Sklaverei - Fabrikregeln


Weiter. Die Sklaverei, in der die Bourgeoisie das Proletariat gefesselt hält, kommt nirgends deutlicher ans Tageslicht als im Fabriksystem. Hier hört alle Freiheit rechtlich und faktisch auf. Der Arbeiter muß morgens um halb sechs in der Fabrik sein - kommt er ein paar Minuten zu spät, so wird er gestraft, kommt er zehn Minuten zu spät, so wird er gar nicht hineingelassen, bis das Frühstück vorüber ist, und verliert einen Vierteltag am Lohn (obgleich er nur 2 1/2 Stunden von 12 nicht arbeitet). Er muß auf Kommando essen, trinken und schlafen. Er hat zur Befriedigung der allerdringendsten Bedürfnisse die allergeringste Zeit, die zu ihrer Abmachung nötig ist. Ob seine Wohnung von der Fabrik eine halbe oder ganze Stunde weit abliegt, kümmert den Fabrikanten nicht. Die despotische Glocke ruft ihn aus dem Bette, ruft ihn vom Frühstück und Mittagstisch.

Und wie geht es ihm gar erst in der Fabrik! Hier ist der Fabrikant absoluter Gesetzgeber. Er erläßt Fabrikregulationen, wie er Lust hat; er ändert und macht Zusätze an seinem Kodex, wie es ihm beliebt; und wenn er das tollste Zeug hineinsetzt, so sagen doch die Gerichte dem Arbeiter:

"Ihr wart ja Euer eigner Herr, Ihr brauchtet ja einen solchen Kontrakt nicht einzugehen, wenn Ihr nicht Lust hattet; jetzt aber, da Ihr unter diesen Kontrakt Euch freiwillig begeben habt, jetzt müßt Ihr ihn auch befolgen."

Und so hat der Arbeiter noch den Spott des Friedensrichters, der selbst ein Bourgeois ist, und des Gesetzes, das von der Bourgeoisie gegeben wurde, in den Kauf. Solche Entscheidungen sind oft genug gegeben worden. Im Oktober 1844 stellten die Arbeiter des Fabrikanten Kennedy in Manchester die Arbeit ein. Kennedy verklagte sie auf Grund einer in der Fabrik angeschlagenen Vorschrift: daß aus jedem Zimmer nie mehr als zwei Arbeiter auf einmal kündigen dürften! Und das Gericht gab ihm recht und den Arbeitern die obige Antwort. ("Manchester Guardian", 30. Oktober.) Und wie sind diese Regeln gewöhnlich! Hört: 1. Die Fabriktüre wird 10 Minuten nach dem Anfange der Arbeit geschlossen und niemand bis zum Frühstück hereingelassen. Wer während dieser Zeit abwesend ist, verwirkt für jeden Webstuhl 3 d. Strafe. 2. Jeder (Maschinenstuhl-)Weber, der während einer andern Zeit, während die Maschine in Bewegung ist, abwesend gefunden wird, verwirkt für jede Stunde und jeden Webstuhl, den er zu beaufsichtigen hat, 3 d. Wer während der Arbeitszeit ohne Erlaubnis des Aufsehers das Zimmer verläßt, wird ebenfalls 3 d. gestraft. 3. Weber, die keine Schere bei sich haben, verwirken für jeden Tag 1 d. 4. Alle Weberschiffchen, Bürsten, Ölkannen, Räder, Fenster etc., die zerbrochen werden, müssen von dem Weber bezahlt werden. 5. Kein Weber darf ohne Aufkündigung, die eine Woche vorher geschehen muß, aus dem Dienst treten. Der Fabrikant kann jeden Arbeiter ohne Kündigung für schlechte Arbeit oder unziemliches Betragen entlassen. 6. Jeder Arbeiter, der mit einem andern sprechend, der singend oder pfeifend betroffen wird, entrichtet 6 d. Strafe. Wer während der Arbeit von seinem Platze geht, ebenfalls 6 d.15) - Mir liegt noch ein anderes Fabrikreglement vor, nach welchem jedem, der drei Minuten zu spät kommt, eine Viertelstunde, und jedem, der zwanzig Minuten zu spät kommt, ein Vierteltag am Lohn abgehalten wird. Wer vor dem Frühstück ganz weg bleibt, 1 sh. am Montag und 6 d. an jedem andern Tage etc. etc. Dies letztere ist das Reglement der Phoenix Works, in Jersey Street, Manchester. - Man wird mir sagen, solche Regeln seien notwendig, um in einer großen, geordneten Fabrik das nötige Ineinandergreifen der verschiedenen Manipulationen zu sichern; man wird sagen, eine solche strenge Disziplin sei hier ebenso notwendig wie bei der Armee - gut, es mag sein, aber was ist das für eine soziale Ordnung, die ohne solche schändliche Tyrannei nicht bestehen kann? Entweder heiligt der Zweck das Mittel, oder der Schluß von der Schlechtigkeit des Mittels auf die Schlechtigkeit des Zwecks ist ganz gerechtfertigt. Und wer Soldat gewesen ist, weiß, was es heißt, auch nur für kurze Zeit unter militärischer Disziplin zu stehen; diese Arbeiter sind aber dazu verdammt, vom neunten Jahre an bis zu ihrem Tode unter der geistigen und körperlichen Fuchtel zu leben, sie sind ärgere Sklaven als die Schwarzen in Amerika, weil sie schärfer beaufsichtigt werden - und dabei wird noch verlangt, daß sie menschlich leben, menschlich denken und fühlen sollen! Wahrlich, sie können es wieder nur im glühendsten Haß gegen ihre Unterdrücker und gegen die Ordnung der Dinge, die sie in eine solche Lage versetzt, die sie zu Maschinen herabwürdigt! Es ist aber noch viel schändlicher, daß es nach der allgemeinen Aussage der Arbeiter eine Menge Fabrikanten gibt, die die den Arbeitern auferlegten Geldstrafen mit der herzlosesten Strenge eintreiben, um aus den den besitzlosen Proletariern geraubten Pfennigen ihren Gewinn zu vergrößern. Auch Leach behauptet, daß die Arbeiter oft morgens die Uhr der Fabrik um eine Viertelstunde vorgerückt und infolgedessen bei ihrer Ankunft die Tür verschlossen finden, während der Schreiber mit dem Strafbuch drinnen durch die Zimmer geht und die große Menge der Fehlenden aufschreibt. Leach will selbst einmal 95 solcher ausgeschlossenen Arbeiter gezählt haben vor einer Fabrik, deren Uhr abends eine Viertelstunde hinter und morgens eine Viertelstunde vor den öffentlichen Uhren der Stadt ging. Der Fabrikbericht erzählt ähnliche Dinge. In einer Fabrik wurde die Uhr während der Arbeitszeit zurückgesetzt, so daß länger gearbeitet wurde als die richtige Zeit und der Arbeiter doch nicht mehr Lohn bekam; in einer andern wurde geradezu eine Viertelstunde länger gearbeitet, in einer dritten war eine gewöhnliche Uhr und eine Maschinenuhr, welche die Anzahl der Umdrehungen des Hauptschafts anzeigte; ging die Maschinerie langsam, so wurde nach der Maschinenuhr gearbeitet, bis die für 12 Stunden berechnete Anzahl Umdrehungen voll war; ging die Arbeit gut, so daß diese Zahl vor der rechten Zeit voll war, so mußten die Arbeiter dennoch bis zum Ende der zwölften Stunde fortarbeiten. Der Zeuge fügt hinzu, er habe einige Mädchen gekannt, die in guter Arbeit waren und Extrastunden arbeiteten, die aber doch lieber sich der Prostitution in die Arme geworfen, als daß sie sich diese Tyrannei hätten gefallen lassen (DrinkW[ater] evid. p. 80). Leach erzählt, um auf die Geldstrafen zurückzukommen, er habe zu wiederholten Malen gesehen, wie hochschwangere Frauen, die sich einen Augenblick bei ihrer Arbeit gesetzt hatten, um auszuruhen, für dies Vergehen um 6 d. gestraft wurden. Die Strafen wegen schlechter Arbeit werden vollends willkürlich auferlegt; die Ware wird im Lager nachgesehen, und hier schreibt der nachsehende Lagermeister die Strafen auf eine Liste, ohne den Arbeiter auch nur herbeizurufen; dieser erfährt erst, daß er gestraft worden ist, wenn ihm der Aufseher den Lohn ausbezahlt und die Ware vielleicht schon verkauft und jedenfalls auf die Seite gebracht ist. Leach besitzt eine solche Strafliste, die zusammengeheftet zehn Fuß lang ist und sich auf Pfd. St. 35-17-10 d. beläuft. Er erzählt, daß in der Fabrik, wo diese Liste aufgesetzt, ein neuer Lagermeister entlassen worden sei, weil er zu wenig strafe und so dem Fabrikanten fünf Pfund (34 Taler) wöchentlich zu wenig einbringe ("Stubborn Facts", p. 13-17). Und ich wiederhole nochmals, daß ich Leach als einen durchaus zuverlässigen und einer Lüge unfähigen Mann kenne.

Aber auch außerdem ist der Arbeiter der Sklave seines Brotherrn. Wenn dem reichen Herrn die Frau oder Tochter des Arbeiters gefällt - so hat er nur zu verfügen, nur zu winken, und sie muß ihm ihre Reize opfern. Wenn der Fabrikant eine Petition zum Schutz der Bourgeoisie-Interessen mit Unterschriften zu bedecken wünscht - er braucht sie nur in seine Fabrik zu schicken. Will er eine Parlamentswahl durchsetzen - er schickt seine stimmfähigen Arbeiter in Reih und Glied an die Stimmbuden, und sie müssen wohl für den Bourgeois stimmen, sie mögen wollen oder nicht. Will er in einer öffentlichen Versammlung eine Majorität haben - er entläßt sie eine halbe Stunde früher als gewöhnlich und besorgt ihnen Plätze dicht an der Tribüne, wo er sie gehörig überwachen kann.

 

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15) "Stubborn Facts", p. 9 ff.


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