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Triebe in Krankheiten

Eine besondere Äußerung der Naturheilkraft, die man bis jetzt noch sehr wenig gewürdigt hat, sind die Triebe in Krankheiten. Sie teilen sich, wie andere Symptome, in kritische, durch welche die Natur Heilung zu bewirken sucht, und in rein symptomatische oder Zeichen des Krankseins. Diese gehen aus der Krankheit selbst (pathologische Triebe), jene aus der Reaktion des Organismus hervor (physiatrische Triebe). — Weiglein (Medic. Jahrb. d. österr. Staats. 1841. Mai. p. 130) hat über die Triebe im Allgemeinen und über die Triebe in Krankheiten in Bezug auf Naturautokratie sehr interessante Mitteilungen gemacht. Er stellt folgende Prämissen über Triebe im Allgemeinen auf:

1) Die Befriedigung eines Triebes kann entweder durchaus unwillkürlich und bewusstlos geschehen, wie bei den sogenannten automatischen Bewegungen, oder willkürlich, wie jene des Hungers, des Geschlechtstriebes. Im letzteren Falle wird oft fälschlich für Trieb gehalten, was nur Folge der Reflexion war. Jederzeit sind es aber willkürliche Muskeln, die den Trieb wirklich ausführen.

2) Jene Organe sind in ihren Funktionen durch auffallende Triebe unterstützt, deren habitueller Reiz durch Willkür herbeigeschafft wird, z. B. der Magen, die Geschlechtsorgane, das Auge u. s. w.; im weitem Sinne ist jedes willkürliche Organ gleichsam mit einem Triebe begabt, seine Funktion auszuüben.

3) Die Triebe hängen mit unserer Organisation überhaupt und mit jener des betreffenden Organs innig zusammen; nach den Abänderungen, die sie erleiden, werden auch sie modifiziert; sie gestalten sich daher anders im Kinde, als im Greise; im Manne anders, als im Weibe u. s. w.

4) Bei gesunden, starken Individuen sind die Triebe in der Regel energischer und lebhafter, als bei Schwächlingen, eben so die einzelnen Triebe bei vorherrschender Entwicklung des betreffenden Organs. Kretins z. B. zeigen ungemeine Gehässigkeit wegen vorwaltender Ausbildung des Verdauungsapparats und der Esswerkzeuge; mit einem kräftigen Muskelsystem vereint sich ein stärkerer Trieb zur Bewegung u. s. w. Diese Triebe sind daher natürlich in jener Periode am lebhaftesten, in der die Tätigkeit des Organs am höchsten gesteigert ist.

5) Der Instinkt wurzelt offenbar im ganzen Nervensysteme, daher in jedem Teile, der Nerven hat; vor Allem aber ruht er im Gangliensysteme, nimmt in dem Masse ab, als die höhern Seelenkräfte sich ausbilden und ist durch die Kultur schwächer geworden. Bei Kindern und im rohen Naturzustande tritt er lebhafter hervor, und im bewusstlosen Zustand, im Schlaf u. dergl. ist er oft bewunderungswürdig.

6) Der Instinkt der Tiere dient uns gleichsam zum Maßstab, wonach wir die instinktmäßigen Verrichtungen des Menschen beurteilen. Er ist in ihnen kräftiger und deutlicher ausgeprägt, in Bezug auf die Art und das Maß, den Trieb zu befriedigen. Bei dem Menschen muss der Verstand und Übung das vervollkommnen, was der Instinkt ihn lehrte; er unterrichtet zwar das Kind in der Ausübung der willkürlichen Funktionen, in jener Periode, in der sie zeitgemäß ist. Jedoch alle diese Fertigkeiten, das Gehen, Sprechen u. s. w., sind noch unvollkommen, das einzige Saugen des Kindes macht eine Ausnahme, weil davon seine Selbsterhaltung abhängt. Die sogenannten Kunsttriebe der Tiere werden dagegen im ersten Momente mit derselben Geschicklichkeit ausgeführt, wie später. Was die Ernährung betrifft, so sehen wir diesen Unterschied der tierischen und menschlichen Triebe noch schärfer hervortreten. Jede Tierspezies, besonders die niederen, wird durch die Natur gebieterisch zur passenden Nahrung hingetrieben; das Kind zieht allerdings milde und nahrhafte Speisen und Getränke den übrigen vor, lässt sich aber auch die verkehrteste Nahrung ohne Mühe beibringen. Diese Unsicherheit des menschlichen Instinkts mag dazu beitragen, dass man über die zweckmäßigste Ernährung bis jetzt nicht im Reinen ist. —