XVIII.2. Reiche der Ostgoten und Langobarden

 

 Dem allen ohngeachtet ist nicht zu leugnen, daß insonderheit die Lehnverfassung der Longobarden, der mehrere Nationen Europas folgten, diesem Weltteil unselige Folgen gebracht habe. Dem Bischöfe Roms konnte es angenehm sein, daß bei einer zerteilten Macht des Staats eigenmächtige Vasallen nur durch schwache Bande an ihre Oberherren geknüpft waren; denn nach der alten Regel: »Teile und herrsche!« mochte man sodann aus jeder Unordnung Vorteil ziehen. Herzoge, Grafen und Barone konnte man gegen ihre Lehnverleiher aufregen und durch Vergebung der Sünden bei rohen Lehns- und Kriegsmännern für die Kirche viel gewinnen. Dem Adel ist die Lehnverfassung seine alte Stütze, ja die Leiter gewesen, auf welcher Beamte zu Erbeigentümern und, wenn die Ohnmacht der Anarchie es wollte, zur Landeshoheit selbst hinaufstiegen. Für Italien mochte dies alles weniger schädlich sein, da in diesem längst kultivierten Lande Städte, Künste, Gewerbe und Handel in Nachbarschaft mit den Griechen, Asiaten und Afrikanern nie ganz vernichtet werden konnten und der noch unausgetilgte Römercharakter sich nie ganz unterdrücken ließ, obwohl auch in Italien die Lehnzerteilung der Zunder unsäglicher Unruhen, ja eine Hauptursache mit gewesen, warum seit den Zeiten der Römer das schöne Land nie zur Konsistenz eines festen Zustandes gelangen konnte. In andern Ländern werden wir die Anwendung des longobardischen förmlichen Lehnrechtes, zu welchem in allen Verfassungen deutscher Völker ähnliche Keime lagen, weit verderblicher finden. Seit Karl der Große die Lombardei in sein Besitztum zog und als Erbteil unter seine Söhne brachte; seitdem unglücklicherweise auch der römische Kaisertitel nach Deutschland kam und dies arme Land, das nie zu einer Hauptbesinnung kommen konnte, mit Italien in das gefährliche Band zahlreicher und verschiedner Lehnverknüpfungen zog: seitdem wurde, ehe noch ein Kaiser das geschriebene longobardische Recht anempfahl und dem Justinianischen Recht beifügte, in mehreren Ländern die ihm zum Grunde liegende Verfassung allen an Städten und Künsten armen Gegenden gewiß nicht zum Besten errichtet. Aus Unwissenheit und Vorurteil der Zeiten galt endlich das longobardische für das allgemeine kaiserliche Lehnrecht, und so lebt dies Volk noch jetzt in Gewohnheiten, die eigentlich nur aus seiner Asche zu Gesetzen gesammelt wurden.281)

 Auch auf den Zustand der Kirche ging vieles von dieser Verfassung über. Zuerst zwar waren die Longobarden, wie die Goten, Arianer; als aber Gregor der Große die Königin Theodolinde, diese Muse ihres Volks, zur rechtgläubigen Kirche zu ziehen wußte, so zeigte sich der Glaube der Neubekehrten auch bald eifrig in guten Werken. Könige, Herzoge, Grafen und Barone wetteiferten miteinander, Klöster zu bauen und die Kirchen mit ansehnlichen Patrimonien zu beschenken; die Kirche zu Rom hatte dergleichen von Sizilien aus bis in den Kottischen Alpen. Denn wenn die weltlichen Herren sich ihre Lehngüter erwarben, warum sollten die geistlichen Herren nicht ein gleiches tun, da sie für eine ewige Nachkommenschaft zu sorgen hatten? Mit ihrem Patrimonium bekam jede Kirche einen Heiligen zu ihrem Schutzwächter, und mit diesen Patronen, als Verbittern bei Gott, hatte man sich unendlich abzufinden. Ihre Bilder und Reliquien, ihre Feste und Gebete bewirkten Wunder; diese Wunder bewirkten neue Geschenke, so daß bei fortgesetzter gegenseitiger Erkenntlichkeit der Heiligen von einem Teil, der Lehnbesitzer, ihrer Weiber und Kinder auf der andern Seite, die Rechnung nie aufhören konnte. Die Lehnverfassung selbst ging gewissermaße in die Kirche über. Denn wie der Herzog vor dem Grafen Vorzüge hatte, so wollte auch der Bischof, der jenem zur Seite saß, vor dem Bischöfe eines Grafen Vorrechte haben; das weltliche Herzogtum schlug sich also zu einem erzbischöflichen Sprengel, die Bischöfe untergeordneter Städte zu Suffraganeen eines geistlichen Herzogs zusammen. Die reich gewordenen Äbte, als geistliche Barone, suchten der Gerichtsbarkeit ihrer Bischöfe zu entkommen und unmittelbar zu werden. Der Bischof zu Rom, der auf diese Weise ein geistlicher Kaiser oder König wurde, verlieh diese Unmittelbarkeit gern und arbeitete den Grundsätzen vor, die nachher der falsche Isidor für die gesamte christkatholische Kirche öffentlich aufstellte. Die vielen Festtage, Andachten, Messen und Ämter erforderten eine Menge geistlicher Diener; die erlangten Schätze und Kleider der Kirche, die im Geschmack der Barbaren waren, wollten ihren Schatzbewahrer, die Patrimonien ihre Rectores haben, welches alles zuletzt auf einen geist- und weltlichen Schutzherren, d. i. auf einen Papst und Kaiser hinauslief, also daß Staat und Kirche eine wetteifernde Lehnverfassung wurden. Der Fall des longobardischen Reichs wurde die Geburt des Papstes und mit ihm eines neuen Kaisers, der damit der ganzen Verfassung Europas eine neue Gestalt gab. Denn nicht Eroberungen allein verändern die Welt, sondern viel mehr noch neue Ansichten der Dinge, Ordnungen, Gesetze und Rechte.

 


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