Huh, wie schauerlich!
Ist es vorstellbar, dass in einer mitteleuropäischen großen Stadt eine Arena errichtet wird, in der vor einem tausendköpfigen Publikum lebende Menschen an Pfähle geknüpft, angeschossen und ihren Qualen überlassen werden? Nein.
Ist es vorstellbar, dass solche Arena errichtet wird und dass in ihr solche Grausamkeiten vollführt werden – aber ohne Publikum? Nein.
Soweit sind öffentliche Meinung und das Publikums-Gefühl für Roheiten immerhin schon verfeinert – sei es durch Erziehung, durch die Zeit …
Wie aber, wenn solches nun im öffentlichen Leben geschieht? Dann kommt es ganz auf die Schule, auf die Kirche, auf die Zeitungen an, die einer auf sich hat wirken lassen.
Was zum Beispiel jetzt in China geschieht, ist mordsschauerlich – man kann sich gar nicht lassen. Es hat aber niemand das Recht, sich auch nur über einen Blutstropfen, der in einer Revolution fließt, aufzuregen, solange er diese Massengemeinheit, die der imperialistische Krieg darstellt, zuläßt und billigt. Entweder – oder.
Entweder es ist jemand gegen das Blutvergießen überhaupt: dann darf er nicht 12.000.000 Tote, die das System ›Ordnung‹ auf dem Gewissen hat, verschweigen und zwölf Einzelne hervorheben. Darin steckt ein bewußt verlogner Kniff.
Der Kniff nämlich, nur scheinbar Bluttaten zu tadeln, die man ja durchgehen ließ, als sich die Mörder vorher uniformiert hatten – in Wahrheit aber die Sache zu meinen, die hinter diesen revolutionären Bluttaten steht. Hier ist eine falsche Sittlichkeit am Werk. Gemeint ist die Angst vor der Beraubung des Kassenschrankes. »Du sollst nicht töten!« heißt es nur; gemeint ist: »Du sollst die Dividende nicht antasten.«
Ich für mein Teil halte revolutionäre Bluttaten für gerechtfertigt. Revolution kann – im Gegensatz zum Krieg – Elementarereignis sein.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 05.07.1927, Nr. 27, S. 34.