XX.1. Handelsgeist in Europa

 

 Früher als Venedig gelangte Genua zu großem Handel und eine Zeitlang zur Herrschaft des Mittelländischen Meeres. Es nahm an dem griechischen, nachher an dem arabischen Handel teil, und da ihm daran gelegen war, das Mittelländische Meer sicher zu halten, so hatte es sich nicht nur der Insel Korsika, sondern auch, mit Hülfe einiger christlich-spanischen Fürsten, mehrerer Plätze in Afrika bemächtigt und gebot den Seeräubern Friede. Bei den Kreuzzügen war es sehr wirksam: die Genueser unterstützten die Heere mit ihrer Flotte, halfen bei dem ersten Zuge Antiochien, Tripolis, Cäsarea, Jerusalem miterobern, so daß sie, außer einer rühmlichen Dankschrift über dem Altar in der Kapelle des Heiligen Grabes, mit ausgezeichneten Freiheiten in Palästina und Syrien belohnt wurden. Im Handel mit Ägypten waren sie Nebenbuhler der Venetianer; vorzüglich aber herrschten sie auf dem Schwarzen Meer, wo sie die große Handelsstadt Kaffa, den Versammlungsort der Waren, die aus der Ostwelt den Weg zu Lande genommen hatten, besaßen und in Armenien, ja bis tief in die Tatarei ihre Niederlagen und Handelsverkehr hatten. Lange beschützten sie Kaffa nebst den Inseln des Archipelagus, die sie besaßen, bis die Türken Konstantinopel erobert hatten und ihnen das Schwarze Meer, sodann auch den Archipelagus schlössen. Mit Venedig führten sie lange und blutige Kriege; mehrmals brachten sie diese Republik dem Verderben nahe, und Pisa haben sie gar zugrunde gerichtet; bis endlich es den Venetianern gelang, die genuesische Macht zu Chiozza einzuschließen und den Fall ihrer Größe zu vollenden.

 Amalfi, Pisa und mehrere Städte des festen Landes in Italien nahmen mit Genua und Venedig am morgenländisch- arabischen Handel teil. Florenz machte sich unabhängig und vereinte Fiesole mit sich; Amalfi dorfte in allen Staaten des ägyptischen Kalifen frei handeln; vorzüglich aber waren Amalfi, Pisa und Genua die Seemächte des Mittelländischen Meeres. Die Küsten von Frankreich und Spanien suchten am Handel der Levante auch teilzunehmen, und die Pilger aus beiden Ländern zogen nicht minder des Gewinnes als der Andacht wegen dahin. Dies war die Lage des südlichen Europa gegen die Besitzungen der Araber; den Küsten Italiens insonderheit lagen sie wie ein Garten voll Spezereien, wie ein Feenland voll Reichtümer vor Augen. Die italienischen Städte, die bei den Kreuzzügen mitzogen, suchten nicht den Leichnam des Herren, sondern die Gewürze und Schätze an seinem Grabe. Die Bank zu Tyrus war ihr Gelobtes Land, und was sie irgend vornahmen, lag auf ihrem ordentlichen, seit Jahrhunderten betretenen Handelswege.

 So vergänglich nun das Glück war, das dieser fremde Reichtum seinen Gewinnern bringen konnte, so war er doch zur ersten Blüte der italienischen Kultur vielleicht unentbehrlich. Durch ihn lernte man eine weichere, bequemere Lebensart kennen und konnte sich, statt der groben, wenigstens durch eine feinere Pracht unterscheiden. Die vielen großen Städte Italiens, die an ihre abwesenden schwachen Oberherren jenseit der Alpen nur durch schwache Bande geknüpft waren und alle nach der Unabhängigkeit strebten, gewannen über den rohen Bewohner der Burg oder des Raubschlosses dadurch mehr als eine Übermacht; denn entweder zogen sie ihn durch Bande der Üppigkeit und des vermehrten gemeinschaftlichen Wohllebens in ihre Mauern und machten ihn zum friedlichen Mitbürger, oder sie bekamen durch ihre vermehrte Volksmenge bald Kraft gnug, seine Burg zu zerstören und ihn zu einer friedlichen Nachbarschaft zu zwingen. Der aufkeimende Luxus erweckte Fleiß, nicht nur in Manufakturen und Künsten, sondern auch im Landbau: die Lombardei, Florenz, Bologna, Ferrara, die neapolitanischen und sizilischen Küsten wurden in der Nachbarschaft reicher, großer und fleißiger Städte wohlangebaute, blühende Felder; die Lombardei war ein Garten, als ein großer Teil von Europa noch Weide und Wald war. Denn da diese volkreichen Städte vom Lande ernährt werden mußten und der Landeigentümer bei dem erhöhten Preise der Lebensmittel, die er zuführte, mehr gewinnen konnte, so mußte er es zu gewinnen suchen, wenn er im Gange der neuen Üppigkeit mitleben wollte. So weckte eine Tätigkeit die andere und hielt sie in Übung; notwendig kam mit diesem neuen Lauf der Dinge auch Ordnung, Freiheit des Privateigentums und eine gesetzmäßige Einrichtung mehr empor. Man mußte sparen lernen, damit man vertun könne; die Erfindung der Menschen schärfte sich, indem einer dem andern den Preis abgewinnen wollte; jeder einst sich selbst gelassene Haushälter wurde jetzt gewissermaße selbst Kaufmann. Es war also nichts als Natur der Sache, daß das schöne Italien mit einem Teil des Reichtums der Araber, der durch seine Hände ging, auch zuerst die Blüte einer neuen Kultur zeigte.

 Freilich aber war's nur eine flüchtige Blüte. Der Handel verbreitete sich und nahm einen andern Weg; Republiken verfielen, üppige Städte wurden übermütig und mit sich selbst uneins; das ganze Land wurde mit Parteien erfüllt, unter welchen unternehmende Männer und einzelne mächtige Familien sich hoch emporschwangen. Krieg, Unterdrückung kam hinzu; und da durch Üppigkeit und Künste der Kriegsgeist, ja Redlichkeit und Treue verbannt waren, wurde eine Stadt, ein Gebiet nach dem andern die Beute auswärtiger oder innerlicher Tyrannen; die Austeilerin dieses süßen Giftes, Venedig selbst, konnte sich nur durch die strengsten Maßregeln vor dem Untergange bewahren. Indessen darf jede Triebfeder menschlicher Dinge des Rechts genießen, das ihr gehört. Zum Glück für Europa war diese Üppigkeit damals nichts weniger als allgemein, und sein größester Teil mußte dem baren Gewinn der Lombarden nur dienen; dem entgegen regele sich noch mächtig ein anderer, der Rittergeist, uneigennützig und nur für den Gewinn der Ehre alles unternehmend. Lasst uns sehen, aus welchen Keimen diese Blüte entsprosset sei, was sie genährt und was sie, den Handelsgeist einschränkend, für Früchte getragen habe.

 


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