XVIII.4. Reiche der Sachsen, Normänner und Dänen

 

 Schon in den frühesten Zeiten waren nördliche deutsche Stämme, Sachsen, Friesen und Franken, auf der See rege; Dänen, Norweger und Skandinavier taten sich unter mancherlei Namen noch kühner hervor. Angelsachsen und Jüten gingen nach Britannien über; und als von den fränkischen Königen, am meisten von Karl dem Großen, die Eroberung nordwärts verbreitet wurde, warfen sich immer mehr kühne Haufen aufs Meer, bis zuletzt die Normänner ein so furchtbarer Name zur See wurden, als es zu Lande jene verbündeten Krieger, Markomannen, Franken, Alemannen u. a., kaum gewesen waren. Ich müßte hundert berühmte Abenteurer nennen, wenn ich aus den nordischen Gedichten und Sagen ihre gepriesene Seehelden aufzählen wollte. Die Namen derer indessen, die durch Entdeckung der Länder oder durch Anlagen zu Reichen sich ausgezeichnet, sind nicht zu übergehen, und man erstaunt über die weite Fläche, auf welcher sie sich umhergeworfen haben. Dort steht ostwärts Rorik (Roderich) mit seinen Brüdern, die in Nowgorod ein Reich stifteten und dadurch zum Staate Rußlands den Grund legten; Oskold und Diar, die in Kiew einen Staat gründeten, der sich mit jenem zu Nowgorod vereinte; Ragnwald, der sich zu Polotzk an der Düna niederließ, der Stammvater der litauischen Großherzoge. Nordwärts wurde Naddodd im Sturm nach Island geworfen und entdeckte diese Insel, die bald ein Zufluchtsort der edelsten Stämme aus Norwegen (gewiß des reinsten Adels in Europa), eine Erhalterin und Vermehrerin der nordischen Lieder und Sagen, ja über dreihundert Jahre lang der Sitz einer schönen, nicht unkultivierten Freiheit gewesen.

Westlich waren von den Normännern die Färöes-, Orkneys -, die schottlandischen und westlichen Inseln oft besucht, zum Teil bevölkert, und auf mehreren derselben haben nordische Jarle (Grafen) lange regiert, so daß auch in ihren äußersten Ecken die verdrängten Galen vor deutschen Völkern nicht sicher waren. In Irland ließen sie sich schon zu Karls des Großen Zeiten nieder, wo Dublin dem Olof, Waterford dem Sitrik, Limmerik dem Ywar zuteil wurde. In England waren sie unter dem Namen der Dänen furchtbar; nicht nur Northumberland haben sie, untermischt mit sächsischen Grafen, 200 Jahre lang teils eigenmächtig, teils lehnpflichtig besessen, sondern das ganze England war ihnen unter Knut, Harold und Hardyknut unterworfen. Die französische Küsten beunruhigten sie seit dem sechsten Jahrhundert; und die böse Ahnung Karls des Großen, daß seinem Lande durch sie viele Gefahr bevorstehe, traf bald nach seinem Tode fast zu reichlich ein. Unsäglich sind die Verwüstungen, die sie nicht etwa nur am Meere, sondern, die Ströme hinauf, mitten in Frankreich und Deutschland ausgeübt haben, so daß die meisten Anlagen und Städte, die teils noch von den Römern, teils von Karl herrührten, durch sie ein trauriges Ende nahmen, bis endlich Rolf, in der Taufe Robert genannt, der erste Herzog der Normandie und der Stammvater mehr als eines Königgeschlechtes wurde.

 Von ihm stammte Wilhelm der Eroberer ab, der England eine neue Verfassung brachte; durch Folgen seiner Anlage wurden England und Frankreich in einen 400jährigen Krieg verwickelt, der beide Nationen auf eine sonderbare Weise an- und durcheinander übte. Jene Normänner, die mit fast unglaublichem Glück und Mut den Arabern Apulien, Kalabrien, Sizilien, ja auf eine Zeit Jerusalem und Antiochien abdrangen, waren Abenteurer aus dem von Rolf gestifteten Herzogtume, und die Nachkommen Tankreds, die zuletzt Siziliens und Apuliens Krone trugen, stammten von ihm her. Wenn alle kühne Taten erzählt werden sollten, die auf Pilgrimschaften und Wallfahrten, im Dienst zu Konstantinopel und auf Reisen, fast in allen Ländern und Meeren, bis nach Grönland und Amerika hin von den Normännern begonnen sind, würde die Erzählung selbst ein Roman scheinen. Wir bemerken also zu unserm Zweck nur die Hauptfolge derselben aus ihrem Charakter.

 So rauh die Bewohner der nordischen Küsten ihrem Klima und Boden, ihrer Einrichtung und Lebensweise nach lange bleiben mußten, so lag doch in ihnen, vorzüglich bei ihrem Seeleben, ein Keim, der in mildern Gegenden bald sehr blühende Sprossen treiben konnte. Tapferkeit und Leibesstärke, Gewandtheit und Fertigkeit in allen Künsten, die man späterhin die ritterlichen nannte, ein großes Gefühl für Ehre und edle Abkunft, samt der bekannten nordischen Hochachtung fürs weibliche Geschlecht als den Preis des tapfersten, schönsten und edelsten Mannes, waren Eigenschaften, die den nordischen Seeräuber in Süden sehr beliebt machen mußten. Auf dem festen Lande greifen die Gesetze um sich: jede rohe Selbsttätigkeit muß unter ihnen entweder selbst zum Gesetz werden oder als eine tote Kraft ersterben; auf dem wilden Element des Meeres, wohin die Oberherrschaft eines Landköniges nicht reicht, da erfrischt sich der Geist. Er schweift nach Krieg oder nach Beute umher, die jener Jüngling seiner daheimgelassenen Braut, dieser Mann seinem Weib und Kindern als Zeichen seines Werts nach Hause bringen wollte; ein dritter sucht im fernen Lande selbst eine bleibende Beute. Nichtswürdigkeit war das Hauptlaster, das in Norden, hier mit Verachtung, dort mit Qualen der Hölle, gestraft wird; dagegen Tapferkeit und Ehre, Freundschaft bis auf den Tod und ein Rittersinn gegen die Weiber die Tugenden waren, die beim Zusammentreffen mehrerer Zeitumstände zu der sogenannten Galanterie des Mittelalters viel beitrugen. Da Normänner sich in einer französischen Provinz niederließen und Rolf, ihr Anführer, sich mit der Tochter des Königes vermählte, da viele seiner Waffenbrüder diesem Beispiele folgten und sich mit dem edelsten Blut des Landes mischten, da wurde der Hof der Normandie gar bald der glänzendste Hof des Westlandes. Als Christen konnten sie, mitten unter christlichen Nationen, die Seeräuberei nicht ferner treiben; aber ihre nachziehenden Brüder dorften sie aufnehmen und kultivieren, also daß diese Küste in ihrer schönen Lage ein Mittelpunkt und Veredlungsort der seefahrenden Normänner wurde. Da nun, von den Dänen verdrungen, die angelsächsische Königsfamilie zu ihnen floh und Eduard der Bekenner, bei ihnen erzogen, den Normännern zu Englands Thron selbst Hoffnung machte, als Wilhelm der Eroberer durch eine einzige Schlacht dies Königreich gewann und fortan die größesten Stellen desselben in beiden Ständen mit Normännern besetzte, da wurde in kurzem normännische Sitte und Sprache auch Englands feinere Sitte und Hofsprache. Was diese einst rohen Überwinder in Frankreich gelernt und mit ihrer Natur gemischt hatten, ging bis auf eine harte Lehnverfassung und Forstgerechtigkeit nach Britannien über. Und wiewohl in der Zukunft viele Gesetze des Eroberers abgeschafft und die alten, milderen angelsächsischen zurückgerufen wurden, so konnte dennoch der mit den normannischen Geschlechtern der Nation eingepflanzte Geist aus Sprache und Sitten nicht mehr verbannt werden; auch in der englischen grünet daher ein eingeimpfter Sprößling der lateinischen Sprache. Schwerlich wäre die britische Nation geworden, was sie vor andern wurde, wenn sie auf ihrem alten Hefen ruhig geblieben wäre; jetzt beunruhigten sie lange die Dänen; Normänner pflanzten sich ihr ein und zogen sie über das Meer hin zu langen Kriegen in Frankreich. Da wurde ihre Gewandtheit geübt: aus überwundenen wurden Überwinder, und endlich kam, nach so mancher Revolution, ein Staatsgebäude zum Vorschein, das aus der angelsächsischen Klosterhaushaltung wahrscheinlich nie entstanden wäre. Ein Edmund oder Edgar hätte dem Papst Hildebrand nicht widerstanden, wie Wilhelm ihm widerstand, und in den Kreuzzügen hätten die englischen mit den französischen Rittern nicht wetteifern mögen, wenn durch die Normänner ihre Nation nicht gleichsam von innen aufgeregt und durch mancherlei Umstände auch gewaltsam wäre gebildet worden. Einimpfungen der Völker zu rechter Zeit scheinen dem Fortgange der Menschheit so unentbehrlich als den Früchten der Erde die Verpflanzung oder dem wilden Baum seine Veredlung. Auf einer und derselben Stelle erstirbt zuletzt das Beste.

 Nicht so lange und glücklich besaßen die Normänner Neapel und Sizilien, deren Erwerb ein wahrer Roman ist von persönlicher Tapferkeit und Abenteurertugend. Auf Wallfahrten nach Jerusalem lernten sie das schöne Land kennen, und vierzig bis hundert Mann legten durch Ritterhülfe gegen Bedrängte den Grund zu allem weitem Besitz. Rainolf wurde der erste Graf zu Aversa, und drei der tapfern Söhne Tankreds, die auch auf gutes Glück hinübergekommen waren, erwarben sich nach vielen Taten gegen die Araber den Ritterdank, daß sie Grafen, nachher Herzöge zu Apulien und Kalabrien wurden. Mehrere Söhne Tankreds, Wilhelm mit dem eisernen Arm, Drogo, Humfried, folgten; Robert Guiscard und Roger entrissen den Arabern Sizilien, und Robert belieh seinen Bruder mit dem erworbnen schönen Königreiche. Roberts Sohn Boëmund fand in Orient sein Glück, und als ihm sein Vater dahin folgte, wurde Roger der erste König beider Sizilien, mit geist- und weltlicher Macht versehen. Unter ihm und seinen Nachfolgern trieben die Wissenschaften an dieser Ecke Europens einige junge Knospen: die Schule zu Salerno hob sich, gleichsam in Mitte der Araber und der Mönche zu Cassino; Rechtsgelehrsamkeit, Arzneikunst und Weltweisheit zeigten nach einem langen Winter in Europa hier wieder Blätter und Zweige. Tapfer hielten sich die normannischen Fürsten in ihrer gefährlichen Nähe am päpstlichen Stuhl; mit zween Heiligen Vätern schlössen sie Frieden, als diese in ihrer Gewalt waren, und übertrafen hiebei an Klugheit und Wachsamkeit die meisten deutschen Kaiser. Schade, daß sie mit diesen sich je verschwägert und ihnen dadurch das Recht zur Folge gegeben hatten, und noch mehr schade, daß die Absichten Friedrichs, des letzten schwäbischen Kaisers, die er in diesen Gegenden auszuführen gedachte, so grausam vereitelt wurden. Beide Königreiche blieben fortan ein wildes Spiel der Nationen, eine Beute fremder Eroberer und Statthalter, am meisten eines Adels, der noch jetzt alle bessere Einrichtung dieser einst so blühenden Länder hindert.

 


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