Fabrikgesetzgebung und Zehnstundenagitation

 

Die zerstörenden Wirkungen des Fabriksystems fingen schon früh an, allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Von dem Lehrlingsgesetz von 1802 sprachen wir schon. Später, gegen 1817, fing der nachherige Stifter des englischen Sozialismus, damals Fabrikant in Neu-Lanark (Schottland), Robert Owen, an, durch Petitionen und Denkschriften der vollziehenden Gewalt die Notwendigkeit gesetzlicher Garantien für die Gesundheit der Arbeiter, besonders der Kinder, vorzuhalten. Der verstorbene Sir R. Peel sowie andere Philanthropen schlossen sich ihm an und erwirkten nacheinander die Fabrikgesetze von 1819 präpariert, die Fabriken gefegt, die Schnelligkeit der Maschinenbewegung verringert hätten etc. Namentlich in Lancashire brauchten sie den Kniff, der Kommission die Aufseher der Arbeitssäle als "Arbeiter" vorzuführen, um diese für die Humanität der Fabrikanten, die gesunde Wirkung der Arbeit und die Gleichgültigkeit, ja Abneigung der Arbeiter gegen die Zehnstundenbill zeugen zu lassen. Aber diese Aufseher sind keine echten Arbeiter mehr, sie sind Deserteure ihrer Klasse, die sich für höheren Lohn in den Dienst der Bourgeoisie begeben haben und im Interesse der Kapitalisten gegen die Arbeiter kämpfen. Ihr Interesse ist das der Bourgeoisie, und daher sind sie den Arbeitern fast mehr verhaßt wie die Fabrikanten selbst. Und dennoch ist der Bericht vollkommen genügend, um die schändlichste Rücksichtslosigkeit der fabrizierenden Bourgeoisie gegen ihre Arbeiter, die ganze Infamie des industriellen Ausbeutungssystems in ihrer vollen Unmenschlichkeit zu zeigen. Nichts ist empörender, als hier in diesem Bericht auf der einen Seite die langen Register von Krankheiten und Verkrüppelungen durch Überarbeitung der kalten, berechnenden Nationalökonomie des Fabrikanten auf der andern gegenübergestellt zu sehen, wo dieser mit Zahlen zu beweisen sucht, daß er und ganz England mit ihm zugrunde gehen müßte, wenn man ihm nicht mehr erlaube, jährlich soundso viele Kinder zu Krüppeln zu machen - nur die schamlose Sprache des Herrn Ure, die ich eben angeführt habe, würde noch empörender sein, wenn sie nicht zu lächerlich wäre.

Die Folge dieses Berichts war das Fabrikgesetz von 1833, das die Arbeit von Kindern unter neun Jahren verbot (mit Ausnahme der Seidenfabriken), die Arbeitszeit der Kinder zwischen 9 und 13 Jahren auf 48 Stunden wöchentlich oder höchstens 9 an einem Tage, die von jungen Leuten zwischen dem 14. und 18. Lebensjahre auf 69 wöchentlich oder 12 höchstens an einem Tage beschränkte, ein Minimum von 1 1/2 Stunden Zwischenzeit für Mahlzeiten festsetzte und das Nachtarbeiten für alle unter 18 Jahren nochmals verbot. Zugleich wurde ein täglich zweistündiger zwangsmäßiger Schulbesuch für alle Kinder unter 14 Jahren eingeführt und der Fabrikant für straffällig erklärt, wenn er Kinder ohne Alterszertifikat vom Fabrikarzte oder ohne Schulbesuchszertifikat vom Lehrer beschäftige. Dafür durfte er wöchentlich einen Penny für den Lehrer vom Lohne des Kindes zurückbehalten. Außerdem wurden Fabrikärzte und Inspektoren ernannt, die zu jeder Zeit in die Fabrik gehen, die Arbeiter eidlich verhören durften und auf die Beachtung des Gesetzes durch Klage beim Friedensgericht zu halten hatten Das ist das Gesetz, worüber Dr. Ure so grenzenlos schimpft!

Die Folge des Gesetzes und namentlich der Ernennung von Inspektoren war, daß die Arbeitszeit durchschnittlich auf zwölf bis dreizehn Stunden herabgesetzt und die Kinder so gut ersetzt wurden, als es ging. Damit verschwanden einige der schreiendsten Übel fast gänzlich; Verkrüppelungen kamen nur noch bei sehr schwachen Konstitutionen vor die Wirkungen der Arbeit traten weniger eklatant ans Tageslicht. Indes haben wir im Fabrikbericht Zeugnisse genug, daß die gelinderen Übel, Anschwellung der Fußgelenke, Schwache und Schmerzen in Beinen, Hüften und Rückgrat, varikose Adern, Geschwüre an den unteren Extremitäten, allgemeine Schwäche, besonders Schwächung des Unterleibe, Neigung zum Erbrechen, Mangel an Appetit abwechselnd mit Heißhunger, schlechte Verdauung, Hypochondrie, dann die Brustübel infolge des Staubes und der schlechten Atmosphäre der Fabriken usw. usw., alle auch in den Fabriken und bei denjenigen Individuen vorkamen, die nach den Vorschriften von Sir J. C. Hobhouses Gesetz - also zwölf bis höchstens dreizehn Stunden arbeiteten. Die Berichte aus Glasgow und Manchester sind hier namentlich zu vergleichen. Diese Übel sind auch nach dem Gesetz von 1833 geblieben und fahren bis auf den heutigen Tag fort, die Gesundheit der arbeitenden Klasse zu untergraben. Man hat dafür gesorgt, daß die brutale Gewinnsucht der Bourgeoisie eine heuchlerische, zivilisierte Form annahm, daß die Fabrikanten, durch den Arm des Gesetzes von allzu krassen Niederträchtigkeiten abgehalten, desto mehr scheinbaren Grund haben, ihre erlogene Humanität selbstgefällig auszukramen - das ist alles. Wenn heute eine neue Fabrikkommission ausginge, sie würde das meiste beim alten finden. Was den extemporierten Schulzwang betrifft, so blieb dieser ganz wirkungslos, da die Regierung nicht zu gleicher Zeit für gute Schulen sorgte. Die Fabrikanten stellten ausgediente Arbeiter an, zu denen sie die Kinder zwei Stunden täglich schickten und so dem Buchstaben des Gesetzes genügten - die Kinder lernten nichts. Und selbst die Berichte der Fabrikinspektoren, die sich nur auf das beschränken, was ihres Amts ist, nämlich die Befolgung des Fabrikgesetzes, geben Material genug, um daraus das notwendige Fortbestehen der erwähnten Übel schließen zu können. Inspektoren Horner und Saunders, in ihren Berichten vom Oktober und Dezember 1843, erzählen, daß eine Menge Fabrikanten in denjenigen Arbeitszweigen, wo die Arbeit von Kindern entbehrt oder durch sonst brotlos gewordene Erwachsene ersetzt werden kann, 14 bis 16 Stunden und drüber arbeiten lassen. Darunter seien namentlich viele junge Leute, die eben dem Gesetz entwachsen seien. Andere verletzen das Gesetz geradezu, verkürzen die Freistunden, lassen Kinder länger arbeiten, als erlaubt ist, und lassen es auf eine Anklage ankommen, da die etwaige Strafe doch sehr gering ist gegen den Nutzen, den sie von der Übertretung haben. Namentlich jetzt, wo das Geschäft besonders gut geht, haben die Fabrikanten große Versuchung dazu.

Unter den Arbeitern hörte indes die Zehnstunden-Agitation nicht auf; 1839 war sie wieder in vollem Zuge, und an des verstorbenen Sadlers Stelle trat im Unterhause Lord Ashley und außer demselben Richard Oastler, beide Tories. Oastler namentlich, der fortwährend in den Arbeiterdistrikten agiterte und schon zu Sadlers Zeiten agitiert hatte, ward der spezielle Günstling der Arbeiter. Sie nannten ihn nur ihren "guten alten König", den "König der Fabrikkinder", und in den ganzen Fabrikdistrikten ist kein Kind, das ihn nicht kennt und verehrt, das ihm nicht, wenn er in die Stadt kommt, mit den andern in Prozession entgegenzieht. Oastler opponierte auch sehr energisch gegen das neue Armengesetz und wurde deshalb von einem Herrn Thornhill, einem Whig, auf dessen Gut er Verwalter war und dem er eine Summe schuldete, wegen Schulden gefangengesetzt. Die Whigs boten ihm mehrmals an, seine Schuld zu bezahlen, ihn sonst zu begünstigen, wenn er seine Opposition gegen das Armengesetz aufgeben wolle. Vergebens. Er blieb im Gefängnis und schickte von da aus seine "Fleet papers" gegen das Fabriksystem und das Armengesetz.

 


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