XX.2. Rittergeist in Europa
2. Was die Araber von Süden anfingen, dazu trugen von Norden aus die Normänner in Frankreich, England und Italien noch mächtiger bei. Als ihr romantischer Charakter, ihre Liebe zu Abenteuern, Heldensagen und Ritterübungen, ihre nordische Hochachtung gegen die Frauen mit dem feineren Rittertum der Araber zusammentraf, so gewann solches damit für Europa Ausbreitung und Haltung. Jetzt kamen die Sagen, die man Romane nennt und deren Grund längst vor den Kreuzzügen da war, mehr in Gang; denn von Jeher hatten alle deutsche Völker das Lob ihrer Helden gepriesen; diese Gesänge und Dichtungen hatten sich auch in den Jahrhunderten der tiefsten Dunkelheit an den Höfen der Großen, ja selbst in Klöstern erhalten; ja, je mehr die echte Geschichte verschwand, desto mehr hatten sich die Köpfe der Menschen zur geistlichen Legende oder zur Romansage geformt. Von den ersten Jahrhunderten des Christentums an findet man daher diese Übung der menschlichen Einbildungskraft mehr als jede andere im Gange, zuerst auf griechisch-afrikanische, mit der Zeit auf nordisch-europäische Weise; Mönche, Bischöfe und Heilige hatten sich ihrer nicht geschämt; ja es mußten Bibel und wahre Geschichte selbst Roman werden, wenn man sie anhören sollte. So entstand der Prozeß Belials mit Christo, so die allegorischen und mystischen Einkleidungen aller Tugenden und Pflichten, so die geistlich-theatralischen Moralitäten und Possenspiele. Bei diesem allgemeinen Geschmack des Zeitalters, der aus Unwissenheit, Aberglauben und einer autgeregten Phantasie entsprang, waren Sagen, und Märchen (contes et fabliaux) die einzige Nahrung des Geistes der Menschen, und dem Ritterstande waren Heldensagen die liebsten. In Frankreich, dem Mittelpunkt dieser Kultur, wählte man natürlicherweise die ihm eigentümlichsten Gegenstände nach beiden Richtungen, die hier zusammentrafen. Der Zug Karls des Großen gegen die Sarazenen, mit allen Abenteuern, die in den Pyrenäen geschehen sein sollten, war die eine Richtung; was sich im Lande der Normänner, in der Bretagne, an alten Sagen von König Artus vorfand, war die andere. In jenen brachte man aus der späteren französischen Verfassung die zwölf Pairs nebst aller Herrlichkeit, die man von Karl und seinen Rittern, samt aller Wildheit, die man von den sarazenischen Heiden zu sagen hatte. Ogier, der Däne, Huon von Bordeaux, die Aimonskinder, viele Sagen der Pilgrimschaften und Kreuzzüge kamen mit in seine Geschichte; allemal aber waren die interessantesten Personen und Begebenheiten aus der limosinischen Gegend, Guienne, Languedoc, Provence und dem Teile von Spanien, wo die provenzalische Dichtkunst blühte. Die zweite Richtung der Sagen, von Artus und seinem Hofe, ging über das Meer hin nach Cornwallis oder vielmehr in ein utopisches Land, in welchem man sich eine eigne Gattung des Wunderbaren erlaubte. Der Spiegel der Ritterschaft wurde in diesen Romanen hell poliert; in den verschiednen Stufen und Charakteren der Mitgenossen an der runden Tafel wurden die Fehler und Tugenden dieses Hofstaats sehr klar gezeichnet, wozu in einer so alten Zeit und unbeschränkten Welt, als die Artusromane zum Gebiet hatten, viel Raum war. Endlich entstand aus beiden eine dritte Gattung der Romane, von welcher keine französische und spanische Provinz ausgeschlossen blieb. Poitou, Champagne, die Normandie, der Ardenner Wald, Flandern, ja Mainz, Kastilien, Algarbien gaben Ritter und Szenen zum Schauplatz her; denn die Unwissenheit des Zeitalters und die Gestalt, in welcher damals die Geschichte des Altertums erschien, erlaubte, ja gebot diese Mischung aller Zeiten und Länder. Troja und Griechenland, Jerusalem und Trapezunt, was man in neuen Gerüchten hörte oder von alten wußte, floß zur Blume der Ritterschaft zusammen, und vor allem wurde die Abstammung von Troja ein Geschlechtsruhm, von welchem alle Reiche und Völker in Europa mit ihren Königen und größesten Rittern überzeugt waren. Mit den Normännern ging das Romanwesen nach England und Sizilien über; beide Gegenden gaben ihm neue Helden und neuen Stoff; nirgend indes ist's so glücklich als in Frankreich gediehen. Durch die Zusammenkunft vieler Ursachen hatte sich Lebensart, Sprache, Poesie, ja gar die Moral und Religion der Menschen diesem Geschmack gleichsam zugebildet.306
Denn wenn wir aus dem Gebiet der Fabel ins Land der Geschichte treten: in welchem Reich Europas hat sich die Blüte der Ritterschaft schöner als in Frankreich gezeigt? Seitdem mit dem Verfall der Karlinger soviel Höfe kleiner Potentaten, der Herzoge, Grafen und Barone, zu Macht und in Glanz kamen, als beinahe Provinzen, Schlösser und Bürge waren, seitdem wurde jedes Residenz- und Ritterschloß auch eine Schule der Ritterehre. Die Lebhaftigkeit der Nation, die Kämpfe, denen sie gegen Araber und Normänner jahrhundertelang ausgesetzt gewesen waren, der Ruhm, den ihre Vorfahren dadurch erlangt, der blühende Wohlstand, zu welchem mehrere Häuser sich aufgeschwungen hatten, ihre Vermischung mit den Normännern selbst, am meisten aber etwas Eignes im Charakter der Nation, das sich von den Galliern an durch ihre ganze Geschichte offenbart, dies alles brachte jene Sprachseligkeit, jene muntere Schnellkraft, leichte Gefälligkeit und glänzende Anmut ins Ritterwesen, die man außer der französischen bei andern Nationen spät, selten oder gar nicht findet.
Wieviel französische Ritter müßten genannt werden, die durch Gesinnungen und Taten, in Kriegs- und Friedenszeiten, die ganze Geschichte hindurch bis unter den Despotismus der Könige hin, sich so tapfer, artig und edel erzeigten, daß ihren Geschlechtern damit ein ewiger Ruhm bleibt! Als der Ruf der Kreuzzüge erschallte, waren französische Ritter die Blume der ganzen Ritterschaft Europas; französische Geschlechter stiegen auf den Thron von Jerusalem und Konstantinopel; die Gesetze des neuen Staats wurden französisch gegeben. Mit Wilhelm dem Eroberer stieg diese Sprache und ihre Kultur auch auf den britischen Thron; beide Nationen wurden Nebenbuhler der Rittertugend, die sie sowohl in Palästina als in Frankreich wetteifernd erwiesen, bis England seinen Nachbarn den eiteln Glanz überließ und sich eine nützlichere, die bürgerliche, Laufbahn wählte. Der Macht des Papstes hat Frankreich zuerst, und zwar auf die leichteste Weise, gleichsam mit Anmut, Trotz geboten; selbst der heilige Ludwig war nichts weniger als ein Sklave des Papstes. England, Deutschland und andere Länder haben tapferere Könige gehabt als Frankreich; aber die Staatsklugheit ist aus Italien zuerst dorthin übergegangen und hat sich, selbst wo sie schändlich war, wenigstens mit Anstand gebärdet. Auch den Instituten für die Gelehrsamkeit, den obrigkeitlichen Würden und Rechtsstühlen hat dieser Geist sich mitgeteilt, anfangs zum Nutzen, nachher zum Schaden. Kein Wunder also, daß die französische Nation die eitelste von Europa worden ist; fast von Entstehung ihrer Monarchie an hat sie Europa vorgeleuchtet und in den wichtigsten Veränderungen den Ton gegeben. Als alle Nationen, wie zu einem großen Karussell, in Palästina zusammentrafen, wurden die deutschen mit den französischen Rittern verbunden, um durch die Verbindung mit diesen ihr deutsches Ungestüm (furor Teutonicus) abzulegen. Auch das neue Kostüm, das auf den Kreuzzügen durch Wappen und andere Unterschiede für ganz Europa entstand, ist größestenteils französischen Ursprungs.
Jetzt sollten wir von den drei oder vier geistlichen Ritterorden reden, die, in Palästina gestiftet, zu soviel Ehre und Reichtum gelangt sind; allein die Heldenund Staatsaktion, auf welcher sie dazu gelangten, mit ihren fünf oder sieben Akten liegt vor uns; also hinan zu ihr.