Nach Nestroy
»Man findt’s ganz natürlich und kein Hahn kräht danach«
(Judith und Holofernes)
In Babylon hab’n s’ wollen einen Stephansturm baun,
Der hat soll’n unserm Herrgott in die Fenster eini schaun,
Kaum war’n s’ ober der Uhr, war’n s’ schon alle verwirrt,
Eins hat spanisch und das andere chinesisch diskriert.
Das hab’n d’ Leut’ unerhört
Für ein Wunder erklärt.
Jetzt auch wollen viele baun bis in d’ Wolken hinauf,
Aber ’s tuts nicht, die G’schicht’ löst in sich selber sich auf,
Denn beim Grundsteinleg’n hab’n s’ ang’stimmt ein’n Diskurs,
Gegen den alles Babylonische verstecken sich muß.
So was nennt man kein Wunder jetzt mehr heutzutag,
Man findt’s ganz natürlich und kein Hahn kräht danach.
Als bei den Juden in der Wüste der Hunger und die Not
Aufs höchste war gestiegen, regnets himmlisches Brot
Und Wachteln mit Manna — da waren s’ vor Freud’ ganz verwirrt,
Wie der Moses die Lage des Landes saniert.
Das hab’n d’ Leut’ unerhört
Für ein Wunder erklärt.
No ich bitt Sie, also is denn das auch schon a Tat,
Der Moses war ein Nebbich und noch lang kein Prälat.
Unser Retter geht nach Genf, und wir nicht zugrund
Und uns fliegen die gebratenen Tauben in’n Mund.
So was nennt man kein Wunder jetzt mehr heutzutag,
Man findt’s ganz natürlich und kein Hahn kräht danach.
Der Glaube an Wunder lebt vom blauen Dunst.
Den babylonischen Turm zu baun — no war das eine Kunst?
Die Sprachenverwirrung war grad unser Panier
Und wir trotzten der Welt, denn mir waren doch mir.
Das hat die Welt unerhört
Für ein Wunder erklärt.
Da hat Er’s reiflich erwogen und wir riskierten den Sturm,
Die Sprachen verstummten, aber zurückblieb der Turm.
Jetzt heißt’s halt auf Gott und den Prälaten vertraun,
Und schön langsam den babylonischen Turm abzubaun.
Wenns gelingt, wär’s ein Wunder am hellichten Tag —
Doch ich glaub’, nur der Seipel, aber kein Hahn kräht danach!