Fabrikgesetzgebung und Zehnstundenagitation
Die Tory-Regierung von 1841 wandte wieder ihre Aufmerksamkeit auf die Fabrikgesetze. Der Minister des Innern, Sir James Graham, schlug 1843 eine Bill vor, wodurch die Arbeitszeit der Kinder auf 6 1/2 Stunden beschränkt und der Schulzwang verschärft wurde; die Hauptsache dabei war aber die Errichtung besserer Schulen. Diese Bill scheiterte indes an der Eifersucht der Dissenters ; obwohl der Zwang für Dissenterkinder nicht auf den Religionsunterricht ausgedehnt wurde, so war doch die Schule überhaupt unter die Aufsicht der Staatskirche gestellt, und da die Bibel das allgemeine Lesebuch bilden, die Religion also dem ganzen Unterricht zugrunde liegen sollte, so fanden sich die Dissenter bedroht. Die Fabrikanten und überhaupt die Liberalen schlugen sich zu ihnen, die Arbeiter waren wegen der kirchlichen Frage geteilt und deshalb untätig, die Opposition gegen die Bill brachte, obwohl sie in den großen Fabrikstädten, z.B. Salford und Stockport, geschlagen wurde und in andern, wie Manchester, nur einige Punkte der Bill aus Furcht vor den Arbeitern angreifen konnte, dennoch an zwei Millionen Unterschriften für ihre Petitionen zusammen, und Graham ließ sich so weit einschüchtern, daß er die ganze Bill zurücknahm. Im nächsten Jahre ließ er die Bestimmungen wegen der Schulen weg und schlug bloß vor, statt der bisherigen Vorschriften die Arbeit von Kindern zwischen acht und dreizehn Jahren auf 6 1/2 Stunden täglich und zwar so, daß sie entweder den Vormittag oder den Nachmittag ganz frei hätten, die von jungen Leuten zwischen dreizehn und achtzehn Jahren und die aller Weiber auf zwölf Stunden festzustellen und außerdem einige Beschränkungen der bisher häufigen Umgehung des Gesetzes einzuführen. Kaum war er damit aufgetreten, so begann die Zehnstunden-Agitation heftiger als je. Oastler wurde frei, eine Anzahl seiner Freunde und eine Kollekte unter den Arbeitern hatten seine Schuld bezahlt - und mit voller Kraft warf er sich in die Bewegung. Die Vertreter der Zehnstundenbill im Unterhause hatten zugenommen, die Massen von Petitionen, die von allen Seiten für die Zehnstundenbill einkamen, führten ihnen neue Unterstützer zu - am 19. März 1844 setzte Lord Ashley durch eine Majorität von 179 gegen 170 den Beschluß durch, daß der Ausdruck "Nacht" in der Fabrikbill die Zeit zwischen sechs Uhr abends und sechs Uhr morgens ausdrücken solle, wodurch also bei dem Verbot der Nachtarbeit die Arbeitszeit inklusive Freistunden auf 12 und der Sache nach exklusive Freistunden auf 10 gesetzt wurde. Aber das Ministerium war damit nicht einverstanden. Sir James Graham begann mit einem Rücktritt des Kabinetts zu drohen - und bei der nächsten Abstimmung über einen Paragraphen der Bill verwarf das Haus mit kleinen Majoritäten sowohl zehn als zwölf Stunden! Graham und Peel erklärten nun, daß sie eine neue Bill einbringen würden, und wenn diese nicht passierte, so würden sie abtreten; die neue Bill war genau die alte Zwölfstundenbill, nur mit Abänderungen der Form - und dasselbe Unterhaus, das im März diese Bill in ihren Hauptpunkten verworfen, nahm sie jetzt im Mai mit Haut und Haaren an! Die Ursache davon war, daß die meisten Unterstützer der Zehnstundenbill Tories waren, die lieber die Bill als das Ministerium fallen ließen; aber mögen die Motive gewesen sein, welche sie wollen, das Unterhaus hat sich durch diese Abstimmungen, deren eine die andere umwirft, bei allen Arbeitern in die größte Verachtung gebracht und die von den Chartisten behauptete Notwendigkeit seiner Reform selbst aufs glänzendste bewiesen. Drei Mitglieder, die früher gegen das Ministerium gestimmt hatten, stimmten später dafür und retteten es dadurch. Bei allen Abstimmungen stimmte die Masse der Opposition für und die Masse der Ministeriellen gegen das Kabinett.13) Die obigen Vorschläge Grahams wegen respektive 6 1/2 stündiger und 12 stündiger Arbeit der beiden Arbeiterklassen sind also jetzt gesetzlich festgestellt und hierdurch sowie durch Beschränkung des Nachholens für verlorne Zeit (wenn Maschinerie zerbrach oder die Wasserkraft wegen Frost oder Dürre zu gering wurde) und andere kleinere Beschränkungen ist eine längere als zwölfstündige Arbeitszeit fast unmöglich gemacht. Es unterliegt indes keinem Zweifel, daß in sehr kurzer Zeit die Zehnstundenbill wirklich durchgehen wird. Die Fabrikanten sind natürlich fast alle dagegen, es gibt vielleicht keine zehn, die dafür sind; sie haben alle ehrlichen und unehrlichen Mittel gegen diesen ihnen verhaßten Vorschlag aufgeboten, aber das hilft ihnen zu nichts, als daß sie sich den Haß der Arbeiter immer mehr und mehr zuziehen. Die Bill geht doch durch, was die Arbeiter wollen, das können sie, und daß sie die Zehnstundenbill wollen, haben sie im vorigen Frühjahr bewiesen. Die nationalökonomischen Argumente der Fabrikanten, daß eine Zehnstundenbill die Produktionskosten steigere, daß sie dadurch die englische Industrie unfähig mache, gegen auswärtige Konkurrenz zu kämpfen, daß der Arbeitslohn notwendig fallen müsse usw., sind allerdings halb wahr, aber sie beweisen nichts, als daß die industrielle Größe Englands nur durch barbarische Behandlung der Arbeiter, nur durch Zerstörung der Gesundheit, durch soziale, physische und geistige Vernachlässigung ganzer Generationen aufrechterhalten werden kann. Natürlich, wäre die Zehnstundenbill eine definitive Maßregel, so würde England dabei ruiniert; weil sie aber notwendig andere Maßregeln nach sich zieht, die England auf eine ganz andere als die bisher befolgte Bahn lenken müssen, deshalb wird sie ein Fort schritt sein.
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13) Bekanntlich blamierte sich das Unterhaus in derselben Session noch einmal auf diese Weise in der Zuckerfrage, wo es zuerst gegen, später, nach Anwendung der "Regierungspeitsche", für die Minister entschied.