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Heilsame Triebe

Die heilsamen Triebe bei manchen Dyskrasien, wie bei Bleichsucht, Skorbut, bei galligen Krankheiten, überhaupt bei vorherrschender Venosität nach sauren, bei Verschleimungen nach salzigen, bei Säure der ersten Wege nach absorbierenden Substanzen, in der Harnruhr nach Fleischnahrung, im Typhus nach Säuren, sind ohnehin bekannt; da, wo die ersten Wege durch schadhafte Stoffe leiden, wird der Instinkt gewöhnlich durch eine analoge Beschaffenheit des Geschmacks geleitet. Diese Modalitäten der Triebe hängen nicht von der Quantität der Lebenskräfte, sondern von ihrer Qualität ab, und sind daher eigentümlich in jeder Krankheitsform.

Die Triebe in wahren Neurosen, z. B. in der Hysterie, Hypochondrie, im Magenkrampf überraschen uns eben so oft durch ihre Energie, als durch die Gegenstände, nach denen sie gerichtet sind. Leider! lässt sich hier keine allgemeine Regel aufstellen; sie sind nicht so konstant, wie die Triebe im entzündlichen Fieber und den früher erwähnten, von materiellen Ursachen bedingten Formen, sondern wechseln nach den Individuen. Von dem Verhalten der Triebe im Allgemeinen in den verschiedenen Krankheitsfamilien gehen wir nun zu den Einzelnen über.

Mangel an Esslust in Krankheiten ist stets zu berücksichtigen, nicht so der Hunger. Er ist nur dann heilsam, wenn er den notwendigen Ersatz der organischen Materie anzeigt, und er ist nicht zu befriedigen, wenn er von einer idiopathischen oder sympathischen Reizung des Magens herrührt. Man hebe den kranken Zustand des Magens, und der Heißhunger wird verschwinden.

Je intensiver der Grad des Krankheitsprozesses, um so geringer ist in der Regel die Esslust. Wenn dies vorzüglich bei akuten, fieberhaften Leiden hervortritt, so sehen wir bei chronischen oft gerade das Gegenteil. Zur Verlegenheit des Arztes ist die Esslust in Formen, gegen welche sich die Hungerkur als treffliches Mittel bewährt, außerordentlich gesteigert, z. B. bei der Wurmkrankheit, bei chronischen Ausschlägen, Afterorganisationen, Syphilis u. s. w. Die verschiedene Qualität der Nahrungsmittel, nach welcher der Hunger gerichtet ist, wurde bereits früher erwähnt. Im Allgemeinen sprechen diese Gelüste, so wie andere Triebe dem homöopathischen Grundsatz: Similia similibus curantur, nicht das Wort. Die physiatrischen Triebe sind gewöhnlich nach dem gerichtet, was dem Krankheitszustande entgegengesetzt ist.

Unter allen Trieben ist der Durst, d. i. der Trieb, Flüssigkeiten in den Organismus aufzunehmen, mehr oder weniger stets zu befriedigen; er mag nun eine Äußerung des Instinkts oder nur ein krankhaftes Symptom repräsentieren. Selbst da, wo er die eigentliche Ursache der Krankheit ausmacht, wie in der Trunksucht, ist er nur allmählich und vorsichtig zu beschränken.

Was die Euphorie betrifft, so steht ihr der erhöhte Geschlechtstrieb gegenüber. Im Allgemeinen wird die Krankheit durch seine Befriedigung verschlimmert; dies erleidet nur dann eine Ausnahme, wenn seine Steigerung nicht sowohl ein Symptom der Krankheit, als die Folge früherer Angewöhnung ist, oder das Leiden durch plötzliche Enthaltsamkeit entstand. Diese seltneren Fälle verschwinden gegen die Unzahl, in denen der lebhaftere Geschlechtstrieb nur in Folge idiopathischer oder sympathischer Reizung des Uterus auftritt, wie in den meisten chronischen Hautübeln, der Gicht, dem Blasensteine, dem Typhus, der Phthisis, dem weißen Fluss u. s. w. Tritt bei Cancer uteri, zu dem sich öfters erhöhter Geschlechtstrieb gesellt, Empfängnis ein, so stirbt die Kranke gewöhnlich sogleich nach der Entbindung.

Instinktmäßig ist jene Sehnsucht nach frischer Luft, dem habituellen Reize der Lungen, die wir oft beim Asthma, bei vielen Neurosen, bei Greisen mit zunehmender Venosität, im zweiten Stadium der Augenblennorrhöe beobachten. — Überall, wo das Gefühl von Mattigkeit oder Schwäche obwaltet, treffen wir den Trieb zur Ruhe, der dem wahren Heilzwecke oft gerade zuwiderläuft, z. B. bei Hysterie, Bleichsucht, Skorbut; das entzündliche Fieber allein macht hier eine konstante Ausnahme. Ähnliche Beobachtungen bieten sich in Bezug auf Bewegung dar; dahin gehört ein krankhafter Trieb zur Bewegung in adynamischen Fiebern, und in den vorgerückten Stadien der Phthisis, die außerordentliche Unruhe bei Herzkrankheiten, die vor Allem Ruhe erfordern. Dieselben pathologischen Triebe finden sich auch bei Tieren. In der Rinderpest suchte sich das Hornvieh gegen das Ende der Krankheit manchmal von den Ketten loszureißen und zu entlaufen; gelingt es indessen einzelnen Köpfen, so brechen sie bald kraftlos zusammen, und enden unter Konvulsionen.

Richtiger und oft bewunderungswert ist der Instinkt, mit dem der Kranke die ihm vorteilhafteste Lage und Stellung einnimmt. Er wird dabei durch Instinkt, nicht durch bloße Reflexion und Erfahrung bestimmt; denn wir begegnen diesen Erscheinungen auch bei Schlafenden, bei bewusstlosen Kranken, bei Kindern. Die Zahl der Beispiele ist hier so bedeutend, dass ich hier nur einige erwähne. Der Kranke mit Gehirnextravasat legt sich auf die leidende Seite; der mit Gehirnssplitter auf die entgegengesetzte; der Asthmatiker richtet seinen Oberleib auf- und vorwärts. Instinktmäßig ist das Dehnen und Strecken der Glieder bei träger Zirkulation vor asthmatischen Anfällen oder Wechselfieberparoxysmen, das Vorwärtsbeugen bei Entzündung der Harnblase, das Zusammendrücken des Unterleibes bei Blähungskolik, das Zurückbeugen des Halses bei häutiger Bräune, um den Kehlkopf möglichst zu erweitern, das Aufrichten des Körpers in den Anfällen des Keuchhustens, das Hinaufziehen der Beine bei Kolik u. s. w. (S. Gesundheitsregeln S. 224.)

Ein beständiger und gewöhnlich schmerzhafter Trieb zu willkürlichen Exkretionen ist krankhaft, wie bei Strangurie zum Harnen, bei der Ruhr der Drang zur Stuhlentleerung (Tenesmus), zum Räuspern bei Angina tonsillaris. Je öfter ihn der Kranke befriedigt, um so schlimmer. Das Krankhafte des Triebes charakterisiert sich dadurch, dass die Menge des Exkretums In keinem Verhältnis zur krankhaft gesteigerten Tätigkeit ist. —