XVII.4. Fortgang des Christentums in den lateinischen Provinzen
2. Da im Christentum alles auf Bekenntnis, dies Bekenntnis aber auf einem Symbol und dies Symbol auf Tradition beruhte, so waren zu Erhaltung der Aufsicht und Ordnung entweder Wundergaben oder eine strenge Kirchenzucht vor allem nötig. Mit dieser Einrichtung stieg das Ansehen der Bischöfe, und um die Einheit des Glaubens, d. i. den Zusammenhang mehrerer Gemeinen zu erhalten, bedorfte man der Konzilien und Synoden. Ward man auf diesen nicht einig oder fanden sie in andern Gegenden Widerspruch, so nahm man angesehene Bischöfe als Schiedsrichter zu Hülfe, und am Ende konnte es nicht fehlen, daß nicht unter mehreren dieser apostolischen Aristokraten ein Hauptaristokrat sich allmählich hervorhob. Wer sollte dies sein? Wer konnte es werden? Der Bischof zu Jerusalem war zu entfernt und arm; seine Stadt hatte große Unfälle erlitten; sein Sprengel wurde von andern, auch apostolischen Bischöfen zu sehr eingeengt; er saß auf seinem Golgatha gleichsam außer dem Kreise der Weltherrschaft. Die Bischöfe von Antiochien, Alexandrien, Rom, endlich auch von Konstantinopel traten hervor, und es war Lage der Sache, daß der zu Rom über sie alle, auch über seinen eifrigsten Mitkämpfer, den konstantinopolitanischen, siegte. Dieser saß nämlich dem Thron der Kaiser zu nahe, die ihn nach Gefallen erheben und erniedrigen konnten; mithin dorfte er nichts als ihr prächtiger Hofbischof werden. Dagegen verbanden sich, seitdem die Kaiser Rom verlassen und sich an die Grenze Europas verpflanzt hatten, tausend Umstände, die dieser alten Hauptstadt der Welt das Primat der Kirche gaben. An die Verehrung des Namens Rom waren die Völker seit Jahrhunderten gewöhnt, und in Rom bildete man sich ein, daß auf ihren sieben Hügeln ein ewiger Geist der Weltbeherrschung schwebe. Hier hatten, den Kirchenregistern nach, so viele Märtyrer gezeugt und die größesten Apostel, Petrus und Paulus, ihre Kronen empfangen. Früh also erzeugte sich die Sage vom Bischoftum Petri in dieser alten apostolischen Kirche, und das unverrückte Zeugnis seiner Nachfolger wußte man bald zu erweisen. Da diesem Apostel nun namentlich die Schlüssel des Himmelreichs übergeben und auf sein Bekenntnis der unzerstörliche Felsenbau der Kirche gegründet war: wie natürlich, daß Rom an die Stelle Antiochiens oder Jerusalems trat und als Mutterkirche der herrschenden Christenheit betrachtet zu werden Anstalt machte. Frühe genoß der römische Bischof vor andern, gelehrteren und mächtigern, selbst auf Konzilien, Ehre und Vorsitz; man nahm ihn in Streitigkeiten als einen friedlichen Schiedsrichter an, und was lange eine frei gewählte Ratserholung gewesen war, wurde mit der Zeit als Appellation, seine belehrende Stimme als Entscheidung betrachtet. Die Lage Roms im Mittelpunkt der römischen Welt gewährte ihrem Bischöfe west-, süd- und nordwärts einen weiten Raum zu Ratschlägen und Einrichtungen; zumal der griechische Kaiserthron zu ferne stand, auch bald zu schwach war, als daß er ihn außerordentlich drücken konnte. Die schönen Provinzen des römischen Reichs, Italien mit seinen Inseln, Afrika, Spanien. Gallien und ein Teil von Deutschland, in welche das Christentum frühe gekommen war, lagen ihm als ein rat- und hülfbedürftiger Garten umher; höher hinauf standen die Barbaren, deren rauhere Gegenden bald zu einem urbaren Lande der Christenheit gemacht werden sollten. Allenthalben war hier, bei schwächerer Konkurrenz, mehr zu tun und zu gewinnen als in denen mit alten Bischoftümern übersäeten östlichen Provinzen, die durch Spekulationen, Widersprüche und Streitigkeiten, bald auch durch die wohllüstige Tyrannei der Kaiser, endlich durch die Einbrüche der mahomedanischen Araber und noch wilderer Völker eine zerstörte lechzende Aue wurden. Die barbarische Gutherzigkeit der Europäer kam ihm weit mehr zustatten als die Treulosigkeit der feinem Griechen oder die Schwärmerei der Asiaten. Das dort brausende Christentum, das hie und da ein hitziges Fieber des menschlichen Verstandes zu sein schien, kühlte sich also in einem gemäßigtem Erdstrich durch seine Satzungen und Rezepte ab, ohne welche wahrscheinlich auch hier alles in den kraftlosen Zustand gesunken wäre, den wir nach tollen Anstrengungen zuletzt in Orient bemerkten.
Gewiß hat der Bischof zu Rom für die christliche Welt viel getan; er hat, dem Namen seiner Stadt getreu, nicht nur durch Bekehrungen eine Welt erobert, sondern sie auch durch Gesetze, Sitten und Gebräuche länger, stärker und inniger, als das alte Rom die seine, regiert. Gelehrt hat der römische Stuhl nie sein wollen; er überließ dies Vorrecht andern, z.B. dem alexandrinischen, mailändischen, selbst dem hipponesischen Bischofstuhle und wer sonst dessen begehrte; aber auch die gelehrtesten Stühle unter sich zu bringen und nicht durch Philosophie, sondern durch Staatsklugheit, Tradition, kirchliches Recht und Gebräuche die Welt zu regieren, das war sein Werk und mußte es sein, da er selbst nur auf Gebräuchen und der Tradition ruhte. Von Rom aus sind also jene vielen Zeremonien der abendländischen Kirche ausgegangen, welche die Feier der Feste, die Einteilung der Priester, die Anordnung der Sakramente, Gebete und Opfer für die Toten oder Altäre, Kelche, Lichter, Fasten, die Anbetung der Mutter Gottes, den ehelosen Stand der Priester und Mönche, die Anrufung der Heiligen, den Dienst der Bilder, Prozessionen, Seelmessen, Glocken, die Kanonisation, Transsubstantiation, die Anbetung der Hostie u. f. betrafen: Gebräuche, die teils aus altern Veranlassungen, oft aus schwärmenden Vorstellungsarten des Orients entstanden, teils in abendländischen, am meisten in römischen Lokalumständen gleichsam gegeben waren und dem großen Kirchenritual nur nach und nach einverleibt wurden.271) Solche Waffen eroberten jetzo die Welt; es waren die alles eröffnenden Schlüssel des Himmel- und Erdenreiches. Vor ihnen beugten sich die Völker, die übrigens Schwerter nicht scheuten; römische Gebräuche laugten mehr für sie als jene morgenländischen Spekulationen. Freilich sind diese kirchlichen Gesetze ein schrecklicher Gegensatz gegen die altrömische Staatskunst; indessen gingen sie doch am Ende darauf hinaus, den schweren Zepter in einen sanftem Hirtenstab und das barbarische Herkommen heidnischer Nationen mehr und mehr in ein milderes Christenrecht zu verwandeln. Der mühsam emporgekommene Oberhirte zu Rom mußte sich wider Willen des Abendlandes mehr annehmen, als einer seiner Mitbrüder in Ost und Westen es tun konnte; und wenn die Ausbreitung des Christentums an sich ein Verdienst ist, so hat er sich dieses in hohem Grade erworben. England und der größeste Teil von Deutschland, die nordischen Königreiche, Polen, Ungarn sind durch seine Gesandtschaften und Anstalten christliche Reiche; ja, daß Europa nicht von Hunnen, Sarazenen, Tataren, Türken, Mogolen vielleicht auf immer verschlungen worden, ist mit andern auch sein Werk. Wenn alle christlichen Kaiser-, Königs-, Fürsten-, Grafen- und Ritterstämme ihre Verdienste vorzeigen sollten, durch welche sie ehemals zur Herrschaft der Völker gelangten, so darf der dreigekrönte große Lama in Rom, auf den Schultern unkriegerischer Priester getragen, sie alle mit dem heiligen Kreuz segnen und sagen: »Ohne mich wärt ihr nicht, was ihr seid, worden.« Auch das gerettete Altertum ist sein Werk, und Rom ist wert, daß es ein stiller Tempel dieser geretteten Schätze bleibe.
3. Im Abendlande hat sich also die Kirche so lokal gebildet wie im Orient. Auch hier war ein lateinisches Ägypten, das christliche Afrika, in welchem, wie dort, manche afrikanische Lehren entstanden. Die harten Ausdrücke, die Tertullian von der Gnugtuung, Cyprian von der Buße der Gefallenen, Augustin von der Gnade und dem Willen des Menschen brauchte, flossen ins System der Kirche, und obgleich der Bischof zu Rom in seinen Anordnungen gewöhnlich den gemäßigten Weg ging, so fehlte es ihm dennoch bald an Gelehrsamkeit, bald an Ansehen, um auf dem ganzen Ozean der Lehre das Schiff der Kirche zu steuren. Von Augustin und Hieronymus wurde z.B. dem gelehrten, frommen Pelagius viel zu hart begegnt; der erste stritt gegen die Manichäer mit einem nur feinem Manichäismus, und was bei dem außerordentlichen Mann oft Feuer des Streits und der Einbildungskraft war, ging in zu heftiger Flamme in das System der Kirche über. Ruht indessen auch ihr wohl, ihr großen Streiter für das, was ihr Einheit des Glaubens nanntet. Euer mühsames Geschäft ist vollendet, und vielleicht habt ihr schon zu lange und stark auf die ganze Reihe christlicher Zeiten hinab gewirkt.
Noch muß ich des einen und ersten Ordens erwähnen, der in Okzident eingeführt wurde, der Benediktiner; ungeachtet aller Versuche, das morgenländische Mönchleben dem Abendlande einheimisch zu machen, widerstand zu gutem Glücke Europas das Klima, bis endlich, unter Begünstigung Roms, dieser gemäßigtere Orden zu Monte Cassino aufkam. Er nährte und kleidete besser, als jene im fastenden, heißen Orient tun dorften; dabei legte seine Regel, die ursprünglich von einem Laien für Laien gemacht war, auch die Arbeit auf, und durch diese insonderheit ist er manchem wüsten und wilden Strich in Europa nützlich worden. Wie viele schöne Gegenden in allen Ländern besitzen Benediktiner, die sie zum Teil urbar gemacht haben. Auch in allen Gattungen der Literatur taten sie, was mönchischer Fleiß tun konnte; einzelne Männer haben eine Bibliothek geschrieben und ganze Kongregationen es sich zur Pflicht gemacht, durch Erläuterung und Herausgabe zahlreicher Werke, insonderheit des Mittelalters, auch literarische Wüsteneien urbar zu machen und zu lichten. Ohne den Orden Benedikts wäre vielleicht der größeste Teil der Schriften des Altertums für uns verloren; und wenn es auf heilige Äbte, Bischöfe, Kardinäle und Päpste ankommt, so füllt die Zahl derer, die aus ihm hervorgegangen sind, mit dem, was sie veranstalteten, selbst eine Bibliothek. Der einzige Gregor der Große, ein Benediktiner, tat mehr, als zehn geist- und weltliche Regenten tun konnten; auch die Erhaltung der alten Kirchenmusik, die soviel Wirkung auf die Gemüter der Menschen gehabt hat, sind wir diesem Orden schuldig.
Weiter schreiten wir nicht. Um von dem zu reden, was unter den Barbaren das Christentum wirkte, müssen wir diese erst selbst ins Auge nehmen, wie sie in großen Zügen nacheinander ins römische Reich einziehn, Reiche stiften, meistens von Rom aus gefirmelt werden, und was zur Geschichte der Menschheit daraus ferner folgt.