten.“

„Es ist unmöglich!“ rief der General unwillkürlich.

Alle sperrten den Mund auf.

Sich vorzugsweise an Iwan Fjodorowitsch wendend, setzte Ptizyn die Sache folgendermaßen auseinander. Vor fünf Monaten sei eine Tante des Fürsten gestorben, die er nie persönlich gekannt habe, eine ältere Schwester seiner Mutter, die Tochter des Moskauer Kaufmanns dritter Gilde Papuschin, der Bankrott gemacht habe und in größter Armut gestorben sei. Aber der gleichfalls unlängst verstorbene ältere Bruder dieses Papuschin sei ein bekannter, reicher Kaufmann gewesen. Vor einem Jahre seien ihm fast in ein und demselben Monat seine beiden einzigen Söhne gestorben. Das habe der alte Mann sich so zu Herzen genommen, daß er bald darauf selbst erkrankt und gestorben sei. Er sei Witwer gewesen, und es seien absolut keine andern Erben dagewesen als die Tante des Fürsten, die Nichte Papuschins, eine sehr arme Frau, die bei fremden Leuten lebte. Zu der Zeit, als ihr diese Erbschaft zugefallen sei, habe diese Tante schon an Wassersucht todkrank gelegen, habe aber sofort Nachforschungen nach dem Fürsten anstellen lassen, womit Salaskin von ihr betraut worden sei, und vor ihrem Tode noch Zeit gehabt, ein Testament zu machen. Offenbar hätten weder der Fürst noch der Arzt, bei dem er in der Schweiz gewohnt habe, die amtliche Benachrichtigung abwarten oder Erkundigungen einziehen wollen, sondern der Fürst habe sich entschlossen, mit Salaskins Brief in der Tasche selbst nach Rußland zurückzukehren.

„Ich kann Ihnen nur sagen“, schloß Ptizyn, sich an den Fürsten wendend, „daß alles das jedenfalls richtig und unangreifbar ist und daß Sie alles, was Ihnen Salaskin über die Unanfechtbarkeit und Gesetzlichkeit Ihrer Ansprüche schreibt, so ansehen können, als hätten Sie bereits das bare Geld in der Tasche. Ich gratuliere Ihnen, Fürst! Vielleicht erhalten Sie anderthalb Millionen, möglicherweise auch noch mehr, denn Papuschin war ein sehr reicher Kaufmann.“

„Es lebe der letzte Fürst Myschkin!“ brüllte Ferdyschtschenko.

„Hurra!“ schrie Lebedew mit seiner vom Trinken heiseren Stimme.

„Und ich habe dem armen Schlucker heute noch fünfundzwanzig Rubel geliehen, hahaha! Das ist ja die reine Zaubervorstellung!“ rief der General, der vor Erstaunen wie betäubt war. „Nun, ich gratuliere, ich gratuliere!“ Er erhob sich von seinem Platz, ging zu dem Fürsten hin und umarmte ihn. Nach ihm standen auch die andern auf und drängten sich ebenfalls zu dem Fürsten heran. Sogar diejenigen, die sich hinter die Portiere zurückgezogen hatten, erschienen wieder im Salon. Ein buntes Stimmengetöse erhob sich, allerlei Ausrufe erschollen, man rief sogar nach Champagner, alles drängte und stieß sich, alle waren in geschäftiger Bewegung. Für einen Augenblick hatte man Nastasja Filippowna fast vergessen, und daß sie doch eigentlich bei ihrer Abendgesellschaft der Gastgeber war. Aber allmählich wurde es allen fast gleichzeitig wieder bewußt, daß der Fürst ihr soeben einen Heiratsantrag gemacht hatte. Die Sache erschien dadurch noch weit seltsamer und ungewöhnlicher als vorher. Tozkij zuckte in höchstem Erstaunen die Schultern; er war fast der einzige, der sitzen geblieben war, der ganze übrige Schwarm drängte sich unordentlich um den Tisch. Alle behaupteten später, von diesem Augenblick an hätte Nastasja Filippowna den Verstand verloren. Sie saß immer noch da und betrachtete eine Zeitlang alle mit einem sonderbaren, verwunderten Blick, wie wenn sie das alles nicht begriffe und sich Mühe gäbe, eine klare Vorstellung zu gewinnen. Dann wandte sie sich auf einmal zum Fürsten hin und sah ihn mit finster zusammengezogenen Brauen forschend an; indes dauerte das nur einen Augenblick, vielleicht hatte es ihr plötzlich geschienen, daß alles nur Scherz und Spott sei. Aber die Miene des Fürsten mußte sie vom Gegenteil überzeugen. Sie wurde nachdenklich; dann lächelte sie wieder, als wüßte sie selbst nicht recht, worüber eigentlich …

„Also bin ich wirklich eine Fürstin!“ flüsterte sie gewissermaßen spöttisch vor sich hin und lachte, als sie zufällig nach Darja Alexejewna hinblickte, laut auf. „Eine unerwartete Lösung! … Das … hätte ich nicht erwartet … Aber warum stehen Sie denn, meine Herren? Bitte, setzen Sie sich doch, und gratulieren Sie mir und dem Fürsten! Es hatte ja wohl jemand Champagner gewünscht; Ferdyschtschenko, gehen Sie doch einmal hin und bestellen Sie welchen! Katja, Pascha“, sagte sie zu ihren Dienstmädchen, die sie in diesem Augenblick an der Tür erblickte, „kommt her, ich werde heiraten, habt ihr es gehört? Den Fürsten, er besitzt anderthalb Millionen, er ist ein Fürst Myschkin und nimmt mich zur Frau!“

„Gott gebe dazu seinen Segen, Mütterchen, es ist auch hohe Zeit! Das darfst du dir nicht entgehen lassen!“ rief Darja Alexejewna, die durch diese Vorgänge tief erschüttert war.

„Aber setzen Sie sich doch neben mich, Fürst“, fuhr Nastasja Filippowna fort. „So ist's recht, und da kommt auch der Wein. Nun, gratulieren Sie, meine Herrschaften!“

„Hurra!“ schrien viele Stimmen. Viele drängten sich zum Wein hin, darunter fast alle Begleiter Rogoshins. Aber obgleich sie bereitwillig schrien, so hatten doch viele von ihnen trotz der Seltsamkeit der Umstände und der Umgebung die Empfindung, daß sich ein Szenenwechsel vollzog. Andere waren verlegen und warteten mißtrauisch ab. Viele aber flüsterten einander zu, eigentlich sei an der Geschichte nichts Ungewöhnliches, was heirateten die Fürsten nicht oft für Frauen, manchmal nahmen sie sogar Weiber aus den Zigeunerlagern! Rogoshin stand da und sah alle diese Vorgänge mit an, sein Gesicht war zu einem starren, verständnislosen Lächeln verzogen.

„Fürst, mein Bester, so komm doch zu dir!“ flüsterte der General ganz entsetzt, indem er von der Seite an ihn herantrat und ihn am Ärmel zupfte.

Nastasja Filippowna bemerkte es und lachte.

„Nein, General! Ich bin jetzt selbst eine Fürstin, haben Sie es gehört: der Fürst wird mich von niemand beleidigen lassen! Afanassij Iwanowitsch, gratulieren Sie mir doch! Ich werde jetzt überall neben Ihrer Gemahlin sitzen dürfen, meinen Sie nicht, daß es vorteilhaft ist, einen solchen Mann zu haben? Anderthalb Millionen und dazu noch Fürst und überdies noch, wie es heißt, ein Idiot: was will man mehr? Jetzt fängt erst das wahre Leben an! Du bist zu spät gekommen, Rogoshin! Nimm dein Päckchen wieder weg, ich heirate den Fürsten und bin selbst reicher als du!“

Aber jetzt hatte Rogoshin endlich begriffen, um was es sich handelte. Ein unsägliches Leid prägte sich auf seinem Gesicht aus. Er schlug die Hände zusammen, und ein Stöhnen entrang sich seiner Brust.

„Tritt zurück!“ schrie er dem Fürsten zu.

Ringsum wurde gelacht.

„Er soll wohl zu deinen Gunsten zurücktreten?“ fiel Darja Alexejewna triumphierend ein. „Seht doch, wie er das Geld auf den Tisch geworfen hat, der Bauer! Der Fürst wird sie zur Frau nehmen, du aber warst zu unsittlichen Zwecken hergekommen!“

„Ich nehme sie auch zur Frau! Sofort nehme ich sie zur Frau, augenblicklich! Alles will ich hingeben …“

„Seht doch, betrunken kommt der Mensch aus der Schenke hierher! Davonjagen sollte man dich!“ schalt Darja Alexejewna empört weiter.

Das Gelächter wurde noch stärker.

„Hörst du, Fürst“, wandte sich Nastasja Filippowna an diesen, „was dieser Bauer deiner Braut für ein Angebot macht?“

„Er ist betrunken“, erwiderte der Fürst, „er liebt Sie sehr.“

„Wirst du dich auch später nicht schämen, daß deine Braut beinah mit Rogoshin weggefahren wäre?“

„Sie fieberten, auch jetzt fiebern Sie und reden irre.“

„Und wirst du dich nicht schämen, wenn die Leute später zu dir sagen werden, daß deine Frau früher Tozkijs Geliebte gewesen ist?“

„Nein, ich werde mich nicht schämen. Sie waren nicht aus eigenem Willen bei Tozkij.“

„Und wirst du mir nie einen Vorwurf deswegen machen?“

„Nein, das werde ich nicht tun.“

„Nun, sieh dich vor, für das ganze Leben kann man nicht garantieren.“

„Nastasja Filippowna“, versetzte der Fürst leise und mitleidig, „ich habe Ihnen vorhin gesagt, daß ich Ihr Jawort als eine Ehre für mich ansehe und daß Sie mir diese Ehre erweisen, nicht ich Ihnen. Sie haben dazu gelächelt, und ich habe gehört, daß auch um uns herum gelacht wurde. Ich habe mich vielleicht sehr lächerlich ausgedrückt und bin vielleicht auch selbst dabei lächerlich gewesen, aber es ist mir immer so vorgekommen, als ob ich … als ob ich verstünde, worin die Ehre besteht, und ich bin überzeugt, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Sie wollten sich soeben zugrunde richten, sich unwiederbringlich zugrunde richten, denn Sie würden sich das später nie verzeihen, obwohl Sie keine Schuld trifft. Es ist unmöglich, daß Ihr Leben schon gänzlich zerstört sein sollte. Was hat es denn für eine Bedeutung, daß Rogoshin zu Ihnen gekommen ist und daß Gawrila Ardalionowitsch Sie hat betrügen wollen? Warum sprechen Sie beständig davon? Dessen, was Sie getan haben, sind nicht viele Menschen fähig, das wiederhole ich Ihnen, und was Ihren Entschluß, mit Rogoshin wegzufahren, anlangt, so haben Sie ihn in einem Anfall von Krankheit gefaßt. In einem solchen Anfall befinden Sie sich auch jetzt, und Sie täten am besten, zu Bett zu gehen. Sie würden schon morgen Wäscherin werden und nicht bei Rogoshin bleiben. Sie sind stolz, Nastasja Filippowna, aber vielleicht sind Sie schon in einem solchen Maße unglücklich, daß Sie sich wirklich für schuldig halten. Sie bedürfen vieler Pflege, Nastasja Filippowna, und ich werde Sie pflegen. Ich habe heute vormittag Ihr Bild gesehen, und es kam mir vor, als erkannte ich ein vertrautes Gesicht wieder. Ich hatte sofort eine Empfindung, als riefen Sie mich … Ich … ich werde Sie mein ganzes Leben lang achten, Nastasja Filippowna“, schloß der Fürst und errötete, als käme er auf einmal zur Besinnung und merkte, vor welchen Leuten er das sagte.

Ptizyn hielt schamhaft den Kopf gesenkt und blickte auf den Fußboden. Tozkij dachte im stillen: ‚Er ist ein Idiot, weiß aber instinktiv, daß man durch Schmeichelei am ehesten zum Ziel kommt!‘ Der Fürst bemerkte auch Ganjas funkelnden Blick aus der Ecke her, mit dem dieser ihn förmlich verbrennen zu wollen schien.

„Nein, ist das ein guter Mensch!“ rief Darja Alexejewna ganz gerührt.

„Ein gebildeter Mensch, aber ein verlorener Mensch!“ flüsterte der General halblaut.

Tozkij nahm seinen Hut und schickte sich an aufzustehen, um still zu verschwinden. Er und der General wechselten Blicke miteinander, um zusammen fortzugehen.

„Ich danke dir, Fürst, so hat bisher noch nie jemand mit mir gesprochen“, sagte Nastasja Filippowna. „Man hat mich immer kaufen wollen, aber zur Frau hat mich noch kein anständiger Mensch nehmen mögen. Haben Sie es gehört, Afanassij Iwanowitsch? Wie denken Sie über das, was der Fürst gesagt hat? Sie werden wohl meinen, es sei beinahe unschicklich … Rogoshin, warte du noch mit dem Fortgehen! Aber ich sehe, du willst ja auch noch gar nicht weg. Vielleicht komme ich doch noch mit dir mit. Wohin wolltest du mich denn bringen?“

„Nach Jekaterinhof“, rapportierte Lebedew aus seiner Ecke, während Rogoshin nur zusammenfuhr und die Augen aufriß, als glaubte er falsch gehört zu haben. Er war ganz niedergedrückt, als hätte er einen furchtbaren Schlag über den Kopf erhalten.

„Aber was redest du denn, was redest du denn, Mütterchen? Du leidest wirklich an Anfällen! Hast du denn ganz den Verstand verloren?“ rief Darja Alexejewna erschrocken.

„Hast du es denn im Ernst geglaubt?“ erwiderte Nastasja Filippowna lachend und sprang vom Sofa auf. „Sollte ich denn ein solches Kind zugrunde richten? Da würde ich ja geradeso handeln wie Afanassij Iwanowitsch; das ist so ein Kinderfreund! Wir wollen fahren, Rogoshin! Halt dein Päckchen bereit! Daß du mich heiraten willst, macht gar nichts, das Geld gib mir aber trotzdem! Ich nehme dich jetzt vielleicht noch gar nicht. Hattest du gedacht, wenn du mich heiratetest, würdest du das Päckchen behalten können? Dummes Zeug! Ich kenne keine Scham! Ich bin Tozkijs Konkubine gewesen … Fürst, wen du jetzt nötig hast, das ist Aglaja Jepantschina und nicht Nastasja Filippowna, sonst kommt es noch dahin, daß Ferdyschtschenko mit Fingern auf dich weist! Du fürchtest dich nicht; aber ich würde mich fürchten, daß ich dich zugrunde richte und du es mir nachher vorwirfst! Und wenn du erklärst, ich erwiese dir eine Ehre, so weiß damit Tozkij Bescheid. Du aber, Ganja, hast Aglaja Jepantschina verpaßt: weißt du das wohl? Hättest du nicht mit ihr ein Geschäft machen wollen, so hätte sie dich bestimmt genommen! Ja, so seid ihr Männer alle, aber man muß sich für eins von beiden entscheiden: ob man mit unanständigen oder anständigen Frauen zu tun haben will. Sonst entsteht unfehlbar Verwirrung … Seht mal, der General starrt mich mit offenem Mund an …“

„Das ist ja das reine Sodom, das reine Sodom“, wiederholte der General achselzuckend. Auch er stand jetzt vom Sofa auf, alle waren wieder auf den Beinen. Nastasja Filippowna schien sich in einem Zustand der Raserei zu befinden.

„Ist es denn möglich?“ stöhnte der Fürst händeringend.

„Das hattest du wohl nicht erwartet? Ich besitze vielleicht auch selbst meinen Stolz, wenn ich auch ein schamloses Weib bin! Du hast mich vorhin eine vollkommene Frau genannt; eine schöne Vollkommenheit, die aus lauter Prahlerei, weil sie eine Million und eine Fürstenkrone in den Staub getreten hat, in die Spelunke geht! Wie kann ich unter solchen Umständen eine passende Frau für dich sein? Afanassij Iwanowitsch, ich habe tatsächlich eine Million zum Fenster hinausgeworfen! Wie haben Sie nur denken können, ich würde es für ein Glück halten, Ganja und Ihre fünfundsiebzigtausend Rubel zu heiraten! Behalte deine fünfundsiebzigtausend Rubel für dich, Afanassij Iwanowitsch (du bist nicht einmal bis auf hunderttausend gegangen; Rogoshin hat dich überboten!), und Ganja werde ich selbst zu trösten wissen, es ist mir da ein Gedanke gekommen. Jetzt aber will ich mich amüsieren, ich bin ja eine Straßendirne! Ich habe zehn Jahre lang im Gefängnis gesessen, jetzt kommt für mich die Zeit des Glücks! Nun, wie steht's, Rogoshin? Mach dich fertig; wir wollen fahren!“

„Wir wollen fahren!“ brüllte Rogoshin, fast rasend vor Freude. „Heda, ihr … Wein her! Oh, ach!“

„Sorge nur für Wein, ich werde trinken! Wird auch Musik da sein?“

„Gewiß, gewiß! Komm ihr nicht zu nah!“ schrie Rogoshin wütend, als er sah, daß Darja Alexejewna sich Nastasja Filippowna nähern wollte. „Sie gehört mir! Alles gehört mir! Sie ist meine Königin! Ich habe es erreicht!“

Er konnte vor Freude kaum atmen, er ging um Nastasja Filippowna herum und schrie allen zu: „Kommt ihr nicht zu nah!“ Sein ganzes Gefolge war nun in den Salon eingedrungen. Die einen tranken, andere schrien und lachten, alle waren in höchst animierter, ungezwungener Stimmung. Ferdyschtschenko machte Versuche, sich ihnen anzuschließen. Der General und Tozkij schickten sich wieder an, möglichst bald zu verschwinden. Auch Ganja hatte den Hut in der Hand; aber er stand schweigend da und schien sich von dem Bild, das sich da vor seinen Augen entrollte, noch nicht losreißen zu können.

„Kommt ihr nicht zu nah!“ schrie Rogoshin.

„Aber was brüllst du denn?“ schalt ihn Nastasja Filippowna lachend. „Ich bin hier noch Gastgeber in meiner eigenen Wohnung; wenn ich will, kann ich dich immer noch mit Rippenstößen hinausjagen lassen. Noch habe ich das Geld von dir nicht angenommen, da liegt es; gib es her, das ganze Päckchen! Also in diesem Päckchen sind hunderttausend Rubel? Pfui, wie schmutzig es aussieht! Was hast du, Darja Alexejewna? Sollte ich ihn denn wirklich zugrunde richten?“ (Sie wies auf den Fürsten.) „Wie kann er denn heiraten? Er braucht ja selbst noch eine Kinderfrau; der General dort, der wird nun seine Kinderfrau sein, sieh nur, wie er um ihn herumscharwenzelt! Schau her, Fürst, deine Braut hat das Geld genommen, weil sie eine Dirne ist, und du wolltest sie heiraten! Aber warum weinst du denn? Es ist dir wohl schmerzlich, wie? Aber meiner Ansicht nach solltest du lachen“, fuhr Nastasja Filippowna fort, der selbst zwei große Tränen auf den Wangen funkelten. „Vertraue auf die Zeit, es geht alles vorüber! Besser, man bedenkt das jetzt als später … Und warum weint ihr alle? Da, auch Katja weint! Was hast du, liebe Katja? Ich lasse dir und Pascha viel zurück, ich habe schon die nötigen Anordnungen getroffen, jetzt aber lebt wohl! Ich habe von dir, einem anständigen Mädchen, verlangt, daß du mich, eine Dirne, bedienen solltest … Es ist besser so, Fürst, wirklich besser, du würdest mich später verachten, und es würde nicht unser Glück sein! Schwöre nicht! Ich glaube es nicht. Und wie dumm würde es auch sein! … Nein, am besten scheiden wir voneinander als gute Freunde; auch ich bin ja eine Träumerin, es würde nichts Gutes dabei herauskommen! Habe ich nicht selbst von dir geträumt? Darin hast du recht, ich habe schon lange von dir geträumt, schon als ich bei ihm auf dem Dorfe fünf Jahre lang mutterseelenallein lebte; da denkt und denkt man manchmal und träumt und träumt, und da habe ich mir immer so einen Mann vorgestellt wie dich, einen guten, ehrenhaften, braven, ein bißchen dummen Mann, der auf einmal kommt und sagt: ‚Sie tragen keine Schuld, Nastasja Filippowna, und ich vergöttere Sie!‘ Und ich versenkte mich manchmal so in meine Träumereien, daß ich fast den Verstand verlor … Und da kam nun dieser Mensch hier: alle Jahre blieb er zwei Monate lang zu Besuch, entehrte, schändete, entflammte, verdarb mich und fuhr dann wieder davon. Tausendmal habe ich in den Teich springen wollen, aber ich war zu feige, mein Mut reichte dazu nicht aus. Nun, aber jetzt … Rogoshin, bist du bereit?“

„Alles bereit! Kommt ihr nicht zu nah!“

„Alles bereit!“ riefen mehrere Stimmen.

„Die Troikas warten, mit Schellen!“

Nastaja Filippowna nahm das Päckchen in die Hand.

„Ganja, mir ist ein Gedanke gekommen: ich will dich entschädigen, denn warum solltest du alles verlieren? Rogoshin, wird er für drei Rubel bis nach der Wassilij-Insel kriechen?“

„Jawohl, das wird er tun!“

„Nun denn, so höre, Ganja, ich will zum letztenmal einen Blick in deine Seele tun; du hast mich ganze drei Monate lang gequält, jetzt ist die Reihe an mir. Du siehst dieses Päckchen, darin sind hunderttausend Rubel! Ich werde es jetzt gleich in den Kamin werfen, ins Feuer, hier vor aller Augen, alle Anwesenden sind Zeugen! Sobald das Feuer es ganz erfaßt haben wird, greife in den Kamin, aber ohne Handschuhe, mit bloßen Händen und aufgestreiften Ärmeln, und zieh das Päckchen aus dem Feuer! Wenn du es herausziehst, soll es dir gehören, die ganzen hunderttausend Rubel sollen dir gehören! Du wirst dir nur ein ganz klein bißchen die Fingerchen verbrennen, aber dafür bekommst du auch hunderttausend Rubel, bedenk das wohl! Das Herausholen ist ja in einem Augenblick ausgeführt! Ich aber will mich an dem Anblick deiner Seele erfreuen, wie du nach meinem Geld ins Feuer greifst. Alle sind Zeugen, daß das Päckchen dann dir gehört! Greifst du aber nicht hinein, so verbrennt es, ich werde keinen andern heranlassen. Weg da! Alle weg! Es ist mein Geld! Ich habe es von Rogoshin für eine Nacht bekommen. Gehört das Geld mir, Rogoshin?“

„Dir gehört es, du meine Herzensfreude! Dir, du meine Königin!“

„Nun, dann also alle weg! Was ich will, das tue ich auch! Suche mich keiner zu hindern! Ferdyschtschenko, schüren Sie das Feuer!“

„Nastasja Filippowna, ich kann die Arme nicht heben!“ erwiderte Ferdyschtschenko, der ganz benommen war.

„Ach was!“ rief Nastasja Filippowna, ergriff die Feuerzange, scharrte zwei schwelende Holzscheite auseinander und warf, sobald das Feuer lebhafter aufbrannte, das Päckchen hinein.

Die Umstehenden stießen einen Schrei aus, viele bekreuzigten sich sogar.

„Sie ist verrückt geworden! Sie ist verrückt geworden!“ wurde ringsum gerufen.

„Sollten wir … sollten wir sie nicht binden?“ flüsterte der General dem neben ihm stehenden Ptizyn zu. „Oder sollten wir nicht nach der Polizei schicken? … Sie ist ja verrückt geworden, total verrückt.“

„N-nein, das ist vielleicht gar nicht Verrücktheit“, flüsterte Ptizyn zurück, der bleich wie Leinwand geworden war, am ganzen Leibe zitterte und seine Augen von dem bereits schwelenden Päckchen nicht loszureißen vermochte.

„Ist sie nicht verrückt? Ist sie nicht verrückt?“ drang der General auf Tozkij ein.

„Ich habe Ihnen ja gesagt, daß sie ein originelles Weib ist“, murmelte Afanassij Iwanowitsch, der ebenfalls etwas blaß geworden war.

„Aber es sind ja doch hunderttausend Rubel! …“

„Herr Gott, Herr Gott!“ wurde ringsumher gerufen. Alle umdrängten den Kamin, alle wollten sehen, alle schrien … Manche stiegen sogar auf die Stühle, um über die Köpfe der andern hinwegsehen zu können. Darja Alexejewna stürzte ins Nebenzimmer und redete dort in ängstlichem Flüstertone mit Katja und Pascha. Die schöne Deutsche war davongelaufen.

„Mütterchen, Königin, Großmächtige!“ heulte Lebedew, der auf den Knien vor Nastasja Filippowna herumkroch und die Hände nach dem Kamin ausstreckte. „Hunderttausend, hunderttausend! Ich habe sie selbst gesehen, sie sind vor meinen Augen eingepackt worden. Mütterchen! Barmherzige! Erlaube mir, in den Kamin hineinzugreifen, ich will ganz und gar hineinkriechen, meinen ganzen grauen Kopf will ich ins Feuer hineinlegen! … Ich habe ein krankes Weib, das nicht gehen kann, und dreizehn Kinder, für die keine Mutter sorgt, meinen Vater habe ich in der vorigen Woche begraben, wir haben nichts zu essen, Nastasja Filippowna!“

Unter solchem Klagegeschrei wollte er schon zum Kamin hinkriechen.

„Weg!“ rief Nastasja Filippowna und stieß ihn fort. „Tretet alle auseinander! Ganja, was stehst du da? Schäm dich nicht, greif hinein! Es handelt sich um dein Glück!“

Aber Ganja hatte schon zuviel an diesem Tage und Abend ertragen und war auf diese letzte, unerwartete Prüfung nicht vorbereitet. Die Menge trat nach beiden Seiten auseinander, und er blieb Auge in Auge mit Nastasja Filippowna stehen, drei Schritte von ihr entfernt. Sie stand dicht beim Kamin und wartete, ohne ihren brennenden, festen Blick von ihm abzuwenden. Ganja, in Frack und Handschuhen, den Hut in der Hand, stand, ohne ein Wort zu sagen und ohne eine Antwort zu geben, vor ihr, hatte die Arme gekreuzt und blickte ins Feuer. Ein irres Lächeln huschte über sein Gesicht, das totenblaß geworden war. Allerdings vermochte er die Augen nicht von dem Feuer und dem glimmenden Päckchen wegzuwenden, aber ein neues Gefühl schien in seine Seele Eingang gefunden zu haben, er hatte sich geschworen, diese Folter zu ertragen, er rührte sich nicht vom Flecke; nach einigen Augenblicken war es allen deutlich geworden, daß er zu dem Päckchen nicht hingehen würde, nicht hingehen wollte.

„Paß auf, das Geld wird verbrennen, und man wird dich auslachen!“ rief ihm Nastasja Filippowna zu. „Nachher wirst du dich aufhängen, ich scherze nicht!“

Das Feuer, das anfangs zwischen den beiden schwelenden Holzscheiten aufgeflammt war, hatte, als das Päckchen darauf fiel und es niederdrückte, zunächst beinah erlöschen wollen. Aber eine kleine blaue Flamme klammerte sich noch unten an eine Ecke des darunterliegenden Scheites. Endlich leckte eine schmale, lange Feuerzunge auch an dem Päckchen, das Feuer blieb daran haften und lief an den Ecken am Papier in die Höhe, und plötzlich flammte das ganze Päckchen im Kamin auf, und eine helle Flamme schlug in die Höhe. Alle stöhnten auf.

„Mütterchen!“ heulte Lebedew immer noch und stürzte wieder nach vorn, aber Rogoshin zog und stieß ihn von neuem hinweg.

Rogoshin selbst hatte sich sozusagen ganz in einen einzigen starren Blick verwandelt. Er konnte sich von Nastasja Filippowna nicht losreißen, er berauschte sich an ihr, er war im siebenten Himmel.

„Das ist eine Königin!“ wiederholte er alle Augenblicke, indem er sich bald an diesen, bald an jenen der Umstehenden wandte. „Das ist einmal nach meinem Geschmack!“ rief er ganz außer sich. „Na, wer von euch, ihr armseligen Gauner, ist eines solchen Streiches fähig, he?“

Der Fürst beobachtete die Vorgänge traurig und schweigend.

„Ich hole es für einen einzigen Tausender mit den Zähnen heraus!“ erbot sich Ferdyschtschenko.

„Ich täte es ebenfalls mit den Zähnen!“ knirschte der ganz hinten stehende Herr mit den Fäusten in einem Anfall echter Verzweiflung. „Hol's der Teufel! Es brennt, es brennt vollständig!“ schrie er, als er die Flamme sah.

„Es brennt, es brennt!“ riefen alle zugleich und stürzten fast alle ebenfalls zum Kamin hin.

„Ganja, sei nicht eigensinnig, ich sage es zum letztenmal!“

„Kriech hinein!“ brüllte Ferdyschtschenko, indem er in voller Raserei zu Ganja hinstürzte und ihn am Ärmel riß. „Kriech hinein, du Narr! Es verbrennt! O du ver-r-rdammter Kerl!“

Ganja stieß Ferdyschtschenko heftig von sich, drehte sich um und ging auf die Tür zu, aber er hatte kaum zwei Schritte gemacht, als er schwankte und zu Boden stürzte.

„Er ist ohnmächtig!“ riefen die Umstehenden.

„Mütterchen, es verbrennt!“ heulte Lebedew.

„Es verbrennt umsonst!“ brüllte es von allen Seiten.

„Katja, Pascha, bringt ihm Wasser und Spiritus!“ befahl Nastasja Filippowna, ergriff die Feuerzange und holte das Päckchen heraus.

Fast das ganze äußere Papier war angebrannt und glimmte, aber man konnte sofort sehen, daß der Inhalt heil geblieben war. Das Päckchen war in dreifaches Zeitungspapier eingeschlagen, und das Geld war unversehrt. Alle atmeten auf.

„Höchstens ein Tausenderchen ist ein bißchen beschädigt, aber alle übrigen sind ganz“, sagte Lebedew gerührt.

„Das ganze Geld gehört ihm! Das ganze Päckchen! Hören Sie, meine Herrschaften!“ rief Nastasja Filippowna und legte das Päckchen neben Ganja hin. „Er hat sich doch beherrscht und ist nicht hingegangen! Also ist bei ihm das Ehrgefühl doch noch stärker als die Geldgier. Die Ohnmacht ist nicht gefährlich, er wird schon wieder zu sich kommen! Wenn ich es ihm nicht schenkte, würde er mich womöglich ermorden … Da! er kommt schon wieder zur Besinnung. General, Iwan Petrowitsch, Darja Alexejewna, Katja, Pascha, Rogoshin, habt ihr es gehört? Das Päckchen gehört Ganja. Ich überlasse es ihm zu vollem Eigentum, als Entschädigung … oder wie man es sonst nennen will! Sagt ihm das! Mag es da neben ihm liegenbleiben … Vorwärts, Rogoshin! Leb wohl, Fürst, ich habe zum erstenmal einen Menschen gefunden! Leben Sie wohl, Afanassij Iwanowitsch, merci!“

Rogoshins ganze Rotte eilte lärmend, polternd und schreiend hinter ihm und Nastasja Filippowna her durch die Zimmer dem Ausgang zu. Im Wohnzimmer reichten ihr die Mädchen den Pelz, die Köchin Marfa kam aus der Küche herbeigelaufen. Nastasja Filippowna küßte sie alle.

„Aber wollen Sie uns denn wirklich ganz verlassen, Mütterchen? Und wohin gehen Sie denn? Und noch dazu am Geburtstag, an einem solchen Tage!“ fragten die weinenden Mädchen, indem sie ihr die Hände küßten.

„Ich gehe auf die Straße, Katja, du hast es ja gehört, da ist mein Platz; oder aber ich werde Wäscherin! Mit Afanassij Iwanowitsch bin ich fertig! Grüßt ihn von mir, und gedenkt meiner nicht im Bösen …“

Der Fürst eilte, so schnell er nur konnte, nach dem Portal zu, wo alle dabei waren, sich in vier mit Glöckchen behängte Troikas zu verteilen. Der General, der ihm nachlief, holte ihn noch auf der Treppe ein.

„Ich bitte dich, Fürst, komm zur Besinnung!“ sagte er und ergriff ihn bei der Hand. „Laß doch das Weib laufen! Du siehst ja, was sie für eine ist! Ich rede zu dir wie ein väterlicher Freund …“

Der Fürst sah ihn an, riß sich aber, ohne ein Wort zu sagen, los und lief nach unten.

Am Portal, von dem die Troikas gerade abgefahren waren, sah der General noch, wie der Fürst die erste beste Droschke nahm und dem Kutscher zurief: „Nach Jekaterinhof, hinter den Troikas her!“ Dann kam der mit einem grauen Traber bespannte Wagen des Generals vorgefahren und brachte den General nach Hause, mit neuen Hoffnungen und Plänen und mit dem Perlenschmuck, den der General doch nicht vergessen hatte mitzunehmen. Mitten in seinen Spekulationen tauchte auch Nastasja Filippownas verführerisches Bild ein paarmal vor seinem geistigen Auge auf, und er seufzte:

„Schade, wirklich schade! Ein verlorenes Weib! Ein verrücktes Weib! Nun, der Fürst kann jetzt eine Nastasja Filippowna nicht brauchen … Vielleicht ist es sogar gut, daß die Sache eine solche Wendung genommen hat.“

In ähnlicher Weise widmeten noch zwei andere Gäste Nastasja Filippownas, die sich dafür entschieden hatten, eine Strecke zu Fuß zu gehen, ihr ein paar moralische Worte als Nachruf.

„Wissen Sie, Afanassij Iwanowitsch, bei den Japanern soll es etwas Ähnliches geben“, sagte Iwan Petrowitsch Ptizyn. „Da geht, wie es heißt, der Beleidigte zu dem Beleidiger hin und sagt zu ihm: ‚Du hast mich beleidigt, deshalb bin ich hergekommen, um mir vor deinen Augen den Bauch aufzuschlitzen‘, und mit diesen Worten schlitzt er sich wirklich vor den Augen des Beleidigers den Bauch auf und fühlt dabei wahrscheinlich eine außerordentliche Befriedigung, als habe er sich tatsächlich gerächt. Es gibt sonderbare Charaktere auf der Welt, Afanassij Iwanowitsch!“

„Und Sie meinen, daß auch hier etwas Derartiges vorliegt?“ erwiderte Afanassij Iwanowitsch lächelnd. „Hm! Sie sind sehr geistreich und haben einen sehr schönen Vergleich gebracht. Sie haben aber doch selbst gesehen, liebster Iwan Petrowitsch, daß ich alles getan habe, was in meinen Kräften stand; über die Grenze des Möglichen hinaus kann ich doch nichts tun, das müssen Sie selbst zugeben. Aber auf der anderen Seite werden Sie auch das zugeben müssen, daß diese Frau großartige Eigenschaften, herrliche Charakterzüge besitzt. Ich wollte ihr vorhin schon zurufen, wenn das in diesem Wirrwarr möglich gewesen wäre, daß sie selbst meine beste Rechtfertigung gegen ihre Anschuldigungen sei. Nun, ist es nicht erklärlich, wenn sich jemand von diesem Weibe so fesseln läßt, daß er Vernunft und alles vergißt? Sehen Sie, dieser Bauer, dieser Rogoshin, hat ihr hunderttausend Rubel angeschleppt gebracht! Alles, was sich da heute zugetragen hat, war allerdings unüberlegt, romantisch, unschicklich, aber dafür doch individuell und originell, das müssen Sie selbst zugeben. O Gott, wozu könnte sie es bei einem solchen Charakter und bei einer solchen Schönheit nicht bringen! Aber trotz aller Bemühungen von meiner Seite, ja trotz aller Bildung, die ihr zuteil geworden ist, ist nun doch alles zugrunde gegangen! Sie ist ein ungeschliffener Diamant, wie ich manchmal von ihr gesagt habe …“

Und Afanassij Iwanowitsch stieß einen tiefen Seufzer aus.