Klistier
Klistier (Clysma, Clysterium, Clyster, Enema, das Lavement). Eins der herrlichsten, nie Schaden, aber oft großen Nutzen bringenden Mittel, zumal bei den Krankheiten der Kinder, der Wöchnerinnen und hysterischen Frauen, bei manchen Vergiftungen, beim Scheintode, Schlagfluss, bei Krämpfen etc. ist — das Klistier. Wir bedienen uns der Klistiere am häufigsten zur Beförderung der Leibesöffnung bei Leibesverstopfung, wo sie in vielen Fällen, wie dieses jede gute Hebamme und Hausmutter weiß, bei Kindern und allen zarten Personen vor allen innerlichen, auf den Stuhlgang wirkenden Mitteln den Vorzug haben (s. Abführmittel). Sensible, spastische Frauenzimmer leiden oft Tage lang an mangelnder Stuhlausleerung. Ihr Widerwille gegen Arzneien ist oft so groß, dass sie dieselben sogleich wieder ausbrechen, wodurch die Wirkung nach unten verfehlt und ohnehin noch der Magen durchs Erbrechen angegriffen wird. Hier sind eröffnende und krampfstillende Klystiere unersetzlich.
Aber nicht allein als eröffnendes, auch als reizendes, Kongestion vom Kopf und von der Brust ableitendes, schmerzlinderndes, beruhigendes, nährendes, zusammenziehendes und dadurch den Darm stärkendes Mittel ist das Klistier, je nachdem dazu verschieden wirkende Ingredienzien genommen werden, ein höchst wichtiges Mittel gegen zahlreiche mannigfaltige Krankheitszustände, die oft ohne Anwendung von Klistieren den Tod herbeiführen würden.
Das gebräuchlichste Werkzeug zum Klistieren ist bekanntlich eine zinnerne Klistierspritze; im Notfall kann man sich dazu auch einer, mit einem Röhrchen versehenen Rinds- oder Schweinsblase, auf dem Lande, und wenn auch letztere fehlen, selbst eines ausgehöhlten Hollunderzweiges (welche die Knaben als Ballerbüchsen zum Spielen gebrauchen) bedienen. Geht nur wenig Quantum in letztere, so muss man mehrere Klistiere hinter einander damit applizieren. Die Art und Weise, Jemanden zu klystieren, kann ein aufmerksamer Mensch in fünf Minuten lernen. Er hat nur Folgendes zu beobachten: Der Kranke muss sich auf die rechte Seite des Körpers legen, die Schenkel anziehen, etwas gekrümmt auf dieser Seite liegen und den Atem etwas anhalten. Man bringt nun, indem man mit der einen Hand die Afteröffnung durch Dehnung der Finger an der Lendenspalte erweitert, das mit Öl bestrichene knöcherne oder hornene Röhrchen der Spritze oder Blase, nachdem sie gefüllt sind und die gehörige Temperatur (26—28°+R.) haben, so hoch als möglich (meist drei bis vier Zoll lang) in den Mastdarm, gibt dem Röhrchen und der Spritze eine solche Richtung, dass sie mit dem Rücken des Kranken weder einen stumpfen, noch einen spitzen Winkel, sondern eine gerade fortlaufende Linie bildet, und spritzt dann, langsam den Stöpsel drückend und vorwärts drehend, die Flüssigkeit ein. Ist die Spritze richtig gefüllt, d. h, hat man mit dem Zeigefinger der einen Hand das Röhrchen derselben verschlossen und die Flüssigkeit bei Entfernung des Stöpsels hineingegossen, die Spitze dann in die Höhe gehalten und den Stöpsel so lange vorgeschoben, bis aus dem Röhrchen einige Tropfen des Inhaltes hervordringen; so hat man nicht zu befürchten, dass man dem Kranken zur großen Qual Luft mit in den Bauch spritze, was nie vermieden werden kann, wenn man das Klistier nicht eingießt, sondern mittels Aufziehen in die Klistierspritze bringt.
Ist die Spritze entleert, so zieht man das Röhrchen recht langsam und vorsichtig aus dem After zurück, sonst folgt das Klistier oft ohne Wirkung gleich nach. Auch darf der Klystierte nicht tief atmen, auch sich nicht bewegen, sondern muss sich in der oben erwähnten Lage zehn Minuten und so lange ruhig erhalten, bis ihn der Drang zum Stuhlgange aufzustehen nötigt.
Was das Quantum eines Klistiers betrifft, so rechnet man für einen Erwachsenen acht bis zehn Unzen, für ein Kind von vier bis zwölf Jahren die Hälfte, für einen Säugling und für Kinder von ein bis vier Jahren zwei bis drei Unzen. Von dieser Regel macht nur das ernährende Klistier, dessen Quantum kleiner sein muss (s. u.) eine Ausnahme.
Wir führen hier behufs verschiedener Heilzwecke folgende besondere Arten der Klistiere näher auf.
1) Das eröffnende Klistier (Clysma aperiens, eccoproticum, laxans). Für Erwachsene und sonst nicht schwache Personen, welche vielleicht nur durch unregelmäßige oder ungewohnte Lebensweise, wie z. B. auf Reisen in Schnellposten und auf Eisenbahnen Tag und Nacht, mehrtägige Leibesverstopfung bekommen haben, bewirkt ein Klistier von zwei Essleffel voll Küchensalz, in zwei Obertassen kalten, weichen Wassers gelöst, schon nach fünf bis sechs Minuten eine schnelle und gute Leibesöffnung. Gegen den folgenden schmerzhaften Stuhlzwang (Tenesmus) kann man hinterher etwas laues Öl, etwa eine halbe Obertasse voll, in den Mastdarm spritzen. Das gelindere eröffnende Klistier wird erwärmt appliziert. Man nimmt dazu ein Viertel Maß Haferschleim, ein Viertel Lot Kochsalz und vier Lot Leinöl.
2) Das erweichende Klistier (Clysma emolliens). Bei mehrtägiger hartnäckiger Leibesverstopfung muss dieses, um dem Kranken unnötige Schmerzen durch Stuhlzwang und Leibweh zu ersparen, dem eröffnenden Klistier ein bis zwei Stunden vorhergehen. Es besteht nur aus Haferschleim und Kamillentee, von jedem zwei Obertassen voll, wozu zwei Esslöffel voll reines Lein- oder Rüböl gesetzt werden.
3) Das reizende Klistier (Clysma acre, irritans). Es dient bei verschiedenen Arten des Scheintodes, der Schlummersucht, bei Vergiftungen durch betäubende Pflanzengifte (s. unten Anhang I. A.) und beim Schlagfluss, um vom Kopf den fürchterlichen Blutandrang (wo das Gesicht kirschrot ist), der durch ein Aderlass nicht genug gehoben, zu mindern. Das einfachste und beste Klistier dieser Art besteht aus gutem Weinessig und frischem, kaltem Brunnenwasser, von jedem eine Obertasse voll, Küchensalz, ein bis zwei Lot. — Jeder Zusatz von Öl schadet hier, so wie auch bei Tabaksklystieren.
4) Das krampfstillende Klistier (Clysma antispasmodicium). Bei den Krämpfen der Kinder und Erwachsenen, bei Kolik, Magenkrampf, Leibesverstopfung aus krampfhafter Zusammenziehung der Gedärme, bei Trismus und Tetanus, kurz bei allen Arten von Krämpfen leistet dasselbe gute Dienste. Man nimmt dazu eine Obertasse warmen Kamillentee, eben so viel Haferschleim, löst darin ein bis zwei Quäntchen pulverisierten Asant (Asa foetidu, Teufelsdreck) auf und setzt zwei Lot Leinöl hinzu. Auch folgende Vorschrift ist zu empfehlen:
Nr. 95. Nimm: Baldrianwurzel, Schafgarbe und Kamillenblumen, von jedem vier Lot, infundiere Alles eine Viertelstunde lang mit einem Maß kochendem Wasser, seihe es durch und setze drei Quäntchen Asa foetida und vier Lot Leinöl dazu. Die ganze Quantität ist für drei krampfstillende Klistiere bestimmt, von denen man stündlich oder halbstündlich eins setzen kann, indem jedesmal ein Drittel der Mischung in kochendem Wasser mittelst einer Flasche, selbst mittelst der Klistierspritze, kurz vorher erwärmt wird.
5) Das lindernde Klistier (Clysma leniens). Gegen die oft krampfhaften Bauchschmerzen und Blähungsbeschwerden, so wie gegen die Hartleibigkeit der Säuglinge und älterer kleiner Kinder von ein bis vier Jahren ist ein einfaches Klistier von einer bis anderthalb kleinen Obertassen voll warmer süßer Milch, worin ein halbes Lot weißer Zucker aufgelöst worden, nach eigenen Erfahrungen ein ganz vorzügliches Mittel zur Beförderung der fehlenden Leibesöffnung und zur Linderung der Brust- und Leibschmerzen.
Ein Klistier aus Stärkemehl (Amylum), anderthalb Quäntchen, mit kaltem Wasser angerührt und mit einem halben Maß warmen Wassers darauf bereitet, lindert sehr die Schmerzen bei Hämorrhoiden, bei Kolik, bei dem Stuhlzwange in der Ruhr, zumal wenn zwei bis drei Gran Bilsenkraut zugesetzt werden.
6) Das nährende Klistier (Clysma nutriens). Die Ingredienzien dazu sind: Kalbfleischbrühe mit Eigelb, frische, noch warme ungekochte Milch, Hirschhorngelee u. a. m. Die Quantität darf nur gering, für einen Erwachsenen höchstens sechs, für ein Kind drei Lot, sein. Bei allen jenen schweren Leiden, welche organische Fehler der Verdauungsorgane bedingen, wo der Kranke Alles wegbricht und der qualvollste Hungertod drohet, können Klistiere von einer halben Obertasse voll frischer Milch, eben so viel Kalbfleischbrühe und ein halbes Lot Hirschhorngallerte, drei- bis sechsmal täglich appliziert, oft noch lange Zeit den kläglichen Zustand lindern und das traurige Dasein fristen. Ist das Quantum größer, als das angegebene, so geht das Klistier zu schnell ab und die Absicht wird verfehlt. Je länger es der Kranke bei sich behält, desto besser ist die Wirkung. In der Regel geht das Klistier, wird es vorsichtig und in der richtigen Temperatur (27°—29° + R.) appliziert, erst nach zwei bis drei Stunden wieder ab.
7) Das auflösende Klistier, Kämpfsche Viszeralklystier (Clysma resolvens seu viscerale Kämpfii). Gegen Unterleibsstockungen in der Leber, der Milz, Im Pfortadersystem und deren Folgen: Hypochondrie, Melancholie, Trübsinn, Taedium vitae etc. sind die Viszeralklystiere, wochenlang gebraucht, täglich zu ein bis zwei Stück, von großem Nutzen; denn sie begünstigen die kritischen Ausscheidungen, den Abgang von Infarkten, von dunklem, geronnenem, oft teerähnlichem Blut (der sogenannten schwarzen Galle, atra bilis Hippocratis), von zäher, plastischer Lymphe, zähem Schleime, stockender Galle, von faserstoffigen Massen in Form von Ästen, Massen verdorbenen Blutes, aussehend wie Speck, Käse, und heilen so die langwierigsten, auf Geist und Körper gleich nachteilig wirkenden Übel, indem sie die Grundursache, jene Stockungen auflösen, erweichen und zum Abgang durch den After geschickt machen. Bereitet werden solche Klistiere aus frischen, auflösenden Kräutern, die im Frühling gesammelt worden sind, z. B. nach folgender Vorschrift:
Nr. 96. Nimm: Tausendgüldenkraut, Quecken-, Löwenzahn- und Seifenkrautwurzel, Schafgarbe, Kardobenediktenkraut, Erdrauch und weißen Andorn, von jedem ein Lot. Hiervon werden zu jedem Klistier, nachdem Alles fein zerschnitten, zwei bis drei Esslöffel voll, mit ein Pfund Wasser bis auf die Hälfte eingekocht, genommen.
Außer diesen Klistieren mit Arzneistoffen zur Heilung von Krankheiten werden in Fällen, wo große Reizbarkeit des Magens durch jede Arznei Vomieren macht, letztere in Klistieren gegeben, z. B. Asant, Kubeben etc. (s. Piper Cubebarum).