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Abteilung X.
 
Über die Wunder.
Abschnitt II.

 

     Hängt aber das Wunder mit irgend einem neuen Religionssystem zusammen, so sind die Menschen zu allen Zeiten durch lächerliche Geschichten der Art so sehr betrogen worden, dass dieser Umstand allein die Täuschung beweisen, und dies für alle vernünftigen Leute genügen würde, um nicht allein die Tatsache zu verwerfen, sondern es selbst ohne weitere Prüfung zu tun. Sollte auch das Wesen, dem das Wunder zugeschrieben wird, in solchem Falle allmächtig sein, so wird letzteres deshalb doch nicht um ein Haarbreit wahrscheinlicher; da es für uns unmöglich ist, die Eigenschaften und Handlungen eines solchen Wesens anders, als aus der Erfahrung kennen zu lernen, die wir aus deren Äußerungen in dem gewöhnlichen Laufe der Natur entnehmen. Dies nötigt zur Vergleichung früherer Beobachtungen und Fälle, wo menschliches Zeugnis die Wahrheit verletzt hat, mit solchen, wo die Naturgesetze durch Wunder verletzt worden sind, um zu entscheiden, welches von beiden wahrscheinlicher ist. Da nun bei religiösen Wundern die Verletzung der Wahrheit durch Zeugnis gewöhnlicher ist als bei andern Gelegenheiten, so muss das die Glaubwürdigkeit jener sehr vermindern und zu dem allgemeinen Entschluss führen, ihm niemals Aufmerksamkeit zu zollen, sei es auch noch so sehr mit scheinbaren Vorwänden ausgestattet.

     Lord Bacon scheint denselben Grundsatz angenommen zu haben. »Man sollte,« sagt er, »eine Sammlung oder besondere Geschichte machen von allen Ungeheuern und wunderbaren Geburten oder Erzeugnissen, kurz, von allem Neuen, Seltenen und Außerordentlichen in der Natur. Dies müsste aber mit der größten Sorgfalt geschehen, damit man sich nicht von der Wahrheit entferne. Vor Allem muss jede Erzählung als verdächtig gelten, welche in irgend einer Weise mit der Religion zusammenhängt, wie die Wunder bei Livius und nicht minder von Allem in den Schriften über natürliche Magie oder Alchemie, und bei solchen Schriftstellern, welche ein unüberwindliches Verlangen nach Unwahrheit und Fabeln verraten.« (Novum Organon. Buch II. Satz 29.) Diese Auffassung gefällt mir um so besser, als sie vielleicht jene gefährlichen Freunde und verkappten Feinde der christlichen Religion verwirren hilft, welche ihre Verteidigung mit Grundsätzen der Vernunft versucht haben. Unsere allerheiligste Religion stützt sich auf den Glauben und nicht auf die Vernunft, und es heißt sicherlich sie gefährden, wenn man sie auf eine solche Probe stellt, die sie in keinem Falle bestehen kann. Um dies klar zu machen, will ich einige der in der Bibel erzählten Wunder untersuchen. Um nicht zu weit abzuschweifen, will ich mich auf die Wunder in den fünf Büchern Mosis beschränken; ich werde sie nach den Grundsätzen jener angeblichen Christen prüfen, also nicht als Gottes Wort und Zeugnis nehmen, sondern als den Bericht eines menschlichen Schriftstellers und Geschichtsschreibers. Hier haben wir zunächst ein Buch, was von einem rohen und unwissenden Volke uns überliefert ist, was zu einer noch roheren Zeit und wahrscheinlich nach den erzählten Tatsachen abgefasst ist; es wird durch kein gleichzeitiges Zeugnis bestärkt und ähnelt den fabelhaften Erzählungen, wie sie jedes Volk von seinem Ursprunge besitzt. Beim Lesen zeigt sich dieses Buch voll von Wundern und Ungeheuerlichkeiten. Es erzählt von einem Zustande der Welt und Menschen, der von dem gegenwärtigen, ganz abweicht; von dem Verlust dieses Zustandes; von Menschen, die beinah tausend Jahre alt geworden; von der Zerstörung der Erde durch die Sündflut; von einer willkürlichen Erwählung eines Volkes als des vom Himmel begünstigten; dies Volk sind die Landsleute des Verfassers; er berichtet von ihrer Befreiung aus der Knechtschaft durch die erstaunlichsten Ereignisse. Nun bitte ich, dass Jeder die Hand auf sein Herz lege und nach einer ernsten Überlegung erkläre, ob nach seiner Meinung die Wahrheit eines solchen Buches, was auf solche Zeugnisse sich stützt, nicht außerordentlicher und wunderbarer sein würde als alle die Wunder, die es berichtet? Dennoch müsste dies sein, wenn man es nach den oben dargelegten Regeln der Wahrscheinlichkeit zulassen will. - Was hier von Wundern gesagt worden ist, gilt ebenso von Prophezeiungen. In der Tat sind alle Prophezeiungen wirkliche Wunder, und nur als solche können sie als Beweise für die Offenbarung gelten. Überschritte die Vorhersagung künftiger Ereignisse nicht die Kräfte der menschlichen Natur, so wäre es verkehrt, die Prophezeiung als Grund für die göttliche Sendung und das himmlische Ansehen zu benutzen. Hieraus ergibt sich, dass überhaupt die christliche Religion nicht bloß im Anfange von Wundern begleitet war, sondern dass sie auch heutiges Tages von Niemand ohnedem geglaubt werden kann. Die bloße Vernunft vermag nicht, uns von ihrer Wahrheit zu überzeugen, und wen der Glaube bestimmt, ihr beizustimmen, der ist sich eines fortwährenden Wunders in seiner Person bewusst, welches alle Regeln seines Verstandes umstößt und ihn treibt, gerade das zu glauben, was der Gewohnheit und Erfahrung am meisten widerspricht.

 


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