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vii

Als der Fürst nun schwieg, blickten alle, selbst Aglaja, namentlich aber Lisaweta Prokofjewna ihn vergnügt an.

„Da habt ihr ihn ja nett examiniert!“ rief sie. „Ja, meine verehrten Damen, ihr dachtet, ihr würdet ihn wie einen armen Schlucker protegieren, und nun hat er selbst euch nur gerade noch für eine seiner würdige Gesellschaft erklärt und noch dazu gleich vorher angekündigt, daß er nur selten herkommen werde. Seht ihr wohl, da sind wir nun — worüber ich mich freue — die Blamierten, und am allermeisten Iwan Fjodorowitsch. Bravo, Fürst! Wir hatten vorhin die Weisung erhalten, wir sollten Sie examinieren. Was Sie aber von meinem Gesicht sagten, das ist durchaus richtig: ich bin ein Kind und weiß das. Ich habe es schon früher gewußt als Sie, und Sie haben nur meine eigene Ansicht in knapper Form zum Ausdruck gebracht. Ich meine, daß Ihr Charakter mit dem meinigen völlig übereinstimmt, und freue mich sehr darüber; die beiden sind sich ähnlich wie ein Ei dem andern. Nur sind Sie ein Mann und ich eine Frau, auch bin ich nicht in der Schweiz gewesen, das ist der ganze Unterschied.“

„Sachte, sachte, maman!“ rief Aglaja. „Der Fürst sagt ja, daß er bei all seinen freimütigen Auseinandersetzungen eine besondere Absicht hatte und nicht ohne Hintergedanken gesprochen hat.“

„Ja, ja!“ stimmten ihr die andern lachend bei.

„Zieht ihn nicht auf, liebe Kinder, es wird vielleicht noch so herauskommen, daß er schlauer ist als ihr alle drei zusammen. Ihr werdet ja sehen. Aber warum haben Sie nichts von Aglaja gesagt, Fürst? Aglaja wartet darauf, und ich ebenfalls.“

„Ich kann im Augenblick nichts über sie sagen. Ich werde es später tun.“

„Warum denn? Sie scheint doch eine eigenartige Persönlichkeit zu sein.“

„O ja, das ist sie. Sie sind eine hervorragende Schönheit, Aglaja Iwanowna. Sie sind so schön, daß man sich ordentlich fürchtet, Sie anzusehen.“

„Ist das alles? Und ihre Eigenschaften?“ setzte ihm die Generalin hartnäckig zu.

„Über die Schönheit ist schwer zu urteilen; ich bin noch nicht so weit, daß ich meine Ansicht aussprechen könnte. Die Schönheit ist ein Rätsel.“

„Damit haben Sie Aglaja ein Rätsel aufgegeben“, sagte Adelaida. „Nun rate einmal, Aglaja! Aber schön ist sie, Fürst, nicht wahr?“

„Außerordentlich schön!“ antwortete der Fürst lebhaft und blickte Aglaja ganz entzückt an. „Fast so schön wie Nastasja Filippowna, obwohl das Gesicht von ganz anderer Art ist! …“

Alle sahen einander erstaunt an.

„Wie we-er?“ fragte die Generalin gedehnt. „Wie Nastasja Filippowna? Wo haben Sie Nastasja Filippowna gesehen? Was für eine Nastasja Filippowna?“

„Gawrila Ardalionowitsch hat vorhin ihr Bild Iwan Fjodorowitsch gezeigt.“

„Wie? Er hat meinem Manne ihr Porträt gebracht?“

„Nur, um es ihm zu zeigen. Nastasja Filippowna hatte ihm heute ihr Bild geschenkt, und da brachte er es her, um es zu zeigen.“

„Ich will es sehen!“ rief die Generalin heftig. „Wo ist dieses Bild? Wenn sie es ihm geschenkt hat, so muß er es haben, und er ist gewiß noch im Arbeitszimmer. Er kommt mittwochs immer her, um hier zu arbeiten, und geht nie vor vier Uhr weg. Laßt Gawrila Ardalionowitsch sogleich herrufen! Oder nein! Ich sehne mich nicht übermäßig danach, ihn zu sehen. Tun Sie mir den Gefallen, bester Fürst, gehen Sie in das Arbeitszimmer, lassen Sie sich von ihm das Bild geben, und bringen Sie es her! Sagen Sie, ich wolle es gern einmal sehen! Seien Sie so freundlich!“

„Er ist ein guter Mensch, aber doch gar zu einfältig“, sagte Adelaida, als der Fürst hinausgegangen war.

„Ja, gar zu einfältig“, stimmte Alexandra ihr bei, „so daß er sogar ein bißchen komisch erscheint.“

Die eine wie die andere schien das, was sie dachte, nicht vollständig auszusprechen.

„Mit unseren Gesichtern hat er sich übrigens gut aus der Affäre gezogen“, bemerkte Aglaja. „Er hat uns allen geschmeichelt, sogar maman.“

„Bitte, keine Spötteleien!“ rief die Generalin. „Er hat nicht geschmeichelt, sondern ich fühle mich geschmeichelt.“ „Meinst du, daß er sich nur aus der Affäre ziehen wollte?“ fragte Adelaida.

„Mir scheint, er ist gar nicht so einfältig“, versetzte Aglaja.

„Was redet ihr da!“ ereiferte sich die Generalin. „Meiner Ansicht nach seid ihr noch komischer als er. Er ist ein schlichter Mensch und hat seinen Kopf für sich, selbstverständlich im besten Sinne. Ganz wie ich.“

‚Es war gewiß eine Dummheit, daß ich mir das von dem Bilde entschlüpfen ließ‘, sagte sich der Fürst, während er nach dem Arbeitszimmer ging, und fühlte dabei einige Gewissensbisse. ‚Aber … vielleicht habe ich gut daran getan, daß ich davon anfing …‘

Es ging ihm ein sonderbarer, noch nicht ganz klarer Gedanke durch den Kopf.

Gawrila Ardalionowitsch saß noch im Arbeitszimmer und war in seine Papiere vertieft. Er schien in der Tat sein Gehalt von der Aktiengesellschaft nicht ohne Gegenleistung zu beziehen. Er wurde furchtbar verlegen, als der Fürst nach dem Bild fragte und erzählte, auf welche Weise die Damen von diesem Bild etwas erfahren hatten.

„Donnerwetter! Wozu mußten Sie davon schwatzen?“ rief er in grimmigem Ärger. „Sie verstehen ja nichts davon … Idiot!“ murmelte er vor sich hin.

„Verzeihung, ich habe es gesagt, ohne mir etwas dabei zu denken. Das Gespräch kam zufällig darauf. Ich sagte, Aglaja sei fast ebenso schön wie Nastasja Filippowna.“

Ganja bat ihn, ihm über das Gespräch Genaueres mitzuteilen, und der Fürst erzählte. Ganja sah ihn wieder spöttisch an.

„Ich möchte wissen, was Sie sich um Nastasja Filippowna …“, murmelte er, versank aber, ohne den Satz zu beenden, in Gedanken.

Er war in sichtlicher Unruhe. Der Fürst erinnerte ihn an das Bild.

„Hören Sie, Fürst“, sagte Ganja auf einmal, wie wenn ein plötzlicher Gedanke in seinem Kopf aufleuchtete, „ich habe eine große Bitte an Sie … Aber ich weiß wirklich nicht …“

Er wurde verwirrt und sprach den begonnenen Satz nicht zu Ende. Es schien, als ob er einen Entschluß fassen wolle, aber mit sich selbst kämpfe. Der Fürst wartete schweigend. Ganja sah ihn noch einmal mit einem forschenden, durchdringenden Blick an.

„Fürst“, begann er von neuem, „man ist dort auf mich augenblicklich … infolge eines ganz sonderbaren Umstandes … an dem ich keine Schuld trage … nun kurz, das gehört nicht hierher … man ist dort auf mich, wie es scheint, ein wenig böse, so daß ich für einige Zeit nicht ohne besondere Aufforderung hingehen möchte. Ich muß jetzt aber ganz notwendig mit Aglaja Iwanowna sprechen. Ich habe hier für alle Fälle ein paar Worte an sie geschrieben“ (er hatte auf einmal einen kleinen, zusammengefalteten Zettel in der Hand) „und weiß nun nicht, wie ich sie ihr zugehen lassen soll. Möchten Sie es nicht übernehmen, Fürst, dieses Blättchen Aglaja Iwanowna abzugeben, jetzt gleich, aber nur Aglaja Iwanowna allein, das heißt so, daß es niemand sieht, verstehen Sie? Es handelt sich nicht um irgendwelche arge Heimlichkeit, es ist nichts Derartiges … aber … wollen Sie es tun?“

„Die Sache ist mir nicht sehr angenehm“, antwortete der Fürst.

„Ach, Fürst, ich bin in der äußersten Notlage!“ bat Ganja. „Sie wird vielleicht antworten … Seien Sie versichert, daß nur die dringende Notwendigkeit, die allerdringendste Notwendigkeit mich veranlaßt, mich an Sie zu wenden! … Durch wen sollte ich es sonst hinschicken? … Die Sache ist sehr wichtig … außerordentlich wichtig für mich …“

Ganja war in größter Angst, der Fürst könnte es ihm abschlagen, und blickte ihm, furchtsam bittend, in die Augen.

„Nun, meinetwegen, ich werde es übergeben.“

„Aber nur so, daß niemand es bemerkt!“ bat der erfreute Ganja. „Und noch eins, Fürst: ich kann mich doch wohl auf Ihr Ehrenwort verlassen, nicht wahr?“

„Ich werde es niemandem zeigen“, erwiderte der Fürst.

„Das Billett ist nicht versiegelt, aber …“ Ganja merkte, daß er in seiner übergroßen Sorge zuviel sagte, und hielt verlegen inne.

„Oh, ich werde es nicht lesen“, versetzte der Fürst ganz schlicht, nahm das Bild und verließ das Arbeitszimmer.

Als Ganja allein geblieben war, griff er sich an den Kopf.

„Ein Wort von ihr, und ich … und ich breche vielleicht wirklich diese Beziehung ab! …“

Vor Aufregung und gespannter Erwartung war er nicht imstande, sich wieder an seine Papiere zu setzen, sondern schritt im Arbeitszimmer von einer Ecke in die andere.

Der Fürst ging sehr nachdenklich zurück; der Auftrag war ihm unangenehm, unangenehm war ihm auch der Gedanke, daß Ganja mit Aglaja in Korrespondenz stand. Aber als er noch zwei Zimmer zu passieren hatte, um wieder in den Salon zu gelangen, blieb er plötzlich stehen, als ob ihm etwas einfiele, blickte sich um, trat ans Fenster, recht nahe an das Licht, und begann Nastasja Filippownas Bild zu betrachten.

Er hätte gern etwas enträtselt, was in diesem Gesicht verborgen lag und ihn vorhin frappiert hatte. Der Eindruck von vorhin war in ihm haftengeblieben, und er beeilte sich jetzt, ihn von neuem nachzuprüfen. Dieses durch seine Schönheit und noch durch etwas anderes auffallende Gesicht übte jetzt auf ihn eine noch stärkere Wirkung aus. Ein grenzenloser Stolz, eine grenzenlose Verachtung, die fast wie Haß aussah, lagen in diesem Gesicht und zu gleicher Zeit etwas Zutrauliches, erstaunlich Offenherziges; dieser Kontrast erweckte bei dem, der diese Züge betrachtete, sogar ein gewisses Mitleid. Diese blendende Schönheit war geradezu unerträglich, die Schönheit des blassen Gesichts, der fast eingefallenen Wangen und glühenden Augen — eine seltsame Schönheit! Der Fürst betrachtete das Bild wohl eine Minute lang; dann zuckte er auf einmal zusammen, blickte rings um sich, führte das Bild eilig an seine Lippen und küßte es. Als er einen Augenblick darauf in den Salon trat, war sein Gesicht wieder vollkommen ruhig.

Aber als er in das Eßzimmer gelangte, das noch durch ein Zimmer vom Salon getrennt war, stieß er in der Tür beinahe mit der herauskommenden Aglaja zusammen. Sie war allein.

„Gawrila Ardalionowitsch hat mich gebeten, Ihnen dies hier zu übergeben“, sagte der Fürst, indem er ihr das Billett hinreichte.

Aglaja blieb stehen, nahm das Billett und blickte den Fürsten seltsam an. In ihrem Blick lag nicht die geringste Verlegenheit, nur ein gewisses Erstaunen mochte daraus hervorschimmern, und auch dieses Erstaunen schien sich nur auf den Fürsten zu beziehen. Aglaja forderte durch ihren Blick von ihm gleichsam Rechenschaft darüber, wie es zugehe, daß er in dieser Angelegenheit mit Ganja im Bunde sei, und sie benahm sich dabei mit aller Ruhe und von oben herab. Zwei oder drei Sekunden lang standen sie einander gegenüber; endlich zeigte sich auf ihrem Gesicht etwas wie Spott; sie lächelte leise und ging vorüber.

Die Generalin betrachtete eine Zeitlang schweigend und mit einem leisen Ausdruck von Geringschätzung Nastasja Filippownas Bild, das sie mit ausgestrecktem Arm sehr weit von den Augen hielt.

„Ja, schön ist sie“, sagte sie endlich, „sogar sehr schön. Ich habe sie zweimal gesehen, aber nur von weitem. Also eine solche Schönheit bewundern Sie?“ wandte sie sich plötzlich an den Fürsten.

„Eine solche … ja …“, antwortete der Fürst mit einiger Überwindung.

„Gerade eine solche?“

Ja.“

„Warum denn?“

„In diesem Gesicht … liegt soviel Leid …“, sagte der Fürst; es schien, als kämen diese Worte unwillkürlich aus seinem Munde und als antwortete er nicht auf die Frage, sondern spräche für sich.

„Das ist übrigens vielleicht nur eine Phantasie von Ihnen“, bemerkte die Generalin kurz und warf mit einer hochmütigen Gebärde das Bild von sich weg auf den Tisch.

Alexandra nahm es, Adelaida trat zu ihr, und beide begannen es zu betrachten. In diesem Augenblick kehrte Aglaja wieder in den Salon zurück.

„Das ist eine gewaltige Macht!“ rief auf einmal Adelaida, die über die Schulter ihrer Schwester hinweg das Bild mit größtem Interesse ansah.

„Wieso? Inwiefern eine Macht?“ fragte Lisaweta Prokofjewna in scharfem Ton.

„Eine solche Schönheit ist eine Macht“, erwiderte Adelaida enthusiastisch. „Mit einer solchen Schönheit kann man die Welt umdrehen!“

In Gedanken versunken ging sie zu ihrer Staffelei. Aglaja sah das Bild nur flüchtig an, kniff die Augen zusammen, schob die Unterlippe vor, ging zur Seite und setzte sich da mit zusammengelegten Händen hin.

Die Generalin klingelte.

„Rufe Gawrila Ardalionowitsch her, er ist im Arbeitszimmer“, befahl sie dem eintretenden Diener.

„Aber maman!“ rief Alexandra mit bedeutsamer Betonung.

„Ich will ihm nur ein paar Worte sagen, und damit basta!“ erklärte die Generalin schnell in bestimmtem, scharfem Ton, der jede Widerrede abschnitt. Sie befand sich offenbar in gereizter Stimmung. „Sehen Sie, Fürst, bei uns hier gibt es jetzt lauter Geheimnisse, lauter Geheimnisse! Die Etikette verlangt das, obwohl es eine Dummheit ist. Und noch dazu bei einer Sache, bei der die größte Offenheit, Klarheit und Ehrlichkeit erforderlich ist. Es sind Eheschließungen im Werke; aber diese Ehen wollen mir gar nicht gefallen …“

„Maman, was reden Sie da?“ unterbrach Alexandra sie wieder eilig, um sie von weiteren Äußerungen zurückzuhalten.

„Was willst du, liebe Tochter? Gefallen sie denn dir? Daß der Fürst dabei zuhört, tut nichts, wir sind ja Freunde. Ich und er wenigstens. Es heißt: ‚Gott sucht sich Menschen‘1, aber natürlich gute Menschen; schlechte und launische, die sich heute so entscheiden und morgen wieder anders reden, kann er nicht gebrauchen. Verstehen Sie wohl, Alexandra Iwanowna? Meine Töchter sagen, Fürst, ich sei wunderlich, aber ich habe ein klares, gesundes Urteil. Denn das Herz ist die Hauptsache, und alles übrige ist dummes Zeug. Verstand ist freilich auch nötig, gewiß … vielleicht ist der Verstand sogar die allergrößte Hauptsache. Lache nicht, Aglaja, ich widerspreche mir nicht: ein Weib mit Herz ohne Verstand ist ebenso unglücklich wie ein Weib mit Verstand ohne Herz. Das ist eine alte Wahrheit. Ich bin ein Weib mit Herz ohne Verstand und du eins mit Verstand ohne Herz; wir sind beide unglücklich und müssen beide viel leiden.“

„Inwiefern sind Sie denn so unglücklich, maman?“ konnte Adelaida sich nicht enthalten zu fragen; sie war anscheinend von der ganzen Gesellschaft die einzige, die ihre heitere Stimmung nicht verloren hatte.

„Erstens, weil ich so gelehrte Töchter habe“, schnitt ihr die Generalin das Wort ab. „Und da dies eine schon ganz hinreichend ist, so brauche ich das übrige nicht erst lange aufzuzählen. Aber nun genug des Geredes! Wir wollen einmal sehen, wie ihr beide (von Aglaja rede ich nicht) mit eurem Verstand und mit eurer Redekunst euch herauswickeln werdet, und ob Sie, verehrte Alexandra Iwanowna, mit Ihrem geschätzten Herrn Gemahl glücklich sein werden … Ah! …“, rief sie, als sie den eintretenden Ganja erblickte, „da kommt noch so ein Ehekandidat. Guten Morgen!“ erwiderte sie auf Ganjas Verbeugung, ohne ihn zum Sitzen aufzufordern. „Sie wollen eine Ehe eingehen?“

„Eine Ehe? … Wieso? … Was für eine Ehe? …“, murmelte Gawrila Ardalionowitsch ganz verblüfft. Er war schrecklich verlegen.

„Sie wollen heiraten? frage ich, wenn Ihnen dieser Ausdruck lieber ist.“

„N-nein … ich … n-nein“, log Gawrila Ardalionowitsch, und Schamröte ergoß sich über sein Gesicht. Er warf eilig einen Blick auf die abseits sitzende Aglaja und ließ seine Augen schnell wieder weitergleiten. Aglaja sah ihn kalt, gerade und ruhig an, ohne die Augen von ihm abzuwenden, und beobachtete seine Verwirrung.

„Nein? Sie haben nein gesagt?“ setzte die unerbittliche Lisaweta Prokofjewna das Verhör beharrlich fort. „Gut, ich werde es mir merken, daß Sie heute, Mittwoch vormittag, auf meine Frage mit Nein geantwortet haben. Was haben wir heute für einen Tag — Mittwoch?“

„Ich glaube, Mittwoch, maman“, antwortete Adelaida.

„Ihr wißt doch nie die Wochentage. Und was für ein Datum?“

„Den Siebenundzwanzigsten“, antwortete Ganja.

„Den Siebenundzwanzigsten? Das ist nützlich zu wissen, wegen einer gewissen Berechnung. Leben Sie wohl, Sie haben sicher viel zu tun, und für mich ist es Zeit, daß ich mich anziehe und ausfahre; nehmen Sie Ihr Bild wieder mit! Empfehlen Sie mich der unglücklichen Nina Alexandrowna! … Auf Wiedersehen, mein lieber Fürst! Kommen Sie recht oft wieder her; ich will jetzt eiligst zu der alten Bjelokonskaja fahren, um ihr von Ihnen zu erzählen. Und hören Sie, mein Lieber: ich glaube, daß Gott Sie speziell meinetwegen aus der Schweiz nach Petersburg geführt hat. Vielleicht haben Sie hier auch noch anderes zu tun; aber hauptsächlich sind Sie meinetwegen hergekommen. Gott hat es mit Absicht so eingerichtet … Auf Wiedersehen, liebe Kinder! Liebe Alexandra, komm du mit mir!“

Die Generalin ging hinaus. Ganja, ganz verstört, fassungslos, wütend, nahm das Bild vom Tisch und wandte sich mit einem schiefen Lächeln zum Fürsten:

„Fürst, ich gehe jetzt gleich nach Hause. Wenn Sie Ihre Absicht, bei uns zu wohnen, nicht aufgegeben haben, so werde ich Sie hinführen; sonst kennen Sie ja nicht einmal Straße und Haus.“

„Warten Sie, Fürst“, sagte Aglaja, die sich plötzlich von ihrem Stuhl erhob, „Sie sollen mir noch etwas in mein Album schreiben. Papa hat gesagt, Sie seien ein Kalligraph. Ich werde es Ihnen gleich bringen.“

Sie verließ das Zimmer.

„Auf Wiedersehen, Fürst, ich gehe auch weg“, sagte Adelaida.

Sie drückte dem Fürsten fest die Hand, lächelte ihm freundlich und herzlich zu und ging hinaus. Den dabeistehenden Ganja sah sie gar nicht an.

„Das ist Ihr Werk!“ rief zähneknirschend Ganja, der, sowie alle hinausgegangen waren, auf den Fürsten losstürzte. „Sie haben ihnen ausgeplaudert, daß ich heiraten will!“ murmelte er hastig im Flüsterton, mit wütendem Gesicht und zornig funkelnden Augen. „Sie sind ein schamloser Schwätzer!“

„Ich versichere Ihnen, daß Sie sich irren“, antwortete der Fürst ruhig und höflich. „Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie heiraten wollen.“

„Sie haben vorhin gehört, wie Iwan Fjodorowitsch sagte, heute abend werde sich alles bei Nastasja Filippowna entscheiden, und das haben Sie weitererzählt! Sie lügen! Woher hätten die Damen es sonst wissen können? Wer, zum Teufel, konnte es ihnen mitteilen außer Ihnen? Hat mir die Alte etwa nicht zu verstehen gegeben, daß sie davon weiß?“

„Sie müssen am besten wissen, wer es den Damen mitgeteilt hat, wenn Sie der Ansicht sind, daß man Ihnen dergleichen zu verstehen gegeben hat; ich habe kein Wort davon gesagt.“

„Haben Sie mein Billett übergeben? … Ist eine Antwort da?“ unterbrach ihn Ganja, vor Ungeduld glühend. Aber gerade in diesem Augenblick kam Aglaja zurück, und der Fürst hatte nicht mehr Zeit zu antworten.

„Hier, Fürst“, sagte Aglaja, indem sie ihr Album auf ein Tischchen legte. „Suchen Sie sich eine Seite aus, und schreiben Sie mir etwas hinein! Hier ist eine Feder, noch dazu eine ganz neue. Es macht doch nichts aus, daß es eine Stahlfeder ist? Ich habe mir sagen lassen, die Kalligraphen schrieben nicht mit Stahlfedern.“

Während sie mit dem Fürsten sprach, schien sie gar nicht zu bemerken, daß Ganja ebenfalls da war. Aber während nun der Fürst die Feder in Ordnung brachte, eine Seite aussuchte und sich zum Schreiben fertigmachte, trat Ganja an den Kamin heran, wo Aglaja unmittelbar rechts neben dem Fürsten stand, und sagte zu ihr mit zitternder, stockender Stimme aus nächster Nähe.

„Ein einziges Wort, nur ein einziges Wort von Ihnen — und ich bin gerettet.“

Der Fürst wandte sich rasch um und sah sie beide an. Auf Ganjas Gesicht lag der Ausdruck echter Verzweiflung; er schien diese Worte ohne jede Überlegung hervorgestoßen zu haben. Aglaja blickte ihn ein paar Sekunden lang mit ganz demselben ruhigen Erstaunen an wie eine Weile vorher den Fürsten, und es schien, daß dieses ruhige Erstaunen, diese Verwunderung, diese offenkundige völlige Verständnislosigkeit für das, was ihr gesagt war, in diesem Augenblick für Ganja schrecklicher war, als es die stärkste Verachtung hätte sein können.

„Was soll ich denn schreiben?“ fragte der Fürst.

„Ich werde es Ihnen gleich diktieren“, erwiderte Aglaja, sich zu ihm wendend. „Sind Sie bereit? Nun, dann schreiben Sie: ‚Ich lasse mich nicht auf Handelsgeschäfte ein.‘ Setzen Sie jetzt das Datum darunter! Zeigen Sie her!“

Der Fürst reichte ihr das Album hin.

„Vorzüglich! Sie haben es erstaunlich schön geschrieben; Ihre Handschrift ist ganz wundervoll! Ich danke Ihnen. Auf Wiedersehen, Fürst … Warten Sie“, fügte sie hinzu, als ob ihr plötzlich etwas einfiele, „kommen Sie mit; ich will Ihnen etwas zum Andenken schenken.“

Der Fürst folgte ihr; als sie jedoch ins Eßzimmer kamen, blieb Aglaja stehen.

„Lesen Sie das da!“ sagte sie, ihm Ganjas Billett reichend. Der Fürst nahm das Billett und blickte Aglaja erstaunt an.

„Ich weiß ja, daß Sie es nicht gelesen haben und nicht der Vertraute dieses Menschen sein können. Lesen Sie, es ist mein Wunsch, daß Sie es lesen.“

Das Billett war augenscheinlich in großer Eile geschrieben:

„Heute wird mein Schicksal entschieden, Sie wissen, in welcher Weise. Heute werde ich unwiderruflich mein Wort geben müssen. Ich habe keinerlei Recht auf Ihre Teilnahme und wage nicht, irgendwelche Hoffnungen zu hegen, aber Sie haben früher einmal ein Wort ausgesprochen, nur ein einziges Wort, und dieses Wort hat die ganze dunkle Nacht meines Lebens erhellt und ist für mich ein Leuchtzeichen geworden. Sagen Sie jetzt noch ein solches Wort — und Sie werden mich damit vom Untergang erretten! Sagen Sie nur zu mir: ‚Brich alle Beziehungen ab!‘ und ich tue es noch heute. Oh, was kostet es Sie, dieses eine Wort zu sagen! Ich erbitte dieses Wort nur als Zeichen Ihrer Teilnahme und Ihres Mitleids mit mir — nur in diesem Sinne! Weiter soll es nichts sein, nichts! Ich wage nicht, irgendwelche Hoffnung zu hegen, weil ich solcher Hoffnung nicht würdig bin. Aber wenn Sie dieses Wort gesprochen haben, werde ich von neuem meine Armut auf mich nehmen und meine verzweifelte Lage mit Freuden ertragen. Ich werde in den Kampf eintreten; ich werde mich seiner freuen und in ihm neue Kraft gewinnen!
Senden Sie mir dieses Wort der Teilnahme (nur der Teilnahme, das schwöre ich Ihnen!). Zürnen Sie nicht über die Kühnheit eines Verzweifelnden, Ertrinkenden, der eine letzte Anstrengung zu machen gewagt hat, um sich vor dem Untergange zu retten!

G. J.“

„Dieser Mensch versichert“, sagte Aglaja scharf, als der Fürst zu Ende gelesen hatte, „daß das Wort ‚Brechen Sie alle Beziehungen ab!‘ mich nicht kompromittieren und zu nichts verpflichten solle, und er gibt mir, wie Sie sehen, hierin, in diesem Billett, eine schriftliche Garantie dafür. Beachten Sie, wie naiv er einige Worte unterstrichen hat, und in wie plumper Weise seine geheime Absicht hervorschaut! Er weiß übrigens, daß, wenn er alle Beziehungen abbräche, aber von selbst, allein, ohne auf ein Wort von mir zu warten und ohne mit mir auch nur davon zu reden und ohne jede Hoffnung auf meine Hand, daß ich dann meine Gefühle gegen ihn ändern und vielleicht seine Freundin werden würde. Das weiß er genau! Aber er hat eine niedrige Gesinnung: er weiß es und kann sich doch nicht entschließen; er weiß es und verlangt doch Garantien. Er ist nicht imstande, auf Treu und Glauben einen Entschluß zu fassen. Er möchte, daß ich ihm, als Ersatz für die hunderttausend Rubel, die Hoffnung auf meine Hand gebe. Was aber jenes frühere Wort anlangt, von dem er in seinem Billett spricht und das angeblich sein Leben erhellt hat, so lügt er frech. Ich habe ihm einfach einmal meine Teilnahme ausgesprochen. Aber er ist dreist und unverschämt; ihm ist damals sogleich der Gedanke durch den Kopf gegangen, da sei für ihn eine Hoffnung möglich, ich habe das sofort bemerkt. Seitdem hat er angefangen, auf mich Jagd zu machen, und so sucht er mich auch jetzt zu fangen. Aber genug davon; nehmen Sie dieses Billett, und geben Sie es ihm zurück, unmittelbar nachdem Sie unser Haus werden verlassen haben, selbstverständlich nicht früher!“

„Und welche Antwort soll ich ihm ausrichten?“

„Natürlich gar keine. Das ist die beste Antwort. Sie wollen also in seinem Hause wohnen?“

„Iwan Fjodorowitsch hat es mir vorhin selbst empfohlen“, antwortete der Fürst.

„Dann nehmen Sie sich vor ihm in acht, ich warne Sie; er wird es Ihnen jetzt nicht verzeihen, daß Sie ihm sein Billett zurückbringen.“

Aglaja drückte dem Fürsten leicht die Hand und ging hinaus. Ihr Gesicht war ernst und finster, und sie lächelte nicht einmal, als sie dem Fürsten zum Abschied zunickte.

„Ich bin gleich fertig, ich will nur mein Bündel holen“, sagte der Fürst zu Ganja. „Dann können wir gehen.“

Ganja stampfte vor Ungeduld mit dem Fuß. Sein Gesicht wurde ganz dunkel vor Wut. Endlich traten beide auf die Straße, der Fürst mit seinem Bündel in der Hand.

„Und die Antwort? Die Antwort?“ bestürmte ihn Ganja. „Was hat sie Ihnen gesagt? Haben Sie ihr meinen Brief übergeben?“

Der Fürst reichte ihm schweigend sein Billett hin. Ganja erstarrte.

„Wie? Mein Billett!“ rief er. „Er hat es ihr gar nicht einmal übergeben! Oh, das hätte ich mir im voraus sagen müssen! O dieser ver-r-dammte … Nun ist es erklärlich, daß sie vorhin nichts verstand! Aber wie kommt denn das, daß Sie es ihr nicht übergeben haben, Sie ver-r-dammter …“

„Entschuldigen Sie, es gelang mir im Gegenteil sogleich, Ihr Billett zu übergeben, unmittelbar nachdem Sie es mir eingehändigt hatten, und genau in der Art, wie Sie es wünschten. Ihr Billett befindet sich jetzt deshalb wieder in meinen Händen, weil Aglaja Iwanowna es mir soeben wieder zurückgegeben hat.“

„Wann? Wann?“

„Als ich mit der Eintragung in das Album fertig war und sie mich aufforderte, mit ihr hinauszukommen. Sie haben es wohl gehört? Wir gingen in das Eßzimmer; dort gab sie mir das Billett und befahl mir, es durchzulesen und Ihnen zurückzugeben.“

„Durch-zu-lesen!“ schrie Ganja. „Durchzulesen! Und Sie haben es gelesen?“

Er blieb von neuem wie erstarrt mitten auf dem Gehsteig stehen und war dermaßen erstaunt, daß er sogar den Mund aufriß.

„Ja, ich habe es gelesen, jetzt eben.“

„Und sie selbst, sie selbst hat es Ihnen zum Durchlesen gegeben? Sie selbst?“

„Ja, sie selbst; Sie können mir glauben, daß ich es ohne ihre Aufforderung nicht gelesen hätte.“

Ganja schwieg eine Minute und überlegte etwas mit qualvoller Anstrengung, aber plötzlich rief er:

„Es ist unmöglich! Sie konnte Sie nicht auffordern, den Brief zu lesen. Sie lügen! Sie haben ihn ohne Erlaubnis durchgelesen!“

„Ich sage die Wahrheit“, antwortete der Fürst in dem früheren, völlig ruhigen Ton, „und seien Sie überzeugt: es tut mir sehr leid, daß dies auf Sie einen so unangenehmen Eindruck macht.“

„Aber, Sie Unseliger, sie hat Ihnen doch wenigstens etwas dabei gesagt, etwas geantwortet?“

„Ja, gewiß.“

„So sprechen Sie doch, sprechen Sie doch, zum Teufel!“

Ganja stampfte mit dem in einem Überschuh steckenden rechten Fuß zweimal auf das Pflaster.

„Als ich den Brief durchgelesen hatte, sagte sie mir, Sie suchten sie zu fangen; Sie wünschten sie zu kompromittieren, um auf ihre Hand hoffen zu können, damit Sie dann, auf diese Hoffnung gestützt, eine andere Hoffnung auf hunderttausend Rubel ohne Verlust fahren lassen könnten. Wenn Sie das täten, ohne mit ihr eine Art von Handelsgeschäft zu machen, und alle jene Beziehungen auf eigene Faust abbrächen, ohne von ihr vorher eine Garantie zu verlangen, dann würde sie vielleicht Ihre Freundin werden. Das ist alles, glaube ich. Ja, noch eins: als ich den Brief bereits zurückerhalten hatte und fragte, was für eine Antwort ich bestellen solle, da sagte sie, keine Antwort werde die beste Antwort sein. Ich meine, so war es; entschuldigen Sie, wenn ich den genauen Wortlaut vergessen habe; ich habe es Ihnen so mitgeteilt, wie ich es selbst verstanden habe.“

Ein grenzenloser Zorn bemächtigte sich Ganjas, und seine Wut kam hemmungslos zum Ausbruch.

„Ah! So steht es!“ rief er zähneknirschend. „Also meine Briefe werden aus dem Fenster geworfen! Ah! Auf Handelsgeschäfte will sie sich nicht einlassen — nun, so werde ich es tun! Wir wollen einmal sehen! Ich habe noch viele Hilfsmittel … wir wollen einmal sehen! … Ich will sie schon klein kriegen! …“

Sein Gesicht verzerrte sich, er wurde ganz blaß, sein Mund schäumte, er drohte mit der Faust. So gingen sie einige Schritte. Vor dem Fürsten legte er sich nicht den geringsten Zwang auf; er benahm sich, als wäre er in seinem Zimmer und ganz allein, weil er den Fürsten geradezu als eine Null betrachtete. Aber auf einmal fiel ihm etwas ein, und er kam zur Besinnung.

„Aber wie kommt es“, wandte er sich plötzlich an den Fürsten, „wie kommt es, daß Sie“ (‚Idiot!‘fügte er im stillen hinzu) „auf einmal eine solche Vertrauensstellung einnehmen, zwei Stunden nach der ersten Bekanntschaft? Wie kommt das?“

Zu all seinen Qualen hatte nur noch der Neid gefehlt, der nun auf einmal sein Herz schmerzhaft packte.

„Das weiß ich Ihnen allerdings nicht zu erklären“, antwortete der Fürst.

Ganja warf ihm einen grimmigen Blick zu.

„Da hat sie Sie wohl ins Eßzimmer gerufen, um Ihnen ihr Vertrauen zu schenken? Denn daß sie Ihnen etwas schenken wollte, hatte sie ja vorher gesagt.“

„Ich kann es nicht anders auffassen als in dieser Weise.“

„Aber, zum Teufel, wodurch haben Sie denn das verdient? Was haben Sie denn so Dankenswertes dort getan? Wodurch haben Sie so gefallen? Hören Sie einmal“, sagte er hastig (in seinem Geiste war in diesem Augenblick alles gleichsam bunt durcheinandergewürfelt und befand sich in ärgster Unordnung, so daß er mit seinen Gedanken nicht zurechtkommen konnte), „hören Sie einmal, können Sie sich nicht wenigstens einigermaßen erinnern und der Reihe nach erzählen, wovon Sie dort eigentlich gesprochen haben, alle Ihre Worte, von Anfang an? Haben Sie irgend etwas Eigenartiges geäußert, besinnen Sie sich nicht?“

„O ja, sehr wohl“, antwortete der Fürst. „Gleich zu Anfang, als ich hereingekommen und mit den Damen bekannt geworden war, sprachen wir über die Schweiz.“

„Ach, hol die Schweiz der Teufel!“

„Dann über die Todesstrafe.“

„Über die Todesstrafe?“

„Ja, das Gespräch führte uns darauf … Dann erzählte ich ihnen, wie ich dort vier Jahre gelebt habe, und eine Geschichte von einem armen Bauernmädchen ….“

„Ach, zum Teufel mit dem armen Bauernmädchen! Weiter!“ drängte Ganja ungeduldig.

„Dann, wie Schneider mir seine Ansicht über meinen Charakter aussprach und mich nötigte ….“

„Hol Ihren Schneider der Henker, was scheren mich seine Ansichten! Weiter!“

„Dann fing ich bei irgendeinem Anlaß an, von Gesichtern zu sprechen, das heißt von dem Ausdruck der Gesichter, und sagte, Aglaja Iwanowna sei fast ebenso schön wie Nastasja Filippowna. Und da kam ich denn auch auf das Bild zu sprechen ….“

„Aber Sie haben nichts mitgeteilt, Sie haben doch nichts von dem mitgeteilt, was Sie vorher im Arbeitszimmer gehört hatten? Nein? Nein?“

„Ich wiederhole Ihnen, daß ich es nicht getan habe.“

„Aber woher dann, zum Teufel …. Ha! Hat Aglaja den Brief etwa der Alten gezeigt?“

„Was das betrifft, kann ich Ihnen bestimmt garantieren, daß sie es nicht getan hat. Ich war die ganze Zeit dabei, sie hatte auch gar keine Zeit dazu.“

„Aber vielleicht haben Sie selbst etwas nicht bemerkt …. Oh, dieser ver-r-dammte Idiot!“ schrie er auf einmal ganz außer sich, „er kann nicht einmal etwas erzählen!“

Ganja, der nun einmal ins Schimpfen hineingeraten war und keinen Widerstand fand, verlor allmählich alle Selbstbeherrschung, wie das bei manchen Menschen immer ist. Es fehlte nicht viel, und er hätte vielleicht zu spucken begonnen, so wütend war er. Aber eben infolge dieser Wut war er auch wie blind; sonst hätte er längst bemerken müssen, daß dieser „Idiot“, den er so verächtlich behandelte, manche Dinge sehr schnell und genau durchschaute und außerordentlich klar darzustellen wußte. Doch auf einmal geschah etwas Unerwartetes.

„Ich muß Ihnen bemerken, Gawrila Ardalionowitsch“, sagte der Fürst plötzlich, „daß ich zwar früher in der Tat so krank war, daß ich wirklich fast einem Idioten glich, aber jetzt bin ich schon längst wiederhergestellt, und daher ist es mir einigermaßen unangenehm, wenn man mich, mir ins Gesicht, einen Idioten nennt. Allerdings kann man Ihre Mißerfolge als Entschuldigung für Sie geltend machen, aber Sie haben mich in Ihrem Ärger schon zweimal mit Schimpfnamen belegt. Das mißfällt mir sehr, namentlich auch, da Sie es so ohne weiteres gleich beim Beginn unserer Bekanntschaft tun, und da wir uns jetzt gerade an einer Straßenkreuzung befinden, so ist es wohl das beste, wenn wir uns trennen: gehen Sie rechts nach Ihrer Wohnung, und ich werde links gehen. Ich bin im Besitz von fünfundzwanzig Rubel und werde wohl irgendein hôtel garni finden.“

Ganja wurde höchst verlegen und errötete sogar vor Scham.

„Verzeihen Sie, Fürst!“ rief er eifrig, indem er seinen scheltenden Ton schnell mit einem äußerst höflichen vertauschte. „Ich bitte Sie inständig, verzeihen Sie mir! Sie sehen, in welcher entsetzlichen Lage ich mich befinde! Sie wissen noch fast nichts darüber, aber wenn Sie alles wüßten, würden Sie mich gewiß wenigstens einigermaßen entschuldigen, obwohl selbstverständlich mein Verhalten unentschuldbar ist …“

„Oh, ich beanspruche gar nicht so lange Entschuldigungen“, beeilte sich der Fürst zu erwidern. „Ich begreife ja, daß Ihre Lage sehr unangenehm ist und Sie deswegen schimpfen. Nun, dann wollen wir nach Ihrer Wohnung gehen. Ich tue es mit Vergnügen …“

‚Nein, so darf ich ihn jetzt nicht davonlassen‘, sagte sich Ganja im stillen, während er unterwegs dem Fürsten grimmige Blicke zuwarf. ‚Dieser schlaue Patron hat mir alle meine Geheimnisse entlockt und nun auf einmal die Maske abgeworfen … Das hat etwas zu bedeuten … Nun, wir wollen sehen! Es wird sich alles entscheiden, alles, alles! Noch heute!‘

Sie standen schon gerade vor dem Hause.


  1. Das geht wohl auf 1. Sam. 13, 14 zurück (A.d.Ü.)