Abteilung X.
Über die Wunder.
Abschnitt II.
« Zurück 1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 Weiter »
Niemals ist eine größere Zahl von Wundern jemand zugeschrieben worden, als die, welche in Frankreich auf dem Grabe des Abt Paris, des berüchtigten Jansenisten geschehen sein sollten, mit dessen Heiligkeit das Volk so lange betrogen wurde. Die Heilung von Kranken, die Wiedererlangung des Gehörs bei Tauben, und des Gesichts bei Blinden wurden überall als Wirkungen dieses heiligen Grabes erzählt. Aber noch viel wunderbarer ist es, dass viele von diesen Wundern gleich an Ort und Stelle festgestellt worden sind, und zwar vor Richtern von unzweifelhafter Rechtlichkeit, auf das Zeugnis von glaubwürdigen und angesehenen Personen, in einem aufgeklärten Zeitalter und auf der hervorragendsten Schaubühne der jetzigen Welt. Dies ist aber noch nicht alles. Ein Bericht davon wurde gedruckt und überall verbreitet, und die Jesuiten waren nicht im Stande, ihn bestimmt zu widerlegen oder den Betrug aufzudecken, obgleich diese gelehrte Körperschaft von der Obrigkeit unterstützt wurde und eine erklärte Feindin der Ansichten war, zu deren Gunsten die Wunder geschehen sein sollten.A10
Wo gäbe es wohl eine solche Zahl von Umständen, die zur Bestätigung einer Tatsache so zusammenträfen wie hier, und was könnte man einer solchen Masse von Zeugen entgegenstellen, wäre es nicht die unbedingte Unmöglichkeit der wunderbaren Natur der berichteten Ereignisse. Aber dies wird sicherlich in den Augen aller vernünftigen Leute als genügende Widerlegung gelten.
Der Schluss ist nicht richtig, dass weil menschliches Zeugnis in gewissen Fällen von der höchsten Gültigkeit und Kraft ist, wenn es z.B. die Schlacht von Philippi oder Pharsalus berichtet, deshalb jede Art von Zeugnis in allen Fällen gleiche Kraft und Gültigkeit haben müsse. Man nehme an, dass die Parteien des Cäsar und Pompejus jede den Sieg in diesen Schlachten für sich beansprucht hätten, und dass die Geschichtsschreiber jeder Partei ebenso ihrer eigenen den Vorteil zugeschrieben hätten, wie hätte da die Menschheit bei solcher Entfernung die Entscheidung treffen können. Der Widerspruch ist aber ebenso stark bei den Wundern, die Herodot und Plutarch erzählen, und die Mariana, Beda und andere Mönche berichten.
Der Weise schenkt einem Bericht nur sehr zweifelhaften Glauben, wenn er den Leidenschaften des Berichterstatters schmeichelt, sei es zum Ruhme seines Landes, seiner Familie oder seiner selbst, oder im Interesse einer seiner Neigungen und Schwächen. Welche größere Versuchung gibt es aber, als für einen Sendling, einen Propheten oder Abgesandten des Himmels gehalten zu werden; wer fürchtet Gefahren und Schwierigkeiten, wenn es gilt, einen so erhabenen Charakter zu gewinnen. Wenn jemand mit Hülfe seiner Eitelkeit und erhitzten Phantasie erst sich selbst zu einem Gläubigen gemacht hat und ernstlich auf die Täuschung eingegangen ist, so wird er vor keiner frommen Betrügerei zurückschrecken, die eine so heilige und verdienstvolle Sache unterstützen soll.
Der kleinste Funke kann hier zur großen Flamme werden, weil die Stoffe dazu immer bereit liegen. Das avidum genus auricularum9, die staunende und stierende Volksmasse erfasst begierig und ohne Prüfung alles, was dem Aberglauben schmeichelt und Wunder zustande bringt.
_______________
9 Lucretius.
A10 Die Schrift verfasste Herr Montgeron, Parlamentsrath in Paris, ein Mann von Ansehen und Charakter. Er wurde zum Märtyrer für diese Sache und soll in Folge dieser Schrift irgendwo im Kerker sitzen.
Es gibt auch noch ein anderes Buch in drei Bänden (Titel: Erzählung der Wunder des Abt Paris), was einen Bericht über viele dieser Wunder mit Bemerkungen enthält, und welches gut geschrieben ist. Dennoch zieht sich durch das Ganze eine lächerliche Vergleichung der Wunder des Abtes mit denen unseres Erlösers, und es wird behauptet, dass der Beweis für jene so stark, wie für diese sei. Als wenn das Zeugnis der Menschen je mit dem von Gott selbst verglichen werden könnte, der den inspirierten Verfassern die Feder geführt hat. Könnte man diese Verfasser nur als menschliche Zeugen betrachten, so wäre jener französische Schriftsteller noch massig in seinem Vergleich; er könnte dann mit vielem Schein behaupten, dass die Jansenistischen Wunder jene weit an Bezeugung und Glaubwürdigkeit übertreffen. Das Folgende ist glaubwürdigen Dokumenten entnommen, die in jenem Buche abgedruckt sind. Viele von diesen Wundern des Abt Paris wurden sofort von Zeugen vor dem Officium oder bischöflichen Gerichtshof von Paris unter den Augen des Kardinal Noailles bekundet, dessen Einsichten und Charakter selbst von seinen Feinden nicht angegriffen worden sind.
Sein Nachfolger im Bischofssitz war ein Feind der Jansenisten und deshalb dazu berufen worden. Trotzdem dringen zweiundzwanzig Rektoren oder Pastoren von Paris mit dem höchsten Ernst in ihn, diese Wunder zu untersuchen, die aller Welt bekannt und über alle Zweifel erhaben sein sollten. Er lehnte es indes klüglich ab.
Die Molinistische Partei hatte in dem Fall des Fräulein le Franc diese Wunder in Verdacht bringen wollen. Allein sie verfuhren dabei auf die unregelmäßigste Weise von der Welt; insbesondere verhörten sie nur einige Jansenisten, mit denen sie heimlich durchstachen, und bald wurden sie durch einen Haufen neuer Zeugen erdrückt; einhundertundzwanzig an Zahl, welche zu den vermögenden und glaubwürdigen Einwohnern gehörten und das Wunder beschwuren. Damit verband sich eine feierliche und ernste Berufung an das Parlament. Es war indes dem Parlament von Oben verboten worden, sich in die Sache zu mischen. - Man ersieht, dass wenn die Menschen von Eifer und Begeisterung erhitzt sind, selbst die stärksten Zeugnisse für die größte Widersinnigkeit beschafft werden können. Wer so töricht ist, die Sache aus diesem Gesichtspunkt zu betrachten und nach besonderen Mängeln in den Zeugnissen zu suchen, wird sicherlich nichts erreichen. Die Betrügerei wäre jämmerlich, die bei einem solchen Streit nicht die Oberhand behielte.
Alle, welche damals in Frankreich waren, wussten, welches Ansehen Herr Heraut, der Polizeipräsident, besaß, dessen Wachsamkeit, Scharfsinn, Tätigkeit und ausgedehnte Einsicht allgemein anerkannt wurde. Diese Magistratsperson, deren amtliche Macht beinahe unbeschränkt war, hatte volle Macht erhalten, die Wunder zu unterdrücken und in Verdacht zu bringen. Oft zitierte und vernahm er sofort die Zeugen und die bei dem Wunder Beteiligten, und dennoch konnte er nie etwas Genügendes gegen sie erreichen. In dem Falle mit Fräulein Thibaut schickte er den bekannten Dr. de Sylow zu ihr; dessen Bericht ist sehr merkwürdig. Der Arzt versichert, dass sie unmöglich so krank gewesen sein könne, wie die Zeugen bekundeten, weil sie unmöglich sich so schnell hätte wieder vollständig erholen können, wie dies bei seinem Besuche der Fall gewesen. Er hält sich mit seinen Folgerungen, wie ein verständiger Mann, innerhalb des Natürlichen, aber die Gegner sagten ihm, dass das Ganze ein Wunder sei und dass sein Zeugnis der sicherste Beweis dafür sei.
Die Molinisten befanden sich in einer unangenehmen Lage. Sie wagten es nicht zu behaupten, dass menschliches Zeugnis für den Beweis eines Wunders ganz unzureichend sei; sie waren vielmehr genötigt, das Wunder als ein Werk der Zauberei und des Teufels darzustellen. Man entgegnete ihnen, dass dies die alten Juden auch so gemacht hätten. Kein Jansenist kam in Verlegenheit, wenn er erklären sollte, weshalb die Wunder aufgehört hätten, als der Kirchhof auf Befehl des Königs geschlossen wurde. Die Berührung des Grabes war es, die diese wunderbaren Wirkungen hervorbrachte; konnte niemand zum Grabe gelangen, so konnte man auch keine Wirkung erwarten. Allerdings hätte Gott die Mauern augenblicklich umreißen können; aber er bleibt der Herr über seine Gnade und Werke, und wir haben keine Rechtfertigung davon zu geben. Er wirft nicht in jeder Stadt die Mauern nieder, wie in Jericho bei dem Ton der Widderhörner, und er bricht nicht das Gefängnis jedes Apostels auf, wie er bei dem heiligen Paulus getan.
Kein geringerer Mann, als der Herzog von Chantillon, Herzog und Pair von Frankreich, vom höchsten Rang und Familie, bezeugt die Wunderkur an seinem Diener, der mehrere Jahre an seinem Hofe an einer sichtbaren und fühlbaren Krankheit gelitten hatte. Ich schließe mit der Bemerkung, dass die Weltgeistlichkeit von Frankreich vor allem sich durch Reinheit des Lebens und der Sitten auszeichnet; insbesondere die Pfarrer und Rektoren von Paris, welche diese Betrügereien bezeugen.
Die Gelehrsamkeit, der Verstand und die Rechtlichkeit der Mönche, so wie die Sittenstrenge der Nonnen von Port-Royal sind durch ganz Europa bekannt. Dennoch bezeugen sie sämtlich ein Wunder, was an der Nichte des berühmten Pascal geschehen sei, dessen heiliges Leben ebenso wie sein außerordentlicher Geist allbekannt sind. Der berühmte Racine erzählt in seiner berühmten Geschichte von Port-Royal dieses Wunder und bestätigt es durch das Zeugnis einer Menge von Nonnen, Priestern, Ärzten und Edelleuten, deren Glaubwürdigkeit unzweifelhaft war. Mehrere Gelehrte, unter Andern der Bischof von Tournay, hielten diese Wunder für so gewiss, dass sie sie zur Widerlegung der Atheisten und Freidenker benutzten. Die Regentin von Frankreich, welche gegen Port-Royal sehr eingenommen war, sandte ihren eigenen Arzt zur Untersuchung des Wunders, und dieser kam als ein Bekehrter zurück. Kurz, die übernatürliche Heilung war so unbestreitbar, dass es eine Zeit lang dieses berühmte Kloster gegen die Aufhebung schützte, mit der es die Jesuiten bedrohten. Hätte hier ein Betrug untergelegen, so hätte er sicherlich durch so kluge und mutige Gegner entdeckt werden müssen, und es würde die Niederlage der Betrüger beschleunigt haben. Unsere Geistlichen vermögen aus verächtlichem Material eine furchtbare Burg zu errichten; welches ungeheure Werk hätten sie da nicht aus diesen und anderen Umständen zustande bringen können, die ich übergangen habe. Wie oft würden die großen Namen von Pascal, Racine, Arnold und Nicole vor unseren Ohren geklungen haben? Wären sie klug gewesen, so hätten sie das Wunder annehmen sollen, und nicht tausendmal mehr wert sein wollen, als der Rest ihrer Sippschaft. Überdem hätte es ihnen sehr nützlich werden können. Denn dieses Wunder wurde wirklich vollbracht durch die Berührung eines wirklichen heiligen Spans von den heiligen Dornen, welche die heilige Krone bildeten, welche u.s.w.
« Zurück 1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 Weiter »