XVIII.1. Reiche der Westgoten, Sveven, Alanen und Wandalen
Unvollkommen also und zwangvoll wurde die Einrichtung der Goten in diesem schönen Lande, wo sie, umschlossen von Bergen und Meeren, sich zu einem daurenden, herrlichen Reich hätten bilden können, wenn sie dazu Verstand und Mut gehabt und sich weder dem Klima noch der Kirche zu Knechten gemacht hätten. Nun aber war jener Strom längst entkräftet, der unter Alarich einst Griechenland und Italien durchbrauste; Adolfs Geist, der Rom zu vernichten schwur, damit er eine neue Gotenstadt als das Haupt der Welt auf ihre Trümmern baute, war schon gebändigt, da er sich nach einem Winkel des Reichs hatte verweisen lassen und mit einer Placidia das Hochzeitbette bestieg. Langsam ging die Eroberung fort, weil Deutsche von deutschen Völkern sich die Provinzen mit Blut erkaufen mußten. Und als, nach ebenso langem Kampf mit der Kirche, die Bischöfe und die Großen des Reichs, zwei so widrige Extreme, endlich zusammentrafen, war es um die Gründung eines festen gotischen Reichs in Spanien geschehen. Statt daß vorher die Könige dieses Volks von der Nation gewählt waren, machten die Bischöfe die Würde eines Königes erblich und seine Person göttlich. Aus Kirchenversammlungen wurden Reichstäge, die Bischöfe des Reichs ersten Stände. In Pracht und Weichheit verloren die Großen des Palasts ihre Treue, die einst tapfern Krieger, unter welche das Land verteilt war, auf ihren reichen Wohnsitzen den Mut, die Könige bei ihren auf Religion gegründeten Vorzügen Sitten und Tugend. Unbefestigt lag also das Reich dem Feinde da, woher er auch kommen mochte; und als er aus Afrika kam, ging ein solches Schrecken vor ihm her, daß nach einer glücklichen Schlacht die schwärmenden Araber in zweien Jahren den größesten und schönsten Teil von Spanien besaßen. Mehrere Bischöfe wurden treulos; die 712 üppigen Großen unterwarfen sich oder flohen und fielen. Das Reich, das, ohne innere Verfassung, auf dem persönlichen Mut und Diensteifer seiner Goten beruhen sollte, war wehrlos, sobald dieser Mut und diese Treue dahin waren. Mögen immerhin die Kirchenzucht und der Ritus aus den spanischen Konzilien viel zu lernen haben; für die Landeseinrichtung war Toledo von jeher ein Grab und ist es lange geblieben.277)
Denn als nun jener tapfre Rest geschlagener und betrogener Goten aus seinen Gebirgen wieder hervorging und in sieben- bis achthundert Jähren durch 3700 Schlachten kaum wiedergewann, was ihm zwei Jahre und eine Hauptschlacht geraubt hatten; wie anders, als daß der sonderbar gemischte Christen- und Gotengeist jetzt nur als der Schatten aus einem Grabe erscheinen konnte? Altchristen eroberten jetzt von heidnischen Sarazenen ihr so lange entheiligtes Land; jede Kirche, die sie aufs neue weihen dorften, wurde ihnen eine teure Siegesbeute. Bischoftümer und Klöster wurden also ohne Zahl erneuert, gestiftet, als ein Kranz der Christen- und Ritterehre angelobt; und weil die Eroberung langsam fortging, so hatte man Zeit, zu weihen und anzugeloben. Dazu traf die Wiedereroberung größtenteils in die blühendsten Zeiten des Ritter- und Papsttumes. Einige Reiche, die man den Mauren entrissen hatte, ließ sich der König vom Papst zum Lehn auftragen, damit er in ihnen als ein echter Sohn der alten Kirche herrschte. Allenthalben wurden die Bischöfe seine Mitregenten, und die christlichen Ritter, die das Reich mit ihm erobert hatten, Grandes y ricos hombres, ein hoher Adel, der mit seinem Könige das neue Christenreich teilte. Wie unter jenen alten Rechtgläubigen Juden und Arianer ausgetrieben waren, so galt's jetzo Juden und Mauren, so daß das schöne, unter mehreren Völkern einst blühende Land nach und nach eine anmutige Wüste wurde. Noch jetzt stehen überall die Säulen dieser altund neugotischen Christenstaatsverfassung in Spanien da; die Zeit hat manches zwischen sie gesetzt, ohne den Riß und Grund des Gebäudes ändern zu können. Zwar thront der katholische König nicht mehr neben dem Bischofsthrone in Toledo, und die heilige Inquisition ist seit ihrer Entstehung mehr ein Werkzeug des Despotismus als der blinden Andacht gewesen; dagegen aber sind in diesem abgeschlossenen romantischen Lande der Schwärmerei so viele und so dauerhafte Ritterschlösser errichtet, daß die Gebeine des heil. Jacobus zu Compostell fast sichrer als die Gebeine des heil. Petrus zu Rom zu ruhen scheinen, über ein halbhundert Erz- und Bischöfe, über dreitausend meistens reiche Klöster genießen die Opfer eines Reiches, das seine Rechtgläubigkeit mit Feuer, Schwert, Betrug und großen Hunden auch in zwei andere Weltteile verbreitet hat; im spanischen Amerika allein thronen fast ebensoviel Erz- und Bischöfe in aller Herrlichkeit der Kirche. In Geisteswerken der Spanier fangen dicht hinter den Römern christliche Poeten, Streiter und kanonische Richter an, auf welche Schrifterklärer und Legendenschreiber in solcher Anzahl folgen, daß selbst ihre Lust- und Possenspiele, ihre Tänze und Stiergefechte sich nicht ohne Christentum behelfen mögen. Das bischöflich -gotische Recht hat sich mit dem römisch -kanonischen Rechte innig verschlungen; aller Scharfsinn der Nation ist darüber in Subtilitäten abgewetzt worden, so daß auch hier eine Wüste daliegt, die statt der Früchte Dornen trägt.278) Obwohl endlich von jenen hohen Hof- und Kronbeamten, die bei den Goten wie bei andern deutschen Völkern zuerst nichts als persönliche Ämter waren, nachher aber als Reichswürden ein halbes Jahrtausend hin das Mark des Landes an sich gesogen haben, zum Teil nur noch der Schatten ist, indem die königliche Gewalt sich hier mit dem Papst zu setzen, dort den Stolz der Großen zu demütigen und die Macht derselben einzuschränken gewußt hat, so wird doch, weil widrige Prinzipien dieser Art dem Staat einmal zum Grunde liegen und in den Charakter der Nation selbst verwebt sind, das schöne Land noch lange vielleicht ein milderes europäisches Afrika, ein gotisch- mauritanischer Christenstaat bleiben.
Von den Westgoten aus Spanien verdrängt, waren die Wandalen mit dem Rest der Alanen nach Afrika gegangen, wo sie das erste christliche Raubnest stifteten, reicher und mächtiger, als in der Folge eines ihrer mahomedanischen Nachfolger gewesen. Geiserich, ihr König, einer der tapfersten Barbaren, die die Erde sah, nahm mit einer mäßigen Schar in wenigen Jahren die ganze schöne afrikanische Küste von der Meerenge bis zur Lybischen Wüste ein und schuf sich eine Seemacht, mit der ein halbes Jahrhundert lang dieser numidische Löwe alle Küsten des Mittelländischen Meers von Griechenland und Illyrien an, über die Säulen Herkules' hinaus, bis nach Galizien beraubte, die Balearischen Inseln, Sardinien, einen Teil Siziliens sich zueignete und Rom, die Hauptstadt der Welt, zehn Tage lang so langsam und rein ausplünderte, daß er mit dem goldnen Dache Jupiters, mit der alten Beute des jüdischen Tempels, mit unermeßlichen Schätzen an Kunstwerken und Kostbarkeiten, die ihm nur zum Teil das Meer raubte, mit einer Menge Gefangener, die er kaum irgend zu lassen wußte, mit einer geraubten Kaiserin und ihren beiden Töchtern glücklich und wohl in seinem Karthago ankam. Die älteste Kaisertochter, Eudoxia, vermählte er seinem Sohne, die andere mit ihrer Mutter schickte er zurück und war übrigens ein so kluges, mutiges Ungeheuer, daß er wert war, ein Freund und Bundsgenoß des großen Attila zu sein, der von der Lena in Asien an bis über den Rhein hin die Welt eroberte, besteuerte und schreckte. Billig gegen seine Unterworfenen, strenge in Sitten, enthaltsam, mäßig, nur im Verdacht oder im Zorn grausam und immer tätig, immer wachsam und glücklich, lebte Geiserich sein langes Leben aus und hinterließ seinen beiden Söhnen ein blühendes Reich, in welchem die Schätze des Okzidents gesammelt waren. Sein Letzter Wille gründete des Reichs ganzes Schicksal. Demzufolge sollte stets der Älteste seines gesamten Geschlechts regieren, weil dieser es mit der größesten Erfahrung tun könnte, und eben damit war der ewige Zank- und Mordapfel unter seine Abkömmlinge geworfen. Kein Ältester seiner Familie war fortan des Lebens sicher, indem jeder Jüngere der Älteste sein wollte; so mordeten Brüder und Vettern einander, jeder fürchtete oder neidete den andern, und da der Geist des Stifters in keinem seiner Nachkommen war, so versanken seine Wandalen in alle Üppigkeit und Träge des afrikanischen Erdstrichs. Ihr bleibendes Kriegslager, in welchem sich alter Mut erhalten sollte, wurde ein Lager des Spiels und der Wohllust, und kaum nach ebenso vieler Zeit, als Geiserich selbst regiert hatte, ging das ganze Reich in einem Feldzuge unter. Der achte König, Gelimer, wurde mit allen erbeuteten Schätzen zu Konstantinopel in einem barbarischen Prachttriumph aufgeführt und starb als ein Landmann; seine gefangenen Wandalen wunden an die persische Grenze in Schlösser verlegt, und der Rest der Nation verlor sich; wie ein Zauberschloß voll Goldes und Silbers verschwand dies sonderbare Reich, von dem man etwa noch Münzen in der afrikanischen Erde antrifft. Die jüdischen Tempelgeräte, die Geiserich aus Rom geraubt hatte, wurden in Konstantinopel zum drittenmal im Triumph getragen; sie kamen nach Jerusalem zurück als Geschenk in eine Christenkirche und sind wahrscheinlich nachher, mit einem arabischen Spruch bezeichnet, als Münzen in alle Welt geflogen. So wandern die Heiligtümer; Reiche verschwinden; es wechseln Völker und Zeiten. Sehr wichtig wäre es gewesen, wenn sich in Afrika dies wandalische Reich hätte erhalten können; ein großer Teil der europäischen, asiatischen und afrikanischen Geschichte, ja der ganze Weg europäischer Kultur wäre dadurch verändert. Jetzt ist das Andenken dieses Volks kaum noch im Namen einer spanischen Provinz kenntlich.279)