XVII.2. Fortpflanzung des Christentums in den Morgenländern

 

 Heller wird der Blick auf die gelehrteren Nestorianer, die insonderheit vom fünften Jahrhundert an sich tief in Asien verbreitet und mancherlei Gutes bewirkt haben.261) Fast vom Anfange der christlichen Zeitrechnung blühte die Schule zu Edessa als ein Sitz der syrischen Gelehrsamkeit. König Abgarus, den man mit Christo selbst in einen Briefwechsel gebracht hat, ließ, als er seine Residenz von Nesibis dahin verlegte, die Büchersammlungen, die in den Tempeln lagen, nach Edessa bringen; nach Edessa reiste in dieser Zeit, wer gelehrt werden wollte, aus allen Ländern umher, weil außer der christlichen Theologie auch über die freien Künste in griechisch- und syrischer Sprache Unterricht gegeben wurde, so daß Edessa vielleicht die erste christliche Universität in der Welt ist. Vierhundert Jahre blühte sie, bis durch die Streitigkeiten über Nestorius' Lehre, zu welcher sich diese Schule schlug, ihre Lehrer vertrieben und die Hörsäle derselben gar niedergerissen wurden. Dadurch aber breitete sich die syrische Literatur nicht nur in Mesopotamien, Palästina, Syrien und Phönizien umher, sie ging auch nach Persien, wo sie mit Ehren aufgenommen wurde und wo endlich gar ein nestorianischer Papst entstand, der über die Christenheit in diesem Reich, späterhin auch über die in Arabien, Indien, der Mungalei und Sina herrschte. Ob er der berühmte Priester Johannes (Pres-Tadschani, der Priester der Welt) sei, von dem in den mittlern Zeiten viel gefabelt worden, und ob durch eine seltsame Vermischung der Lehren endlich der große Lama aus ihm entstanden, lassen wir unentschieden.262 Gnug, in Persien wurden die beliebten Nestorianer von den Königen als Leibärzte, Gesandten und Minister gebraucht; die Schriften des Christentums wurden ins Persische übersetzt, und die syrische wurde die gelehrte Sprache des Landes. Als Mahomeds Reich emporkam, insonderheit unter seinen Nachfolgern, den Ommiaden, bekleideten Nestorianer die höchsten Ehrenstellen, wurden Statthalter der eroberten Provinzen, und seit die Kalifen zu Bagdad saßen, auch da sie ihre Residenz nach Samaraja verlegen mußten, war der Patriarch der Nestorianer ihnen zur Seite. Unter Al-Mamon, der seine Nation gelehrt kultivierte und auf der Akademie zu Bagdad Ärzte und Astronomen, Philosophen, Physiker, Mathematiker, Geographen und Annalisten bestellte, waren die Syrer der Araber Mitlehrer und Lehrer. Wetteifernd übersetzten beide die Schriften der Griechen, deren viele schon in der syrischen Sprache waren, ins Arabische; und wenn nachher aus dem Arabischen das Licht der Wissenschaften dem dunkeln Europa aufging, so haben an ihrem Ort die christlichen Syrer dazu ursprünglich mitgeholfen. Ihre Sprache, die unter den morgenländischen Dialekten dieses Weltstrichs zuerst Vokalen bekommen hatte, die sich auch der ältesten und schönsten Übersetzung des Neuen Testaments rühmen kann, ist gleichsam die Brücke der griechischen Wissenschaften für Asien und durch die Araber für Europa worden. Weit und breit gingen damals unter so günstigen Umständen nestorianische Missionen aus, die andere christliche Sekten zu unterdrücken oder zu entfernen wußten. Auch noch unter den Dschengiskaniden galten sie viel: ihr Patriarch begleitete den Khan oft auf seinen Zügen, und so drang ihre Lehre unter die Mogolen, lgurier und andere tatarische Völker. In Samarkand saß ein Metropolit, in Kaschgar und andern Städten Bischöfe; ja, wenn das berühmte christliche Monument in Sina echt wäre, so fände man auf ihm eine ganze Chronik der Einwanderungen der Priester aus Tatsin. Nimmt man noch hinzu, daß ohne vorhergehendes und einwirkendes Christentum die ganze mahomedanische Religion, wie sie ist, nicht entstanden wäre, so zeigt sich in ihm ohn allen Streit ein Ferment, das mehr oder minder, früher oder später, die Denkart des ganzen Süd-, zum Teil auch Nordasien in Bewegung gesetzt hat.

 Niemand indessen erwarte aus dieser Bewegung eine neue eigne Blüte des Menschengeistes, wie wir sie etwa bei Griechen und Römern fanden. Die Nestorianer, die soviel bewirkten, waren kein Volk, kein selbstgewachsner Stamm in einer mütterlichen Erde; sie waren Christen, sie waren Mönche. Ihre Sprache konnten sie lehren; was aber in ihr schreiben? Liturgien, Auslegungen der Schrift, klösterliche Erbauungsbücher, Predigten, Streitschriften, Chroniken und geistlose Verse. Daher in der syrisch-christlichen Literatur kein Funke jener Dichtergabe, die aus der Seele flammt und Herzen erwärmt; eine elende Künstelei, Namenregister, Predigten, Chroniken zu versifizieren ist ihre Dichtkunst. In keine der Wissenschaften, die sie bearbeitet, haben sie Erfindungsgeist gebracht, keine derselben mit Eigentümlichkeit behandelt. Ein trauriger Erweis, wie wenig der asketisch- polemische Mönchsgeist bei aller politischen Klugheit leiste. In allen Weltteilen hat er sich in dieser unfruchtbaren Gestalt gezeigt und herrscht noch auf den tibetanischen Bergen, wo man bei aller gesetzlichen Pfaffenordnung auch keine Spur eines freien, erfindenden Genius antrifft. Was aus dem Kloster kommt, gehört auch meistens nur für Klöster.

Bei einzelnen Provinzen des christlichen Asiens darf die Geschichte also nur kurz verweilen. Nach Armenien kam das Christentum frühe und hat der alten merkwürdigen Sprache eigne Buchstaben, mit diesen auch eine doppelte und dreifache Übersetzung der Schrift und eine armenische Geschichte gegeben. Weder aber Misrob mit seinen Buchstaben noch sein Schüler Moses aus Chorene263) mit seiner Geschichte konnten ihrem Volk eine Literatur oder Nationalverfassung geben. Von jeher lag Armenien an der Wegscheide der Völker; wie es ehemals unter Persern, Griechen, Römern gewesen war, kam es jetzt unter Araber, Türken, Tätern, Kurden. Noch jetzt treiben die Einwohner ihre alte Kunst, den Handel; ein wissenschaftliches oder Staatsgebäude hat, mit und ohne Christentum, in dieser Gegend nie errichtet werden mögen.

 Noch elender ist's mit den christlichen Georgien. Kirchen und Klöster, Patriarchen, Bischöfe und Mönche sind da; die Weiber sind schön, die Männer herzhaft; und doch verkaufen Eltern die Kinder, der Mann sein Weib, der Fürst seine Untertanen, der Andächtige allenfalls seinen Priester. Ein seltenes Christentum unter diesem muntern und treulosen Raubgesindel.

 Auch ins Arabische ist das Evangelium frühe übersetzt worden, und mehrere christliche Sekten haben sich Mühe um dies schöne Land gegeben. Juden und Christen lagen darin oft verfolgend gegeneinander; aus beiden Teilen, ob sie gleich zuweilen selbst Könige hervorbrachten, ist nie etwas Merkwürdiges worden. Alles sank unter Mahomed; und jetzt gibt's in Arabien zwar ganze Judenstämme, aber keine Christengemeinen. Drei Religionen, Abkömmlinge voneinander, bewachen mit gegenseitigem Haß untereinander das Heiligtum ihrer Geburtsstätte, die arabische Wüste.264)

 


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