XIX.5. Wirkung der arabischen Reiche
Schnell wie die Ausbreitung und Zerteilung des Kalifenreichs war auch die Blüte desselben, zu welcher auf einem kaltem Boden ein Jahrtausend vielleicht kaum hinreichend gewesen wäre. Die wärmere Naturkraft, mit welcher das morgenländische Gewächs zur Blüte eilt, zeigt sich auch in der Geschichte dieses Volkes.
1. Das ungeheure Reich des Handels der Araber war eine Wirkung auf die Welt, die nicht nur aus der Lage ihrer Länder, sondern auch aus ihrem Nationalcharakter hervorging, also auch ihre Besitztümer überlebt hat und einesteils noch jetzo dauert. Der Stamm Koreisch, aus welchem Mohammed entsprossen war, ja der Prophet selbst waren Geleiter ziehender Karawanen und das heilige Mekka von alters her der Mittelpunkt eines großen Völkerverkehrs gewesen. Der Meerbusen zwischen Arabien und Persien, der Euphrat und die Häfen am Boten Meer waren bekannte Straßen oder Niederlagen der indischen Waren von alten Zeiten; daher vieles arabisch hieß, was aus Indien kam, und Arabien selbst Indien genannt wurde. Frühe hatte dies tätige Volk mit seinen Stämmen die östliche afrikanische Küste besetzt und war unter den Römern schon ein Werkzeug des indischen Handels gewesen. Da nun der weite Strich Landes zwischen dem Euphrat und Nil, ja vom Indus, Ganges und Oxus bis zum Atlantischen Meer, den Pyrenäen, dem Niger und in Kolonien bis zum Lande der Kaffern hin sein war, so konnte es auf eine Zeit das größeste Handelsvolk der Welt werden. Dadurch litt Konstantinopel, und Alexandrien wurde zum Dorfe; dagegen hatte Omar am Zusammenfluß des Tigris und Euphrats Balsora gebaut, die eine Zeit hin alle Waren der östlichen Welt empfing und verteilte. Unter den Ommijaden war Damaskus die Residenz: eine alte große Handelsniederlage, ein natürlicher Mittelpunkt der Karawanen in seiner paradiesischen Lage, ein Mittelpunkt des Reichtums und Kunstfleißes. Schon unter Moawija wurde in Afrika die Stadt Kairwan, späterhin Kahira, gebaut, dahin sich dann über Suez der Handel der Welt zog.296 Im innern Afrika hatten sich die Araber des Gold- und Gummihandels bemächtigt, die Goldbergwerke von Sofala entdeckt, die Staaten Tombut, Telmasen, Darah gegründet, an der östlichen Küste ansehnliche Kolonien und Handelsstädte, ja Anlagen bis in Madagaskar gepflanzt. Seitdem unter Walid Indien bis zum Ganges und Turkestan erobert war, band sich mit der westlichen die äußerste Ostwelt; nach Tsina hatten sie frühe, teils in Karawanen, teils nach Kanfu (Kanton) über das Meer gehandelt. Aus diesem Reiche brachten sie den Branntwein, den die von ihnen zuerst bearbeitete Chemie nachher so ungeheuer vermehrte; zum Glück für Europa verbreitete er sich, nebst dem schädlichen Tee und dem Kaffee, einem arabischen Getränke, in unserm Weltteil einige Jahrhunderte später. Auch die Kenntnis des Porzellans, vielleicht auch des Schießpulvers, kam aus Tsina durch sie nach Europa. Auf der Küste von Malabar waren sie herrschend; sie besuchten die maldivischen Inseln, machten Niederlagen auf Malakka und lehrten die Malayen schreiben. Späterhin hatten sie auch auf die Molukken Kolonien und ihre Religion gepflanzt, so daß vor Ankunft der Portugiesen in diesen Gewässern der ostindische Handel ganz in ihren Händen war und ohne Zwischenkunft der Europäer süd- und östlich von ihnen wäre verfolgt worden. Eben die Kriege mit ihnen und der christliche Eifer, sie auch in Afrika zu finden, leitete die Portugiesen zu jenen großen Entdeckungen auf der See, die dem ganzen Europa eine andere Gestalt gaben.
2. Religion und Sprache der Araber machten eine andere große Wirkung auf Völker dreier Weltteile. Indem sie nämlich bei ihren weiten Eroberungen allenthalben den Islamismus oder tributbare Unterwerfung predigten, breitete sich Mohammeds Religion östlich bis zum Indus und Gihon, westlich bis gen Fes und Marokko, nördlich über den Kaukasus und Imaus, südlich bis zum Senegal und zum Lande der Kaffern, auf die beiden Halbinseln und den ostindischen Archipelagus aus und hat sich zahlreichere Anhänger als das Christentum selbst erobert. Nun ist in Absicht der Meinungen, die diese Religion lehrt, nicht zu leugnen, daß sie die heidnischen Völker, die sich zu ihr bekannten, über den groben Götzendienst der Naturwesen, der himmlischen Gestirne und irdischer Menschen erhoben und sie zu eifrigen Anbetern eines Gottes, des Schöpfers, Regierers und Richters der Welt, mit täglicher Andacht, mit Werken der Barmherzigkeit, Reinheit des Körpers und Ergebung in seinen Willen gemacht hat. Durch das Verbot des Weines hat sie der Völlerei und dem Zank zuvorkommen, durch das Verbot unreiner Speisen Gesundheit und Mäßigkeit befördern wollen; desgleichen hat sie den Wucher, das gewinnsüchtige Spiel, auch mancherlei Aberglauben untersagt und mehrere Völker aus einem rohen oder verdorbenen Zustande auf einen mittlern Grad der Kultur gehoben; daher auch der Moslem (Muselman) den Pöbel der Christen in seinen groben Ausschweifungen, insonderheit in seiner unreinen Lebensweise, tief verachtet. Die Religion Mohammeds prägt den Menschen eine Ruhe der Seele, eine Einheit des Charakters auf, die freilich ebenso gefährlich als nützlich sein kann, an sich aber schätzbar und hochachtenswürdig bleibt; dagegen die Vielweiberei, die sie erlaubt, das Verbot aller Untersuchungen über den Koran und der Despotismus, den sie im Geist- und Weltlichen feststellt, schwerlich anders als böse Folgen nach sich ziehen mögen.297)
Wie aber auch diese Religion sei, so wurde sie durch eine Sprache fortgepflanzt, die die reinste Mundart Arabiens, der Stolz und die Freude des ganzen Volks war; kein Wunder also, daß die andern Dialekte damit in den Schatten gedrängt wurden und die Sprache des Koran das siegende Panier der arabischen Weltherrschaft wurde. Vorteilhaft ist einer weitverbreiteten blühenden Nation ein solches gemeinschaftliches Ziel der Rede- und Schreibart. Wenn die germanischen Überwinder Europas ein klassisches Buch ihrer Sprache, wie die Araber den Koran, gehabt hätten, nie wäre die lateinische eine Oberherrin ihrer Sprache geworden, auch hätten sich viele ihrer Stämme nicht so ganz in der Irre verloren. Nun aber konnte diesen weder Ulfila noch Kaedmon oder Otfried werden, was Mohammeds Koran noch jetzt allen seinen Anhängern ist: ein Unterpfand ihrer alten echten Mundart, durch welches sie zu den echtesten Denkmalen ihres Stammes aufsteigen und auf der ganzen Erde ein Volk bleiben. Den Arabern galt ihre Sprache als ihr edelstes Erbteil, und noch jetzt knüpft sie in mehreren Dialekten ein Band des Verkehrs und Handels zwischen so vielen Völkern der Ost- und Südwelt, als nie eine andere Sprache geknüpft hat. Nach der griechischen ist sie vielleicht auch am meisten dieser Allgemeinherrschaft würdig, da wenigstens die lingua franca jener Gegenden gegen sie als ein dürftiger Bettlermantel erscheint.
3. In dieser reichen und schönen Sprache bildeten sich Wissenschaften aus, die, seitdem Al Mansor, Harun al Raschid und Mamon sie weckten, von Bagdad, dem Sitz der Abbasiden, nord-, öst-, am meisten aber westlich ausgingen und geraume Zeit im weiten Reich der Araber blühten. Eine Reihe Städte, Balsora, Kufa, Samarkand, Rosette, Kahira, Tunis, Fes, Marokko, Kordova u. f., waren berühmte Schulen, deren Wissenschaften sich auch den Persern, Indiern, einigen tatarischen Ländern, ja gar den Sinesen mitgeteilt haben und bis auf die Malayen hinab das Mittel geworden sind, wodurch Asien und Afrika zu einiger neueren Kultur gelangten. Dichtkunst und Philosophie, Geographie und Geschichte, Grammatik, Mathematik, Chemie, Arzneikunde sind von den Arabern getrieben worden, und in den meisten derselben haben sie als Erfinder und Verbreiter, mithin als wohltätige Eroberer auf den Geist der Völker gewirkt.