§ 46. Die Stoa der Kaiserzeit.
Religiöse Färbung der Ethik.
In den beiden ersten Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit gehörte es fast zum guten Ton unter den gebildeten Römern, etwas Philosophie zu treiben. Kaiser Augustus, der selbst »Ermahnungen zur Philosophie« verfaßte, begünstigte dies Streben, und die Männer des ihn umgebenden literarischen Kreises (Horaz, Vergil, Livius) waren mehr oder weniger philosophisch gebildet (vgl. § 45, 1). Ebenso die Reformkaiser des 2. Jahrhunderts: Trajan, Hadrian, Antoninus Pius, Mark Aurel. Die Mehrzahl der vornehmen Römer, meint freilich Tacitus, trieben die Philosophie nur, »um durch einen schön klingenden Namen die Trägheit ihres Müßiggangs zu verhüllen«, wie denn selbst Frauen damit kokettierten. Vielfach war es geradezu Sitte geworden, sich einen Philosophen zu halten oder solche wenigstens zu großen Gesellschaften einzuladen, um mit ihnen zu disputieren oder auch sich an ihrem Wortstreit zu ergötzen (so z.B. Nero). Manche dieser schönredenden »Philosophen«, die durch langen Bart und schäbigen Mantel den zynischen Weltweisen zu kopieren suchten, brachten durch ihre servile Aufdringlichkeit oder gar sittliche Verworfenheit die Philosophie überhaupt in Mißkredit. Neben solchen verächtlichen Elementen gab es jedoch auch noch mannhafte Naturen von altrömischer Sinnesweise, die der greuelvolle Despotismus eines Caligula, Nero u. a. nicht zu beugen vermochte, vielmehr zu unerschrockener Opposition antrieb, ja ihr Leben für ihre Überzeugung opfern ließ. Und es ist nicht der geringste Ruhm der Stoa, dass gerade ihre Lehre es war, die charaktervollen und freiheitsliebenden Männern, wie Pätus Thrasea und Helvidius Priskus, den inneren Halt und den Mut ihres Handelns gab. Doch eine Geschichte der Philosophie hat sich nicht mit diesen Stoikern der Tat zu beschäftigen. Auch die stoisch gesinnten Dichter Persius und Lukan müssen wir übergehen. Wir heben von den philosophischen Vertretern der jüngeren Stoa im folgenden nur die bedeutendsten und eigenartigsten hervor: Seneka, Musonius Rufus, Epiktet und Mark Aurel.
Literatur: Über die allgemeinen Zustände vgl. L. Friedländer, Sittengeschichte Roms, Bd. III, bes. S. 659-734 (Die Philosophie als Erzieherin zur Sittlichkeit).
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