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Künstliche Geschwüre

Geschwüre, künstliche, Ulcera artificialia. Die künstlichen Geschwüre sind gegen viele schlimme Krankheiten als derivierende, umstimmende, eine vikariierende Tätigkeit nach Außen erregende Mittel von großem Nutzen. Hierher gehören die Spanischen Fliegenpflaster, anhaltend als Emplastrum vesicatorium perpetuum gebraucht, die Fontanellen n. a. m. Eins der vorzüglichsten Mittel zur Erregung und Unterhaltung eines künstlichen Geschwüres ist der Seidelbast. Hier verweisen wir auf den Artikel: Daphne Mezereum, wo auch der einzelnen Krankheiten gedacht worden ist, wo künstliche Geschwüre, vor denen sich der Laie oft ohne Not scheuet, ihre zweckmäßige Anwendung finden.

Zu den künstlichen Geschwüren gehören ganz vorzüglich noch die Fontanellen und die Haarseile. Beide werden nicht nur als Ableitungsmittel, sondern auch dann angewendet, wenn die gesunkene Lebenstätigkeit in einem Organe erhöhet und umgestimmt, und durch eine absondernde Fläche auf solche Weise abgelagerte, verhärtete Stoffe durch Entzündung und Eiterung zur Schmelzung gebracht und entfernt werden sollen. Daher erklärt sich der Nutzen dieser Mittel: 1) bei tief greifenden Organisationsstörungen wichtiger Gebilde z. B. chronischen Krankheiten des Gehirns, bei hartnäckigen Augenleiden (namentlich Amaurose, der rheumatischen und gichtischen Augenentzündung und ihren Folgen, der Wassersucht des Auges, dem Staphylome der Hornhaut, dem Augenfell u. s. w.), bei den verschiedenen Graden der Schwerhörigkeit und Taubheit, bei organischen Krankheiten der Lungen, des Herzens etc., bei chronischer Gelenkentzündung. 2) Bei den kalten Abszessen und anderen Geschwülsten, welche Flüssigkeit enthalten, wie dem Wasserbruche (Hydrocele), den Balggeschwülsten, wenn sie so liegen, dass ihre Exstirpation entweder unmöglich, oder doch sehr gefährlich wäre, z. B. in der Achselhöhle. (Fricke, in der Zeitschrift für die gesamte Medizin. Bd. I. Heft I. Hamburg 1836.) 3) Zur Schmelzung und Verkleinerung von Geschwülsten, welche auf anderem Wege nicht beseitigt werden können, z. B. dem lymphatischen und zystischen Kropfe, dem geringeren Grade der Struma lymphatico-vasculosa, bei tiefsitzenden Muttermälern, etc.; um durch die sich einstellende Eiterung die Zerstörung der krankhaft abgelagerten und erstarrten Stoffe zu erzielen. 4) Um Entzündung und Eiterung bei zögernder Konsolidation der Bruchenden, bei widernatürlichen Gelenken hervorzurufen, um den Blutaderbruch zu beseitigen. 5) Der Gebrauch der Fontanellen war früher weit allgemeiner in Aufnahme, weil man durch ein solches künstliches Geschwür verdorbene Stoffe ausleeren zu können glaubte, und es wurde deshalb bei allgemein verbreiteten Leiden, namentlich Dyskrasien etc. zum Setzen der Fontanellen geschritten, während man sie jetzt rationeller als kräftige Ableitungsmittel in einzelnen Krankheiten allen übrigen Mitteln dieser Klasse vorzieht. Wir gebrauchen sie, um in der Tiefe gelegene Krankheitsprozesse durch eine kräftige Ableitung nach einem minder edlen Organe, der äußeren Haut, zu lindern oder zur völligen Heilung zu führen, namentlich bei der weißen Kniegeschwulst, bei Knochenleiden der Wirbelbeine, des Hüftgelenkes, beim freiwilligen Hinken, bei Lähmungen der Glieder, Augenliderkrampf, bei Augenentzündungen mit heftiger Lichtscheue. Auch werden sie dann mit Nutzen gebraucht, wenn vorher schon lange bestehende, krankhafte Produkte: große Gewächse, Speckgeschwülste etc. auf operativem Wege beseitigt werden sollen