XVIII.1. Reiche der Westgoten, Sveven, Alanen und Wandalen
Von zweien treulosen Staatsministern des morgenund abendländischen Kaisertums, dem Ruffin und Stiliko, wurden die Westgoten ins Reich gerufen, dort Thracien und Griechenland, hier Italien zu verwüsten. Alarich belagerte Rom, und weil ihm Honorius sein gegebnes Wort nicht hielt, wurde es zweimal erobert und zuletzt geplündert. Mit Raube beladen, zog der westgotische König bis zur Sizilischen Meerenge hinab und hatte die Eroberung Afrikas, der Kornkammer von Italien, im Sinne, als der Tod den Lauf seiner Siege unterbrach; der tapfre Räuber wurde mit vielen Kostbarkeiten mitten in einem Strome begraben.
Seinen Nachfolger Adolf (Ataulf) wies der Kaiser, um ihn aus Italien zu entfernen, nach Gallien und Spanien gegen die dort eingebrochenen Wandalen, Alanen und Sveven; hier gründete er, abermals hintergangen und zuletzt mit des Kaisers Theodosius Tochter Placidia vermählt, das erste westgotische Reich. Die schönen Städte Narbonne, Toulouse, Bordeaux waren sein, und einige seiner Nachfolger erstreckten ihr Gebiet in Gallien weiter. Weil ihnen aber hier die Franken zu nahe, auch den arianischen Goten die katholischen Bischöfe des Landes feindlich und treulos waren, so wandten sich ihre Waffen siegreicher über die Pyrenäen, und nach langen Kriegen mit Alanen, Sveven und Wandalen, auch nach völliger Verdrängung der Römer aus dieser Weltgegend besaßen sie endlich die schöne Halbinsel Spaniens und Lusitaniens nebst einem Teil des südlichen Galliens und der afrikanischen Küste.
Vom Reich der Sveven in Spanien, während seiner 178 Jahre, haben wir nichts zu sagen; nach einer Reihe von Plünderungen und Unglücksfällen ist's namenlos untergegangen und ins spanisch-gotische Reich versunken. Merkwürdiger machten sich die Westgoten, sobald sie in diese Gegenden gelangten. Schon in Gallien, als die Residenz ihrer Könige noch in Toulouse war, ließ Erich ein Gesetzbuch verfassen273) und sein Nachfolger Alarich aus Gesetzen und Schriften römischer Rechtsgelehrten einen Kodex zusammentragen, der bereits vor Justinian gleichsam das erste barbarische Corpus iuris wurde.274) Es hat unter mehrern deutschen Völkern, Burgundern, Angeln, Franken und Longobarden, als ein Auszug der römischen Gesetze gegolten und auch uns einen Teil des Theodosischen Gesetzbuchs gerettet, obgleich die Goten selbst lieber bei ihren eigenen Gesetzen und Rechten blieben. Jenseit der Pyrenäen kamen sie in ein Land, das unter den Römern eine blühende Provinz gewesen war, voll Städte, voll Einrichtungen und Handels. Als in Rom alles schon der Üppigkeit unterlag, hatte Spanien der Hauptstadt der Welt noch eine Reihe berühmter Männer gegeben275), die in ihren Schriften schon damals etwas vom spanischen Charakter zeigen. Andernteils war auch das Christentum frühe nach Spanien gekommen, und da der Geist, dieses Volks durch die seltsame Vermischung vieler Nationen in seinem abgesonderten Erdstrich zum Außerordentlichen und Abenteuerlichen sehr geneigt war, hatte er an Wundergeschichten und Büßungen, an Enthaltsamkeit und Einsiedelei, an Orthodoxie, am Märtyrertum und einer Kirchenpracht über heiligen Gräbern so viel Geschmack gefunden, daß Spanien auch seiner Lage nach gar bald ein wahrer Christenpalast wurde. Von hier aus hatte man bald den Bischof zu Rom, bald den zu Hippo, Alexandrien und Jerusalem fragen oder belehren können; man konnte die Ketzer sogar außer Landes aufsuchen und bis gen Palästina verfolgen. Von jeher also waren die Spanier erklärte Ketzerfeinde und haben den Priscillianisten, Manichäern, Arianern, Juden, dem Pelagius, Nestorius u. a. ihre Rechtgläubigkeit hart erwiesen. Die frühe Hierarchie der Bischöfe dieser apostolischen Halbinsel, ihre öfteren und strengen Konzilien gaben dem Römischen Stuhl selbst ein Vorbild; und wenn das fränkische Reich diesem Oberhirten späterhin mit dem weltlichen Arm aufhalf, so hatte Spanien ihm früher mit dem geistlichen Arm geholfen. In ein solches Reich voll alter Kultur und festgestellter Kirchenverfassung rückten die Goten, treuherzige Arianer, die dem Joch der katholischen Bischöfe schwerlich zu widerstehen vermochten. Zwar hielten sie lange ihren Nacken aufrecht; sie wappneten sich sowohl mit Güte als mit Verfolgung und strebten nach der Vereinigung beider Kirchen. Vergebens; denn nie gab die herrschende römisch-katholische Kirche nach, und zuletzt wurden auf mehreren Konzilien zu Toledo die Arianer so hart verdammt, als ob nie ein spanischer König dieser Sekte ergeben gewesen wäre. Nachdem König Leovigild, der letzte von gotischer Kraft, dahin war und Reccard, sein Sohn, sich der katholischen Kirche bequemte, sogleich bekommen auch die Gesetze des Reichs, in der Versammlung der Bischöfe gegeben, den Bischofs- und Mönchscharakter. Körperliche Strafen, sonst verabscheut von den Deutschen, fangen an, in ihnen zu herrschen; noch mehr aber wird ein Geist des Ketzergerichts in ihnen sichtbar, lange vorher, ehe man den Namen einer Inquisition kannte.276)