II. [Zweiter Gegengrund: die unbegrenzte Vermehrbarkeit der Geldzeichen; die relativistische Gleichgültigkeit gegen die absolute Höhe des Geldquantums und ihre Irrungen]
Nach alledem scheint es freilich, als wären die Unzuträglichkeiten einer durch nichts begrenzten Geldvermehrung nicht eigentlich ihr selbst, sondern nur der Art ihrer Verteilung zuzuschreiben. Nur weil das aus dem Nichts geschaffene Geld sich zunächst in einer Hand befindet und sich von da aus in ungleichmäßiger und unzweckmäßiger Weise verbreitet, entstehen Jene Erschütterungen, Hypertrophien und Stockungen; sie scheinen vermeidlich, wenn man einen Modus fände, der die Geldmassen entweder gleichmäßig oder nach einem bestimmten Gerechtigkeitsprinzip zur Verteilung brächte. So ist behauptet worden, daß, wenn plötzlich jeder Engländer in seiner Tasche das Geld verdoppelt fände, dadurch zwar eine entsprechende Erhöhung aller Preise eintreten, dieselbe aber niemandem einen Vorteil bringen würde; der ganze Unterschied wäre, daß man die Pfunde, Schillinge und Pence in höheren Ziffern zu rechnen hätte. Damit würde nicht nur der Einwand gegen das Zeichengeld fortfallen, sondern nun würde der Vorteil der Geldvermehrung hervortreten, der sich auf die empirische Tatsache gründe, daß mehr Geld immer auch mehr Verkehr, Behagen, Macht und Kultur bedeutet habe.
So wenig nun die Erörterung dieser, auf ganz unrealisierbaren Voraussetzungen ruhenden Konstruktionen um ihrer selbst willen lohnt, so führt sie doch über die Erkenntnis realer Verhältnisse, die es bewirken, daß die allmähliche Auflösung des Substanzwertes des Geldes niemals ihren Endpunkt völlig erreichen kann. - Nehmen wir jenen idealen Zustand als gegeben an, in dem die Vermehrung des Geldes wirklich die gleichmäßige Erhöhung jedes individuellen Besitzes bewirkt habe, so widerspricht die eine Folgerung: daß alles beim alten bleibt, da alle Preise gleichmäßig in die Höhe gingen - der anderen, die der Vermehrung des Geldes eine Belebung und Erhöhung des gesamten Verkehrs zuschreibt. Denn die Vorstellung liegt zwar verlockend nahe: die Verhältnisse der Individuen untereinander, d.h. die soziale Position eines jeden zwischen dem darüber und dem darunter Stehenden würden in diesem Falle ungeändert bleiben; dagegen die objektiven Kulturgüter würden in lebhafterer, intensiverer und extensiverer Weise produziert werden, so daß schließlich die Lebensinhalte und -genüsse jedes Einzelnen, absolut genommen, mit dem sozialen Gesamtniveau gestiegen wären, ohne daß sich in den Reichtums- oder Armutsverhältnissen ebendesselben, die sich nur durch seine Relation zu anderen bestimmen, etwas geändert hätte. Man könnte darauf hinweisen, daß die moderne geldwirtschaftliche Kultur schon jetzt eine Reihe von Gütern - öffentliche Einrichtungen, Bildungsmöglichkeiten, Unterhaltsmittel usw. dem Armen zugängig gemacht hat, die früher sogar der Reiche entbehren mußte, ohne daß dadurch die relative Stellung beider zugunsten des ersteren verschoben wäre. Diese Möglichkeit: daß die proportional ausgeteilte Geldvermehrung die objektive Kultur, also auch den Kulturinhalt des einzelnen Lebens, absolut genommen, vermehre, während die Verhältnisse der Individuen untereinander ungeändert bleiben - ist an sich gewiß der Erörterung wert. Sieht man aber genau zu, so ist jener sachliche Erfolg doch gar nicht anders zu realisieren, als daß die Geldvermehrung - wenigstens zunächst - vermittels einer ungleichmäßigen Verteilung wirkt. Das Geld, ein ausschließlich soziologisches, in Beschränkung auf ein Individuum ganz sinnloses Gebilde, kann irgendeine Veränderung gegen einen gegebenen Status nur als Veränderung der Verhältnisse der Individuen untereinander bewirken. Die gesteigerte Lebhaftigkeit und Intensität des Verkehrs, die einer Geldplethora folgt, geht darauf zurück, daß mit ihr die Sehnsucht der Individuen nach mehr Geld gesteigert wird. Der Wunsch, von dem Geld der anderen möglichst viel in die eigene Tasche zu leiten, ist zwar ein chronischer, er wird aber offenbar nur dann akut genug, um den Einzelnen zu besonderer Kraftanspannung und Emsigkeit zu führen, wenn diesem sein Minderbesitz anderen gegenüber besonders scharf und dringend ins Bewußtsein tritt; in welchem Sinne man sagt: les affaires - c'est l'argent des autres. Wenn die Voraussetzung jener Theorie einträte: daß die Vermehrung des Geldquantums die Relationen der Menschen zueinander und der Warenpreise zueinander völlig ungeändert ließe, so würde es zu solcher Anstachelung der Arbeitsenergien nicht kommen. Auch wird jene zauberhafte Verdoppelung der Geldquanten nur dann keine Veränderung der Relationen mit sich bringen, wenn sie nicht auf eine bestellende Verschiedenheit der Besitze trifft. Denn die Verdoppelung z.B. dreier Einkommen von 1000, 10000 und 100000 Mark verschiebt auch das Verhältnis ihrer Besitzer gegen den vorigen Stand sehr erheblich, da für die zweiten 1000 usw. Mark doch nicht bloß das Doppelte der für die ersten 1000 usw. Mark beschafften Dinge gekauft wird. Es würde vielmehr auf der einen Seite etwa nur zu einer Verbesserung der Nahrung, auf der zweiten zu einer Verfeinerung der ästhetischen Kultur, auf der dritten zu größeren Spekulationswagnissen kommen. Unter der Voraussetzung vorangängiger absoluter Gleichheit würden allerdings die subjektiven Niveaus ungeändert bleiben, aber auch das objektive - während anderenfalls dieses letztere in unberechenbarer Weise alteriert würde und jedenfalls jenen gerühmten Aufschwung nur dann zeigen würde, wenn die Unterschiede im Besitz der Einzelnen entschiedener als vorher bestehen oder empfunden werden.