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Abteilung X.
 
Über die Wunder.
Abschnitt II.

 

     Wie viele solche Geschichten sind nicht zu allen Zeiten entdeckt und gleich in ihrer Kindheit ausgemerzt worden? Wie viele andere sind nicht für eine Zeit lang gepriesen worden und dann in Vergessenheit und Vernachlässigung geraten? Wo mithin solche Erzählungen herumgetragen werden, da liegt die Lösung des Vorganges auf der Hand, und man bleibt in Übereinstimmung mit den Regeln der Beobachtung und Erfahrung, wenn man sie auf die bekannten und natürlichen Ursachen der Leichtgläubigkeit und Täuschung zurückführt. Und soll man, anstatt zu einer so natürlichen Lösung zu greifen, lieber eine wunderbare Verletzung der festesten Naturgesetze annehmen?

     Ich brauche nicht die Schwierigkeit bei Aufdeckung einer Unwahrheit zu erwähnen, welche für Privat- und selbst öffentliche Erzählungen schon an dem Orte besteht, wo das Ereignis stattgefunden haben soll; sie wird noch größer, wenn die Szene, wenn auch nur um ein Geringes, abrückt. Selbst ein Gerichtshof ist trotz seines Ansehens, seiner Genauigkeit und Sorgfalt oft in Verlegenheit, wenn er zwischen Wahrheit und Irrtum bei ganz natürlichen Vorgängen entscheiden soll. Aber die Sache kommt nie zum Austrag, wenn man sich nur der gemeinen Weise des Streitens, Zankens und den umlaufenden Gerüchten anvertraut; vorzüglich, wenn die Leidenschaften auf beiden Seiten sich einmischen.

     Während der Kindheit einer neuen Religion halten kluge und gelehrte Leute die Sache gewöhnlich ihrer Aufmerksamkeit und Berücksichtigung nicht wert. Später, wenn sie den Betrug gerne aufdecken möchten, um die Menge aus der Täuschung zu befreien, ist die gute Zeit vorüber, und die Zeugen und Urkunden, welche die Sache aufklären könnten, sind unwiederbringlich verloren.

     Keine Mittel der Aufdeckung bleiben dann übrig, als die, welche aus den Aussagen der Berichterstatter selbst hervorgehen, und welche dem Verständigen und Unterrichteten genügen, aber für das Verständnis der Masse meist zu fein sind.

     Im Ganzen erhellt, dass kein Zeugnis für irgend ein Wunder es kaum zur Wahrscheinlichkeit, geschweige zur Gewissheit bringen könne; selbst wenn es möglich wäre, würde ihm die andere Gewissheit entgegenstehen, welche sich aus der Natur der Tatsache von selbst ergibt, die bewiesen werden soll. Nur die Erfahrung gibt dem menschlichen Zeugnis Glaubwürdigkeit; aber dieselbe Erfahrung vergewissert auch von den Gesetzen der Natur. Stehen daher diese beiden Arten von Erfahrung einander entgegen, so kann man nur die eine von der andern abziehen und entweder die Ansicht der einen oder andern Seite mit der Zuversicht annehmen, welche sich aus dem Überrest ergibt. Nach den hier dargelegten Grundsätzen verwandelt sich bei allen Volksreligionen diese Subtraktion in eine gänzliche Aufhebung, und man kann es daher als Grundsatz aufstellen, dass kein menschliches Zeugnis ein Wunder beweisen und zur Grundlage eines Religionssystems machen kann.

     Ich bitte die hier gemachte Einschränkung nicht zu übersehen, wenn ich sage, dass kein Wunder so bewiesen werden kann, um zur Grundlage eines Religionssystems zu dienen. Denn ich gebe zu, dass sonst vielleicht es Wunder und Verletzungen des gewöhnlichen Naturlaufs solcher Art geben mag, welche durch menschliches Zeugnis beweisbar sind; obgleich es vielleicht unmöglich sein wird, irgend ein solches in einer Geschichtsurkunde aufzufinden. So nehme man z.B. an, dass alle Geschichtsschreiber in allen Sprachen darin übereinstimmten, dass am 1. Januar 1600 eine vollständige Finsternis über der ganzen Erde acht Tage lang verbreitet gewesen sei; man nehme an, dass die Überlieferung dieses außerordentlichen Ereignisses noch im Volke stark und lebendig sei; dass alle aus fremden Ländern zurückkehrenden Reisenden dieselbe Überlieferung brächten, ohne die geringste Veränderung oder Widerspruch: so würden offenbar unsere heutigen Philosophen, anstatt die Sache zu bezweifeln, sie als gewiss annehmen und die Ursachen aufsuchen müssen, welche sie veranlasst haben könnten. Der Rückgang, die Verderbnis und die Auflösung der Natur wird durch so manche Analogien wahrscheinlich gemacht, dass ein nach dieser Katastrophe hin zielendes Ereignis innerhalb des Beweises menschlichen Zeugnisses fällt, wenn die Bekundungen zahlreich und gleichlautend sind.

     Man setze aber, alle Geschichtsschreiber Englands stimmten darin überein, dass die Königin Elisabeth am 1. Januar 1600 gestorben sei; dass sowohl vor als nach ihrem Tode sie von ihren Ärzten und dem ganzen Hofe gesehen worden sei, wie bei Personen ihres Ranges dies gebräuchlich ist; dass ihr Nachfolger vom Parlament anerkannt und ausgerufen worden sei, und dass Jene, einen Monat nach ihrem Begräbnis, wieder erschienen sei, den Thron wieder bestiegen und England noch drei Jahre regiert habe. Ich würde dann allerdings über das Zusammentreffen so vieler Umstände betroffen sein, aber nicht im Geringsten geneigt sein, ein so wunderbares Ereignis zu glauben. Ich würde den vorgeblichen Tod und das, was sich nachher öffentlich zugetragen hat, nicht bezweifeln; ich würde nur behaupten, dass der Tod bloß vorgegeben worden sei und kein wirklicher gewesen sei und gewesen sein könne. Man würde mir vergeblich entgegnen, dass es schwer, ja unmöglich sei, die Welt in einer so wichtigen Angelegenheit zu hintergehen; auch die Weisheit und das sichere Urteil dieser berühmten Königin, so wie der geringe Nutzen, den sie aus so einem erbärmlichen Kunststück hätte ziehen können, - Alles das würde mich nur stutzig machen; aber ich würde immer erwidern, dass die Schlechtigkeit und Torheit der Menschen so gewöhnliche Dinge sind, dass ich eher an außerordentliche Ereignisse aus deren Zusammentreffen glauben, als eine so offenbare Verletzung der Naturgesetze zulassen könnte.

 


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