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I. [Ursprüngliche Erfordertheit wertvollen Geldes]

 

Die ganze bisherige Deduktion berührte in keiner Weise die Frage, ob das Geld in Wirklichkeit ein Wert ist oder nicht; sondern nur, daß seine Funktion, Werte zu messen, ihm den Charakter eines Eigenwertes nicht aufzwingt, galt es zu beweisen. Aber diese bloße Möglichkeit macht doch den Weg für die Erkenntnis nicht nur seines wirklichen Entwicklungsganges, sondern vor allem seines innerlichen Wesens frei. - Auf den primitiven Wirtschaftsstufen treten allenthalben Gebrauchswerte als Geld auf: Vieh, Salz, Sklaven, Tabak, Felle usw. Auf welche Weise sich das Geld auch entwickelt habe, am Anfang muß es jedenfalls ein Wert gewesen sein, der unmittelbar als solcher empfunden wurde. Daß man die wertvollsten Dinge gegen einen bedruckten Zettel fortgibt, ist erst bei einer sehr großen Ausdehnung und Zuverlässigkeit der Zweckreihen möglich, die es sicher macht, daß das unmittelbar Wertlose uns weiterhin zu Werten verhilft. So kann man logische Schlußreihen, die auf durchaus bündige Schlußsätze führen, durch an sich unmögliche oder widerspruchsvolle Glieder hindurchleiten - aber doch nur, wenn das Denken seiner Richtung und Richtigkeit ganz sicher ist; ein primitives, noch schwankendes Denken würde an einem solchen Punkte sofort seine Direktion und sein Ziel verlieren und muß deshalb seine Funktionen an Sätzen ausüben, von denen jeder für sich möglichst konkret und von greifbarer Richtigkeit ist - freilich um den Preis der Beweglichkeit des Denkens und der Weite seiner Ziele. Entsprechend steigert die Durchführung der Wertreihen durch das Wertlose ihre Ausdehnung und Zweckmäßigkeit ganz außerordentlich, kann sich aber erst bei einer gewachsenen Intellektualität der Einzelnen und stetigen Organisation der Gruppe verwirklichen. Niemand wird so töricht sein, einen Wert gegen etwas wegzugeben, was er unmittelbar überhaupt nicht verwenden kann, wenn er nicht sicher ist, dieses Etwas mittelbar wieder in Werte umsetzen zu können. Es ist also nicht anders denkbar, als daß der Tausch ursprünglich ein Naturaltausch, d.h. ein zwischen unmittelbaren Werten erfolgender gewesen ist. Man nimmt an, daß Objekte, welche gerade wegen ihrer allgemeinen Erwünschtheit besonders häufig eingetauscht wurden und kursierten, also besonders häufig mit anderen Gegenständen dem Werte nach gemessen wurden, psychologisch am ehesten zu allgemeinen Wertmaßen auswachsen konnten. In scheinbar entschiedenem Gegensatz gegen das eben gewonnene Resultat, nach dem das Geld an und für sich kein Wert zu sein braucht, sehen wir hier, daß zunächst gerade das Notwendigste und Wertvollste dazu neigt, zum Geld zu werden. Das Notwendigste verstehe ich hier keineswegs im physiologischen Sinn; vielmehr kann z.B. das Schmuckbedürfnis die herrschende Rolle unter den empfundenen »Notwendigkeiten« spielen; wie wir denn auch tatsächlich von Naturvölkern hören, daß der Schmuck ihres Körpers, bzw. die dazu verwendeten Gegenstände, ihnen wertvoller ist als alle die Dinge, die wir uns als viel dringlicher notwendig vorstellen. Da die Notwendigkeit der Dinge für uns Immer nur ein Akzent ist, den unser Gefühl ihren an sich ganz gleichberechtigten - richtiger: an sich überhaupt nicht »berechtigten« - Inhalten erteilt, und der ausschließlich von den Zwecken abhängt, die wir uns setzen - so ist von vornherein in keiner Weise auszumachen, welches denn nun jene unmittelbar dringlichen und den Geldcharakter anzunehmen geneigten Werte eigentlich sind; nur daß sich der letztere ursprünglich an solche geknüpft hat, die durch ihre empfundene Notwendigkeit eine besondere Häufigkeit des Austausches gegen die Mannigfaltigkeit anderer Dinge aufwiesen, scheint mir eine unumgängliche Annahme. Weder als Tauschmittel noch als Wertmesser hätte es entstehen können, wenn es nicht seinem Stoffe nach als unmittelbar wertvoll empfunden worden wäre.

Vergleichen wir damit den jetzigen Zustand, so ist unzweifelhaft, daß das Geld für uns nicht mehr deshalb wertvoll ist, weil sein Stoff als unmittelbar notwendig, als ein unentbehrlicher Wert vorgestellt würde. Kein Mensch europäischer Kultur findet heute ein Geldstück wertvoll, weil sich ein Schmuckgegenstand daraus herstellen ließe. Und schon deshalb kann der heutige Geldwert nicht auf seinen Metallwert zurückgehen, weil das Edelmetall jetzt in viel zu großen Quantitäten vorhanden ist, um bloß zu Schmuck- und technischen Zwecken noch lohnende Verwendung zu finden. Denkt man sich, wie es in der Konsequenz der Metallwerttheorie liegt, einen solchen Übergang als vollzogen, so würde dies eine derartige Plethora von Gegenständen aus Edelmetall erzeugen, daß der Wert derselben auf ein Minimum sinken müßte. Daß man das Geld also auf seine mögliche Umsetzung in sonstige Metallobjekte wertet, ist gerade nur unter der Bedingung möglich, daß diese Umsetzung nicht oder nur in ganz verschwindendem Maße erfolge. So sehr also auch am Anfang der Entwicklung, d.h. bei einem sehr geringen Bestande von Edelmetallen, ihre Verwendung als Schmuck ihren Geldwert bestimmt haben möge, so verschwindet diese Beziehung doch in dem Maße ihrer gesteigerten Produktion. Diese Entwicklung wird noch dadurch unterstützt, daß der primitive Mensch, wie ich hervorhob, es zwar für eine vitale Notwendigkeit hält, sich in einer bestimmten Weise zu schmücken, daß aber die spätere Ausbildung der Wertskalen dieses Interesse tatsächlich in die Kategorie des »Entbehrlichen« oder »Überflüssigen« einreiht. Der Schmuck spielt im modernen Kulturleben absolut nicht mehr die soziale Rolle, die wir mit Staunen, in den ethnologischen, aber auch noch in mittelalterlichen Berichten finden. Auch dieser Umstand muß dazu dienen, die Bedeutung des Geldes, die es seinem Material verdankt, herabzudrücken. Man kann sagen, daß der Wert des Geldes immer mehr von seinem terminus a quo auf seinen terminus ad quem übergeht, und daß so das Metallgeld, in bezug auf die psychologische Vergleichgültigung seines Materialwertes, mit dem Papiergeld auf einer Stufe steht. Man darf die materiale Wertlosigkeit dieses letzteren nicht deshalb als irrelevant erklären, weil es nur eine Anweisung auf Metall wäre. Dagegen spricht schon die Tatsache, daß selbst ein völlig ungedecktes Papiergeld doch immer als Geld gewertet wird. Denn wenn man auch auf den politischen Zwang hinweisen wollte, der allein solchem Papiergeld seinen Kurs verschaffte, so heißt das ja gerade, daß andere Gründe als der der unmittelbaren und materialen Verwertung einem bestimmten Stoff den Geldwert verleihen können und jetzt tatsächlich verleihen. Der steigende Ersatz des baren Metallgeldes durch Papiergeld und die mannigfaltigen Formen des Kredits wirken unvermeidlich auf den Charakter jenes selbst zurück - ungefähr wie im Persönlichen jemand, der sich fortwährend durch andere vertreten läßt, schließlich keine andere Schätzung erfährt, als die seinen Vertretern gebührende. Zu je ausgedehnteren und mannigfaltigeren Diensten das Geld berufen ist und je schneller das einzelne Quantum zirkuliert, desto mehr muß sein Funktionswert über seinen Substanzwert hinauswachsen. Der modern entwickelte Verkehr strebt offenbar dahin, das Geld als substanziellen Wertträger mehr und mehr auszuschalten, und er muß dahin streben, weil auch die gesteigertste Edelmetallproduktion nicht ausreichen wurde, alle Umsätze in bar zu begleichen. Der Giroverkehr einerseits, der internationale Wechselversand andrerseits sind nur hervortretende Punkte dieser allgemeinen Tendenz, deren schon frühe und charakteristische Erscheinungen der letzte Abschnitt dieses Kapitels behandeln wird.

 


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