XVIII.2. Reiche der Ostgoten und Langobarden
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Ehe wir diese betrachten, müssen wir einem Meteor am Himmel Europas, der Geißel Gottes, dem Schrecken der Welt, dem Hunnenkönige Attila einen Blick der Aufmerksamkeit schenken. Schon bemerkten wir, wie eigentlich der Aufbruch der Hunnen in der Tatarei alle deutsche Völker in die letzte große Bewegung gesetzt habe, die dem römischen Reich ein Ende machte; unter Attila war die Macht der Hunnen in Europa in ihrer furchtbarsten Größe. Ihm waren die Kaiser von Orient tributbar; er verachtete sie als Sklaven ihrer Knechte, ließ jährlich sich 2100 Pfund Goldes zollen und ging in einem leinenen Kleide. Goten, Gepiden, Alanen, Heruler, Akaziren, Thüringer und Slawen dienten ihm; er wohnte im nördlichen Pannonien in einem Flecken, von einer Wüste umgeben, in einem hölzernen Hause.280) Seine Gefährten und Gäste tranken aus goldnem Gerät; er trank aus einem hölzernen Becher, trug kein Gold, kein Edelgestein an sich, auch nicht an seinem Schwert, noch am Zügel seines Pferdes. Billig und gerecht, gegen Unterworfene äußerst gütig, aber mißtrauisch gegen seine Feinde und stolz gegen die stolzen Römer, brach er, wahrscheinlich vom Wandalenkönige Geiserich angeregt, mit einem Heer von fünf- bis siebenmal hunderttausend Menschen aller Nationen plötzlich auf, wandte sich westwärts, durchflog Deutschland, ging über den Rhein, zerstörte bis in die Mitte Galliens: alles zitterte vor ihm, bis endlich aus allen westlichen Völkern ein Heer sich gegen ihn sammelte und anrückte. Kriegsklug zog Attila sich auf die Katalaunische Ebne zurück, wo sein Rückweg frei war; Römer, Goten, Läter, Armoriker, Breonen, Burgunder, Sachsen, Alanen und Franken standen gegen ihn; er selbst ordnete die Schlacht. Das Treffen war blutig, der König der Westgoten blieb; Mengen fielen, und Kleinigkeiten entschieden. Unverfolgt zog Attila über den Rhein zurück und ging im folgenden Jahr frisch über die Alpen, da er Italien durchstreifte, Aquileja zerstörte, Mailand plünderte, Pavia verbrannte und, um dem ganzen Römerreich ein Ende zu machen, auf Rom losging. Hier kam ihm Leo, der römische Bischof, flehend entgegen und erbat die Rettung der Stadt; dieser reiste auch gen Mantua zu ihm ins Lager und bat Italien von ihm los. Der Hunnenkönig zog zurück über die Alpen und war eben im Begriff, jene in Gallien verlerne Schlacht zu rächen, als er vom Tode übereilt wurde. Mit lauten Klagen begruben ihn seine Hunnen; mit ihm sank ihre furchtbare Macht. Sein Sohn Ellak starb bald ihm nach; das Reich zerfiel, der Rest seines Volks ging nach Asien zurück oder verlor sich. Er ist der König Etzel, den Gedichte mehrerer deutscher Völker nennen, der Held, vor dessen Tafel die Dichter mehrerer Nationen ihrer Vorfahren Taten sangen; desgleichen ist er das Ungeheuer, dem man auf Münzen und in Gemälden Hörner andichtete, ja dessen ganzes Volk man zu einer Waldteufel- und Alrunenbrut machte. Glücklich tat Leo, was keine Heere tun konnten, und hat Europa von einer kalmuckischen Dienstbarkeit befreit; denn ein mogolisches Volk war Attilas Heer, an Bildung, Lebensweise und Sitten kenntlich.
Auch des Reichs der Heruler müssen wir erwähnen, weil es dem ganzen westlichen Kaisertum ein Ende machte. Längst waren diese mit andern deutschen Völkern im römischen Solde gewesen, und da sie, bei wachsender Not des Reichs, nicht mehr bezahlt werden konnten, bezahlten sie sich selbst; ein dritter Teil des Landes wurde ihnen in Italien zum Anbau gegeben, und ein glücklicher Abenteurer, Odoaker, Anführer der Skirren, Rugen und Heruler, wurde Italiens erster König. Er bekam den letzten Kaiser Romulus in seine Hände, und da ihn dessen Jugend und Gestalt zum Mitleiden bewegten, schickte er ihn mit einem Jahrgelde auf eine Villa Luculls in Kampanien. Siebenzehn Jahre hat Odoaker Italien bis nach Sizilien hinab nicht unwürdig, obwohl unter den größesten Landplagen, verwaltet, bis die Reute eines so schönen Besitzes den König der Ostgoten, Theoderich, reizte. Der junge Held ließ sich Italien vom Hofe zu Konstantinopel zum Königreich anweisen, überwand den Odoaker, und da dieser einen demütigenden Vergleich nicht halten wollte, wurde er ermordet. So begann der Ostgoten Herrschaft.
Theoderich ist der Stifter dieses Reiches, den die Volkssage unter dem Namen Dietrich von Bern kennt: ein wohlgebildeter und wohlgesinneter Mann, der als Geisel in Konstantinopel erzogen war und dem morgenländischen Reich viel Dienste getan hatte. Dort war er schon mit der Würde eines Patricius und Konsuls geschmückt; ihm zur Ehre war eine Bildsäule vor dem kaiserlichen Palast errichtet; Italien aber wurde das Feld seines schöneren Ruhms, einer gerechten und friedlichen Regierung. Seit Mark-Antonins Zeiten war dieser Teil der römischen Welt nicht weiser und gütiger beherrscht worden, als er über Italien und Illyrikum, einen Teil von Deutschland und Gallien, ja als Vormund auch über Spanien herrschte und zwischen Westgoten und Franken lange den Zügel hielt. Ohngeachtet seines Triumphes zu Rom maßte er sich den Kaisertitel nicht an und war mit dem Namen Flavius zufrieden; aber alle kaiserliche Macht übte er aus, ernährte das römische Volk, gab der Stadt ihre alten Spiele wieder, und da er ein Arianer war, sandte er den Bischof zu Rom selbst in der Sache des Arianismus als seinen Gesandten nach Konstantinopel. Solange er regierte, war Friede unter den Barbaren: denn das westgotische, fränkische, wandalische, thüringische Reich waren durch Bündnisse oder Blutsfreundschaft mit ihm vereinigt. Italien erholte sich unter ihm, indem er dem Ackerbau und den Künsten aufhalf, und jedem Volk blieben seine Gesetze und Rechte. Er unterhielt und ehrte die Denkmale des Altertums, baute, obwohl nicht ganz mehr im Römergeschmack, prächtige Gebäude, von welchen vielleicht der Name der gotischen Baukunst herrührt, und seine Hofhaltung wurde von allen Barbaren verehrt. Sogar ein schwacher Schimmer der Wissenschaften ging unter ihm auf: die Namen seiner ersten Staatsdiener, eines Cassiodor, Boethius, Symmachus, sind noch bis jetzt hochgeschätzte Namen, obgleich die beiden letzten, auf einen Verdacht, daß sie die Freiheit Roms wiederherstellen wollten, ein unglückliches Ende fanden. Vielleicht war der Verdacht dem alten Könige verzeihlich, da er nur einen jungen Enkel zur Nachfolge vor sich sah und, was seinem Reich zur daurenden Festigkeit fehlte, wohl kannte. Es wäre zu wünschen gewesen, daß dies Reich der Goten bestanden und statt Karls des Großen ein Theoderich die Verfassung Europas in geist- und weltlichen Dingen hätte bestimmen mögen.
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