Zum Hauptinhalt springen

An den Botschafter

der Vereinigten Staaten ist folgendes Schreiben abgegangen:


Euer Exzellenz!

Ich habe die Ehre, Ihnen folgende Angelegenheit zu unterbreiten:

Wie in politischen Kreisen bekannt ist, hat der oberste Gerichtshof in Boston in den Vereinigten Staaten die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die Arbeiter Sacco und Vanzetti abgelehnt, so dass formal einer Vollstreckung des Todesurteils nichts mehr im Wege steht. Als Herausgeber einer Wochenschrift, die seit langen Jahren für die Gerechtigkeit und die Freiheit eingetreten ist, erlaube ich mir, Euer Exzellenz den Protest eines großen deutschen Kreises von Intellektuellen und Angehörigen der arbeitenden Klasse gegen die geplante Hinrichtung dieser beiden Männer zu übermitteln. Wenn ich das tue, so liegt mir nichts ferner, als mich in die innerpolitischen Verhältnisse der Vereinigten Staaten einmischen zu wollen. Als Angehöriger eines Volkes aber, das Justizirrtümer und Schlimmeres aus eigner Anschauung kennt, möchte ich zu bedenken geben, wie das Ansehen jeden Staates, also auch der Vereinigten Staaten, durch solche Vorkommnisse leiden muß. Selbst wenn Sacco und Vanzetti Taten begangen haben sollten, die nach dem amerikanischen Gesetz strafbar sind, was bei der Qualität der belastenden Zeugenaussagen auch nach amerikanischen Presseäußerungen nicht feststeht, scheint mir und meinen Freunden die jahrelange Todesangst dieser Leute eine ausreichende Kompensation für ihre Handlungsweise zu sein. Ich darf Euer Exzellenz ergebenst darauf aufmerksam machen, dass die Sympathie politisch denkender und aktiver Schichten Deutschlands durchaus auf Seiten der Verurteilten ist. Die Verletzung der einfachsten Menschenrechte bedarf einer Reparatur; die Begnadigung der beiden Leute ist in unsern Augen das Mindeste, was von der amerikanischen Regierung erwartet wird. Wir protestieren auf das Schärfste gegen die beabsichtigte Hinrichtung von Sacco und Vanzetti.

Ich erlaube mir hinzuzufügen, dass dieser Protest in der nächsten Nummer meines Blattes erscheinen wird.

Ich bin mit den besten Empfehlungen Euer Exzellenz ergebener

Tucholsky

Kurt Tucholsky
Die Weltbühne, 19.04.1927, Nr. 16, S. 638.