2. Eklektiker


Auch die peripatetische Schule fand vereinzelte Anhänger, wie M. Piso und den bekannten Triumvirn Crassus. Aber nach Lage der Dinge fand am meisten Verbreitung diejenige Richtung, die sich das ihr Zusagende aus den verschiedenen Systemen heraussuchte: die eklektische. Hatte sich schon in den griechischen Philosophenschulen selbst allmählich eine starke Neigung zur Verschmelzung, Vermittlung und Vermischung geltend gemacht (vgl. § 43 und § 44), so geschah dies in noch stärkerem Maße durch die Römer, denen die Philosophie ja fast durchweg nicht Selbstzweck, sondern nur Zeichen allgemeiner Bildung und allenfalls Mittel sittlicher Klärung war. Der Typus dieser Eklektiker ist

a) Cicero. Der früheren Überschätzung Ciceros traten Mommsen und Drumann in ihren Geschichtswerken im allgemeinen vielleicht zu schroff entgegen, sodass die in neuerer Zeit dagegen eingetretene Reaktion (vgl. Zielinski, Cicero im Wandel der Jahrhunderte, Leipzig, 2. Aufl. 1908) eine gewisse Berechtigung hat. In bezug auf die philosophischen Leistungen dagegen hat Mommsens scharfes Urteil unseren Beifall. Von der zahlreichen Literatur erwähnen wir nur das Hauptwerk: R. Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philosophischen Schriften, 3 Bde., Berlin 1877-83.

M. Tullius Cicero (106-43) hatte als junger Studiosus zu Athen und Rhodus, wesentlich zum Zwecke seiner rednerischen Ausbildung, die Epikureer Phädrus und Zeno, die Stoiker Diodotus und Posidonius, die Akademiker Philo und Antiochus gehört, kehrte aber erst in den letzten drei Jahren seines Lebens, durch den Umschwung der politischen Verhältnisse zu unfreiwilliger Muße verurteilt, zu den philosophischen Studien seiner Jugend zurück. In diesem kurzen Zeitraum schrieb er eine Menge von philosophischen Büchern zusammen: ein erkenntnistheoretisches (die Academica), alle übrigen ethische (De finibus bonorum et malorum, Tusculanae disputationes. De officiis und einige kleinere, wie Laelius und Cato maior) oder theologische (De natura deorum, De divinatione, De fato). Eine Aufforderung zum philosophischen Studium enthält der früh geschriebene Hortensius; die rein rhetorischen und politischen Schriften übergehen wir. Über die Art seiner philosophischen Schriftstellerei gibt eine sehr offenherzige Äußerung an Attikus (Epist. ad Att. XII, 52) genügenden Aufschluß: »Es sind Abschriften, die mit ziemlich geringer Muhe zustande kommen; ich tue nur die Worte hinzu, die ich im Überfluß besitze.« In der Tat hat denn auch der Philologenfleiß des 19. Jahrhunderts zu fast allen diesen Schriften die griechischen Vorbilder aufgedeckt (siehe die Hauptergebnisse bei Ueberweg I, § 66). Cicero kommt in der Tat nur das Verdienst zu, wenn man es als ein solches betrachten will, seine Landsleute (und mittelbar auch uns) mit den Epigonen der griechischen Philosophie in geschmackvoller, aber auch recht oberflächlicher, häufig irreführender Darstellung zuerst bekannt gemacht zu haben. Plato und Aristoteles kennt er nur höchst ungenügend, schwierige Probleme läßt er am liebsten beiseite, scharfe und genaue Begriffsbestimmungen sind ihm zuwider. In der Erkenntnistheorie schließt er sich der seiner Denkart gemäßen Wahrscheinlichkeitslehre der mittleren und neueren Akademie als der »bescheidensten, folgerichtigsten und elegantesten Art zu philosophieren« an. Für die Physik interessiert er sich nur, insoweit sie mit dem Gottesglauben in Beziehung steht. Auf seinem Lieblingsfelde, der populären Ethik, begnügt er sich jedoch nicht mit der akademischen Wahrscheinlichkeitslehre, sondern neigt mehr den Stoikern zu, auf deren »angeborene Begriffe« und den »consensus gentium« als Beweismittel sich stützend. Doch schwankt er auch hier vielfach zu den gleichfalls benutzten Akademikern und Peripatetikern hinüber; nur die Epikureer werden verworfen. Das wichtigste sittliche Problem ist ihm, wie der ganzen nachklassischen Philosophie, das Verhältnis der Tugend und des Sittlich-Guten (lateinisch honestum: des Ehrenhaften) zur Glückseligkeit, nächstdem das der Willensfreiheit, während er auf religiösem Gebiete die göttliche Vorsehung und die Unsterblichkeit der Seele mit warmen Worten verteidigt. Von ernster Methode kann bei Ciceros philosophischem Dilettantismus keine Rede sein. Ein formales Verdienst aber ist ihm, außer der leicht faßlichen Behandlung, jedenfalls zuzuerkennen: dass er der Schöpfer der philosophischen Terminologie für die Römer gewesen ist. Dadurch ist er der nächst Aristoteles wichtigste philosophische Lehrer des Mittelalters geworden.

b) Varro. Ciceros Freund, der gelehrte Polyhistor und Vielschreiber M. Terentius Varro (116-27 v. Chr), war ein literarisches Original, aber philosophisch herzlich unbedeutend. Die Beschäftigung mit theoretischen Philosophemen als völlig eitel verspottend, sah er die Beglückung des Menschen als den einzigen Zweck des Philosophierens an. Von ganz äußerlichen Gesichtspunkten aus unterschied er nicht weniger als 288 philosophische Richtungen! In der Ethik schloß er sich im ganzen seinem Lehrer Antiochus (§ 43) an, neben den akademischen auch stoische und einzelne pythagoreische Lehren heranziehend. Gleich Cicero huldigte er der Lehre von der dreifachen Religion (s. Panätius). Seine »menippischen Satiren«, so genannt nach dem im 3. Jahrhundert lebenden Zyniker Menippos, verspotteten mit zynischer Derbheit die moderne Überkultur. - M. Brutus (der Verschworene) wird als Stoiker in der Ethik, sonst Akademiker bezeichnet.

c) Kurze Zeit blühte um den Anfang der christlichen Zeitrechnung zu Rom die Schule der Sextier, deren bedeutendste Glieder Q. Sextius Vater und Sohn und der griechisch schreibende Alexandriner Sotion, Senekas Lehrer, waren. Das Ansehen der Sextier beruhte wohl mehr auf ihrem würdevollen, von sittlichem Ernste erfüllten Auftreten als auf der Eigenart ihrer Lehre, die der stoischen nahe stand, in Sotion auch altpythagoreische Elemente (tägliche Selbstprüfung, Seelenwanderung, Enthaltung von Tiernahrung) in sich aufnahm. Auch das Urchristentum knüpfte an sie an. Mehrere, aus der Zeit vor 200 n. Chr. stammende, christliche Überarbeitungen von »Sinnsprüchen des Sextus« in griechischer, lateinischer und syrischer Sprache sind vorhanden.


 © textlog.de 2004 • 22.11.2024 02:53:53 •
Seite zuletzt aktualisiert: 29.10.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright