II. [Die unvollendbare Entwicklung des Geldes von seiner substanziellen zur relativistischen Bedeutung als Fall eines allgemeinen Verhaltens; die Wirklichkeit als gegenseitige Einschränkung reiner Begriffe]
Man könnte diese Erörterungen so zusammenfassen: das Geld erfüllt seine Dienste am besten, wenn es nicht bloß Geld ist, d.h. nicht bloß die Wertseite der Dinge in reiner Abstraktion darstellt. Denn daß die Edelmetalle zum Schmuck und zu technischen Zwecken verwendbar sind, ist zwar auch wertvoll, aber doch als primäre Tatsache von der sekundären: daß sie infolge jener wertvoll sind - durchaus begrifflich zu unterscheiden; während das Geld an seinem Wertsein seine erste und einzige Bestimmung hat. Aber eben die Realisierung dieses begrifflich Geforderten, der Übergang der Geldfunktion an ein reines Zeichengeld, ihre völlige Lösung von jedem, die Geldquantität einschränkenden Substanzwert ist technisch untunlich - während doch der Fortschritt der Entwicklung so erfolgt, als ob sie an diesem Punkte münden sollte. Das ist so wenig ein Widerspruch, daß vielmehr eine unübersehbare Anzahl von Entwicklungen nach demselben Schema vor sich gehen: sie nähern sich einem bestimmten Zielpunkte, werden durch denselben unzweideutig in ihrer Richtung bestimmt - würden aber bei wirklicher Erreichung desselben gerade die Qualitäten einbüßen, die sie durch das Streben zu ihm erhalten haben. Eine eminent geldwirtschaftliche Erscheinung mag das zunächst beleuchten, die zugleich an individuellen Verhältnissen eine Analogie für die Folgen unbegrenzter Geldvermehrung beibringt. Das Streben des Einzelnen, immer mehr Geld zu verdienen, ist von der größten sozial- ökonomischen Bedeutung. Indem der Börsenkaufmann möglichst große Gewinne zu machen sucht, schafft er die Lebhaftigkeit des Verkehrs, die gegenseitige Deckung von Angebot und Nachfrage, die Einbeziehung vieler sonst steriler Werte in den ökonomischen Kreislauf. Allein die Realisierung sehr hoher Börsengewinne ist in der Regel nur bei unmäßigem Schwanken der Kurse und Überwiegen des rein spekulativen Elementes zu erzielen. Durch dieses aber wird Produktion und Konsumtion der Waren, auf denen doch das soziale Interesse letzter Instanz beruht, teils hypertrophisch angeregt, teils vernachlässigt, jedenfalls aus derjenigen Entwicklung herausgedrängt, die den eigenen inneren Bedingungen und den realen Bedürfnissen entspricht. Hier ist es also das ganz spezifische Wesen des Geldes, auf dem sich die Divergenz des individuellen vom sozialen Interesse aufbaut, nachdem beide bis zu einem bestimmten Punkte zusammengegangen sind. Nur indem sich der Wert der Dinge von den Dingen selbst gelöst und eine Eigenexistenz an einem besonderen Substrat gewonnen hat, kann dieses Interessen, Bewegungen und Normen an sich ausbilden, die sich gelegentlich denen der damit symbolisierten Objekte ganz entgegengesetzt verhalten. Das privatwirtschaftliche Bestreben, das sich an das Geld knüpft, kann das sozialwirtschaftliche, schließlich an die zu produzierenden und zu konsumierenden Güter gebundene, so lange fördern, wie es sozusagen bloß Bestreben bleibt - während die schließliche Erreichtheit seines Zweckes die des sozialen unterbinden kann. - Am häufigsten und entschiedensten wird sich dieser Typus an Fällen verwirklichen, wo Impulse des Gefühls ein absolutes Ziel erstreben, ohne sich darüber klar zu sein, daß sich alle erhoffte Befriedigung nur an die relative Annäherung an dieses knüpft, um bei restloser Erreichung vielleicht sogar in ihr Gegenteil umzuschlagen. Ich erinnere an die Liebe, die durch den Wunsch nach innigster und dauernder Vereinigung ihren Inhalt und ihre Färbung erhält, um nur allzuoft, wenn jene erreicht ist, dieses beides zu verlieren; an politische Ideale, die dem Leben ganzer Generationen seine Kraft, seinen geistig-sittlichen Schwung verleihen, aber nach ihrer Realisierung durch diese Bewegungen durchaus keinen idealen Zustand, sondern einen solchen von Erstarrung, Philistrosität und praktischem Materialismus hervorrufen; an die Sehnsucht nach Ruhe und Ungestörtheit des Lebens, die seinen Mühen und Arbeiten das Ziel gibt, um gerade, nachdem sie gewonnen ist, so oft in innere Leere und Unbefriedigung auszugehen. Ja, es ist schon eine Trivialität geworden, daß selbst das Glücksgefühl, obgleich ein absolutes Ziel unserer Bestrebungen, doch zu bloßer Langeweile werden müßte, wenn es wirklich als ewige Seligkeit realisiert würde; obgleich also unser Wille nur so verläuft, als ober an diesem Zustand münden sollte, so würde derselbe als erreichter ihn selbst dementieren und erst der Zusatz seines geflohenen Gegensatzes, des Leidens, kann ihm seinen Sinn erhalten. Näher kann man diesen Entwicklungstypus so beschreiben: Die zweckmäßige Wirksamkeit bestimmter, vielleicht aller Elemente des Lebens ist davon abhängig, daß neben ihnen entgegengesetzt gerichtete bestehen. Die Proportion, in der ein jedes und sein Gegenteil geeignet zusammenwirken, ist natürlich eine veränderliche, und zwar manchmal in dem Sinne veränderlich, daß das eine Element stetig zunimmt, das andere stetig abnimmt; die Richtung der Entwicklung ist also eine solche, als ob sie auf völlige Verdrängung des einen durch das andere hinzielte. Allein in dem Augenblick, in dem dies einträte und jeder Beisatz des zweiten Elementes völlig verschwände, wäre auch die Wirksamkeit und der Sinn des ersteren lahmgelegt. Das tritt etwa bei dem Gegensatz der individualistischen und der sozialistischen Gesellschaftstendenz ein. Es gibt historische Epochen, in denen z.B. die letztere die Entwicklung der Zustände beherrscht, und zwar nicht nur in Wirklichkeit, sondern auch als Folge idealer Gesinnungen und als Ausdruck einer fortschreitenden, der Vollkommenheit sich nähernden Gesellschaftsverfassung. Wenn nun aber die Parteipolitik einer solchen Zeit schließt: da jeder Fortschritt jetzt auf einem Anwachsen des sozialistischen Elementes beruht, so wird das vollkommenste Herrschen desselben der fortgeschrittenste und ideale Zustand sein - so übersieht sie, daß jener ganze Erfolg von Maßregeln sozialistischer Tendenz daran gebunden ist, daß sie in eine im übrigen noch individualistische Wirtschaftsordnung hineingebracht werden. Alle durch ihre relative Zunahme bedingten Fortschritte gestatten gar nicht den Schluß, daß ihr absolutes Sich-Durchsetzen einen weiteren Fortschritt darstellen würde. Ganz entsprechend geht es in den Perioden des steigenden Individualismus. Die Bedeutung der von ihm geleiteten Maßregeln ist daran gebunden, daß noch immer Institutionen zentralistischen und sozialisierenden Charakters vorhanden sind, die zwar mehr und mehr herabgedrückt werden können, deren völliges Verschwinden aber auch jene zu sehr unerwarteten und von ihren bisherigen sehr verschiedenen Erfolgen führen würde. Ähnlich verhält es sich in den künstlerischen Entwicklungen mit den naturalistischen und den stilisierenden Bestrebungen. Jeder gegebene Moment der Kunstentwicklung ist eine Mischung aus bloßer Abspiegelung der Wirklichkeit und subjektiver Umbildung derselben. Nun mag, vom Standpunkt des Realismus aus, die Kunst durch fortwährendes Wachsen des objektiven Elementes sich immer vollkommener entwickeln. Allein in dem Augenblick, wo dies den alleinigen Inhalt des Kunstwerkes bildete, würde das bis dahin immer gesteigerte Interesse plötzlich in Gleichgültigkeit umschlagen, weil das Kunstwerk dann sich von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden und die Bedeutung seiner Sonderexistenz einbüßen würde. Andrerseits muß die Steigerung des verallgemeinernden und idealisierenden Momentes, so sehr es eine Zeitlang die Kunst veredeln mag, an einen Punkt kommen, wo die Ausscheidung jeder individualistischen Zufälligkeit ihr die Beziehung zur Wirklichkeit überhaupt nehmen muß, die jene idealistische Bewegung gerade in immer reinerer und vollkommenerer Form darstellen sollte. Kurz, eine Reihe der wichtigsten Entwicklungen vollziehen sich nach dem Schema: daß das immer steigende Übergewicht eines Elementes eilten gewissen Erfolg immer steigert, ohne daß doch die absolute Herrschaft jenes und völlige Eliminierung des entgegengesetzten diesen Erfolg nun auch auf seine absolute Höhe höbe; umgekehrt würde jene ihn sogar seines bisher inne gehaltenen Charakters berauben. - Nach solchen Analogien mag sich das Verhältnis zwischen dem substanziellen Eigenwert des Geldes und seinem bloß funktionellen und symbolischen Wesen entwickeln: immer mehr ersetzt das zweite den ersteren, während irgendein Maß dieses ersteren noch immer vorhanden sein muß, weil bei absoluter Vollendung dieser Entwicklung auch der Funktions- und Symbolcharakter des Geldes seinen Halt und seine zweckmäßige Bedeutung einbüßen würde.