Stahlhelm oder Filzhut?
Der Stahlhelm ist wieder aus Berlin abgezogen, und wenn die Zeitungen rechts und links nicht so ein furchtbares Geschrei von seinem kümmerlichen Aufmarsch gemacht hätten, wüßte ein gut Teil der Berliner überhaupt nicht, dass jemals ein paar abgetakelte Offiziere die Stadt haben erobern wollen.
Das Getreibe dieser Mannen erinnerte im großen ganzen an die Passage, die von den Linden nach der Friedrichstraße führt und die einen so unendlich abgestorbenen Eindruck macht. Ich sah einen Teil der jungen Helden in Potsdam auf der Straße wandeln. Sie gingen in angehaltenem Atem einher und befanden sich in eingebildeter Lebensgefahr, unschlüssig, ob sie Potsdam für die Sehnsucht ihrer Träume halten oder wie eine Stadt im besetzten Gebiet behandeln sollten. Verstaubt die blechernen Kreuze, verschlissen die Ordensschnallen, vergilbt die Bänder: Puppen eines Wachsfigurenkabinetts, die man zur Versteigerung auf die Straße gesetzt hat.
Berlin hat im allgemeinen dieser Gilde den Empfang bereitet, den sie verdient: nämlich gar keinen. Die Teilnahmslosigkeit war ungeheuer. Die Ausflügler zogen zu Hunderttausenden ins Freie und taten das nicht einmal aus Furcht vor Krawallen, sondern aus grenzenloser Langerweile über einen Klamauk, den wir hier bis zum Überdruß auswendig gelernt haben. Die Diskussionen, Verhandlungen, Zurufe, Zusammenstöße, Streitereien auf der Straße … alles das steht in der Form und im Ablauf fest, bringt, bis auf die Schimpfwörter, nichts mehr Neues und wird sich nun wohl bald endgültig zu Tode gelaufen haben. »Sie Ochse!« – »Wahrscheinlich auch so einer, der den Krieg von hinten mitgemacht hat!« – »Mit Ihnen gebe ich mich überhaupt nicht ab, dazu sind Sie mir viel zu wenig!« – »Juden raus!«–, das muß ich schon einmal gehört haben … Sieht man davon ab, dass selbst bei diesen kleinen Straßenzusammenstößen der Republikaner der vornehmere war, der klügere, der, weil er eine so gute Sache vertritt, immer nachgibt … so ergibt sich die Eintönigkeit eines Bildes, das man nun bald nicht mehr sehen mag.
Wie die Deutschen jede spontane Regung sofort kodifizieren, weil sie gegen nichts solche Abneigung haben wie gegen die unliebsamen Überraschungen, die das Leben nun einmal jedem vorbehält, so haben sie auch die ihnen eigentlich fremde Form der Straßendemonstrationen zu einer beschaulichen Herren-Partie gemacht. Was 1919 noch von Blut erfüllt, von einer Flamme überflackert war, was aus Haß und echter Erregung sich zusammensetzte, das ist heute ein mäßiges Amüsiervergnügen kleiner Vereinsmeier, die ihre Schläfrigkeit gegenseitig vergeblich wachzubrüllen versuchen. Jede Wahlrechtsdemonstration, die unter dem Kaiser mit Knüppeln auseinandergeschlagen wurde, ist echter, ursprünglicher, natürlicher als der kommandierte Auflauf, den die politischen Köche heute alle Sonntage servieren und der keinem mehr recht schmeckt.
Was dem Stahlhelm zujubelte, wohnte meistens in den westlichen Vororten Berlins, in Friedenau, in Lichterfelde, in dem grauslichen Steglitz, wo gelbsüchtige Stadträte, schwarzzahnige Obersekretäre, vermuffte kleine Beamte und ein paar Großverdiener der Inflation mit rosigem Schweinskopf ihre Fähnchen herausgesteckt hatten. In der Kaiserallee hatte sich Papa bei einer guten Zigarre die ingeniöse Idee erraucht, am Abend neben die alte Fahne die Lampe auf den Balkon zu stellen, und nun flackerte sie, wie eben eine echte und rechte Fahne der Inventur. Ausverkauf. Die verbissenen und kleinlichen Anstrengungen dieser verhetzten, ausgepowerten und moralisch verkommenen Kleinbürgerlichkeit, in der eine gewisse Sorte megärenhafter und erotisch mangelhaft befriedigter Hausfrauen die unangenehmsten Melodien mitkreischen, werden nichts helfen: mit den Idealen der Bataillonskommandeure und Bahnhofskommandanten, patriotischer Huren und lümmliger Offizierstypen ist es in dieser Form vorbei.
Als der Mißerfolg in Berlin eklatant wurde, bestellten sich Hugenberg und Konsorten ff Referenzen aus dem Ausland. Kein Handelsblättchen in Amsterdam, keine Käsezeitung in Glasgow war unbedeutend genug, als dass nicht deren Vertreter von den ›machtvollen Kundgebungen‹ berichtet hätten, die ja, wie bekannt, der Welt erst die wahre Liebe zu Deutschland einflößen. Nur imponieren! Aber imponieren wollen, dem Ausland dauernd in die Fresse schlagen und dabei von der Hochachtung desselben Auslandes zehren: das ist im schlechten Sinne deutsch.
Berlin soll sich den Stahlhelmtag nicht als Sieg ankreiden.
Natürlich ist es unmöglich, dass irgend ein provinzialer Dummkopf dieser großen Stadt nun endlich beibringt, was ›Frontgeist‹ ist. Die lächerliche Lüge, als seien Frontsoldaten solche Männer, die sich ihr Schicksal ausgesucht hätten, und nicht vielmehr solche, die von der unsittlichen Staatsmacht ergriffen worden seien, um das Unsittlichste zu tun, das es gibt, nämlich einen Militärmord zu begehen: diese Lüge kann in Berlin nicht siegen, weil es so viele Dumme auf einen Haufen zusammen nicht gibt. Aber der Triumph der Republikaner über den Stahlhelm ist zwiefach falsch.
Wahr ist, dass der Stahlhelm in Berlin nichts zu melden hat.
Wahr ist aber auch, dass die Insel Berlin in den kleinen Provinzstädten nichts zu sagen hat: dass es dort eine Gegendemonstration gegen die kriegerischen und von der Reichswehr unterstützten Aufzüge nicht gibt; dass dort der Kriegervereinsgeist aufs uneingeschränkteste dominiert, dass die Bezirkskommandos des Kriegsministeriums schalten und walten, wie sie wollen, und dass sich die Rolle der so häufig verfluchten zentralstaatlichen Wilhelmstraße eigentlich mehr auf Schikanen der untergeordneten Behörden und auf freundliche Überredung der Lokalinstanzen beschränkt. Die Wilhelmstraße denkt (was leicht übertrieben ist) – der Kreisausschuß lenkt.
Ich habe hier vor acht Tagen einem Föderalisten das Wort gegeben, weil man ehrliche Überzeugungen, soweit sie uns interessieren, immer zu Worte kommen lassen soll, aber ich halte es bei der Wesensart der Deutschen für eine unendliche Gefahr, statt eines Einheitsstaates das Land dezentralisierend aufzulockern. Wichtig ist immer die kleinste Zelle. Wenn es einen berliner Fortschrittsgeist gibt, was hat er dann in Fürsorgeanstalten, in kleinen Volksschulen, in ländlichen Amtsgerichten, in Gefängnissen, in großen Dörfern und in kleinen Städten zu vermelden? Ist nicht der dreimal gesiebte republikanische Landrat verraten und verloren, wenn er nicht auf Schritt und Tritt paktiert? Könnte sich denn auch nur einer von uns auf dem flachen Lande halten, wenn er dort ehrlich oppositionelle Lokalpolitik machte? Die Republikaner in der Deutschen Volkspartei und die Demokraten sind so entsetzlich stolz, weil sie in Berlin Leitartikel schreiben dürfen. Das ist Makulatur, gut genug, den leeren Raum auszufüllen, den die Inserate nicht in Anspruch nehmen. Wenn es aber an den Ernst des Lebens geht: wenn die Asphaltlieferung vergeben wird, wenn ein neuer Hauptlehrer angestellt wird, wenn über einen Unterstützungsfonds in der Stadtverordneten-Versammlung abgestimmt wird – dann siegt der finsterste Kleinstadtgeist, dann siegen alle schlechten preußischen Eigenschaften, dann siegt die Reaktion; nicht der Stahlhelm. In Frankreich gibt es eine linke Provinz; in Deutschland –?
Die große Gefahr für den europäischen Frieden, die Deutschland durch den immanenten Explosivstoff, den es in sich birgt, heute noch ist, liegt nicht im Stahlhelm, nicht in einer Karnevalsgesellschaft von vorgestern, nicht allein bei der Reichswehr.
Die wirkliche Gefahr in Deutschland ist der inter-fraktionelle Stresemann-Typus, den man von den Deutschnationalen bis zur Demokratischen Partei in allen Schattierungen vorfindet. Es ist der lebenstüchtige, verschlagene, grundsatzlose, großfressige und kleinmütige Kaufmann, der Organisationshuber, der ›Mann des realen Lebens‹, der gebildete Kaffer, dem es bei aller Liebe zur Republik ein bißchen mulmig um die Brust wird, wenn einer gar zu sehr gegen die Ideale des alten Regimes vorgeht. Sie sehen immer noch das leere Katheder, der Lehrer ist schon eine ganze Weile hinausgegangen … aber man kann nie wissen.
Die Diktatur dieser Bourgeoisie ist vollständig. Jener Typus des Intellektuellen, der den sozialen Schäden ein willig Ohr leiht, der sich in den Dienst ›der nationalen Gemeinsache‹ stellt, jener falsch-liberale, neudeutsche Mensch, der Kritiken zuläßt, soweit er nicht selber gemeint ist, und nur soweit Kritik ihm die Möglichkeit verschafft, seinen ›Standpunkt‹ ausführlich darzulegen oder gar ein Amt anzutreten, dieser Mensch wird, wenn man ihm den neuen Krieg, die neue Verwicklung, die neue Diebsgenossenschaft nur plausibel genug macht, mit allen Fasern seines Herzens noch einmal dabei sein.
Die entsetzliche Blutschuld, die Deutschland wie jeder andre kriegführende Staat 1914 auf sich geladen hat, war nur möglich, weil die Geister für diesen Augenblick gedrillt, präpariert, eingepökelt waren. Nichts hat so gut geklappt, wie die Mobilmachung der Köpfe.
Diese Köpfe sind in Deutschland heute noch nicht abgerüstet. Der Stahlhelm gehört in einen Affenkäfig und nicht in einen politischen Leitartikel. Aber es ist nicht wahr, dass der normale Typus der Deutschen Volkspartei und der Indifferenten auf die ekelhaften Grundsätze des Imperialismus verzichtet hat; es ist nicht wahr, dass diese Typen, die heute die deutschen Geschicke lenken, andre Ideale als die eines schwachsinnigen Wettlaufes, einer rücksichtslosen Machtpolitik, einer kindlich antieuropäischen Wirtschaftsauffassung haben. Sie können sich persönliches Glück und nationales Wohlergehen nur so vorstellen, dass es den andern möglichst schlecht geht. Was übernationale Zusammenarbeit ist, wissen sie nicht.
Das Mißtrauen der Nachbarstaaten Deutschlands, insbesondre Frankreichs und des allzu aufgeregten Polens, ist begründet. Die Deutschen sind Landsknechtsnaturen: gibt ihnen der Unheilstifter England auch nur die leiseste Möglichkeit, ihre klobigen Meinungen auszutoben, so greifen sie zu und führen – zum wievielten Mal in der Geschichte! – die Geschäfte eines klugen Kaufmannes, der sich nicht selbst die Finger schmutzig macht. Dafür hat er seine Leute. Dafür hat er seine Deutschen.
Jede Nation hat einige Kassandren, die es gleich gesagt haben, die man, weil sie unbequem sind, links liegen läßt, und die sich nicht einmal den kleinen Triumph gönnen dürfen, auf die Erfolge ihrer Prophezeiungen hinzuweisen. Ich gehöre seit dem Jahre 1913 zu denen, die den deutschen Geist für fast unwandelbar vergiftet halten, die nicht an eine Besserung glauben, die die verfassungsmäßige Demokratie für eine Fassade und für eine Lüge halten, und die auch heute noch, entgegen allen Zusicherungen und optimistischen Anwandlungen, einen hohlen Stahlhelm für lange nicht so gefährlich halten wie einen seidigen Zylinder.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 17.05.1927, Nr. 20, S. 773.