Transzendent, transzendental
Transzendent und transzendental sind die Bezeichnungen für zwei verwandte, aber doch sehr verschiedene Begriffe. Beide kommen von lat. transcendo, überschreite, her. Das Transzendente ist dasjenige, was unsere Erfahrung überhaupt überschreitet, eine transzendente Erkenntnis sucht also das Wesen der Dinge, die Dinge an sich zu erfassen, was uns immer nur hypothetisch möglich ist. Kant (1724-1804) bezeichnet als transzendent daher dasjenige, von dem wir auch nicht einmal den Begriff hinreichend bestimmen können, weil ungewiß sei, ob ihm irgend ein Gegenstand in der Welt entspreche. Dazu rechnet er Aussagen über das Wesen der Seele, der Welt, Gottes usf. Hierher würden also alle metaphysischen und spekulativen Lehren zu rechnen sein. Vgl. Kr. d. r. V., S. 296; 643. Proleg. S. 105-106. – Ganz etwas anderes bedeutet transzendental. Kant bezeichnet als transzendental alle Erkenntnis a priori, die sich nicht mit den Dingen selbst, sondern mit der Erkenntnis derselben, sofern sie a priori möglich sein soll, beschäftigt. So ist Transzendentalphilosophie dasselbe wie Erkenntnistheorie innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft (vgl. Kr. d. r. V., Einleitung S. 1-16); transzendentale Ästhetik und Logik ist die Untersuchung unserer sinnlichen und begriffsmäßigen Erkenntnis, soweit sie unabhängig von der Erfahrung ist; transzendentaler Idealismus (der Gegensatz zum empirischen) ist die Lehre, nach welcher wir alle Erscheinungen insgesamt als bloße Vorstellungen und nicht als Dinge an sich anzusehen und demgemäß Raum und Zeit nur für sinnliche Formen unserer Anschauung, nicht aber für gegebene Bestimmungen oder Bedingungen der Objekte, für Dinge an sich zu betrachten haben. Der transzendentale Realismus sieht dagegen Raum und Zeit als etwas unabhängig von unserer Sinnlichkeit Gegebenes an, stellt mithin die äußeren Erscheinungen als unabhängige Dinge an sich vor. Der transzendentale Idealist ist also ein empirischer Realist, während der transzendentale Realist empirischer Idealist sein muß. Denn wenn die äußeren Dinge unabhängig von ihm existieren, so kann er nie wissen, ob irgend einer Vorstellung von ihm ein wirkliches Ding entspreche. Das Wirkliche, welches den Erscheinungen zugrunde liegt, bleibt mithin für Kant ein X. – Der Gegensatz zum Transzendentalen ist das Empirische, der Gegensatz zum Transzendentalen ist das Immanente. Es gibt transzendentale Begriffe und empirische Begriffe. Ein transzendenter Gott ist erhaben, gesondert von der Welt, außer und über ihr; ein immanenter Gott befindet sich in ihr, Vgl. Immanenz. – Durch seinen Begriff der transzendentalen Freiheit sucht Kant Determinismus und Indeterminismus zu. versöhnen. Die sittliche Freiheit soll mit ihrem Ursprung außer, mit ihren Wirkungen aber innerhalb der Reihe empirischer Bedingungen stehen. Die Wirkung wäre ihrer Ursache nach frei, als Erscheinung aber dem Kausalnexus und der Notwendigkeit unterworfen. Der Mensch hätte die Fähigheit, eine Kette von neuen Wirkungen hervorzurufen, ohne daß sein Wille kausal bestimmt wäre. Diese Auffassung ist jedoch künstlich und darum unhaltbar. – In der Mathematik versteht man unter transzendenten Zahlen im Gegensatz zu den algebraischen Zahlen (die Wurzeln einer Gleichung von der Form a[n]zn + a[n-1]zn-1 + … + a[1]z1 + a[0] = 0 sind) seit Leibniz (1686) solche irrationale Zahlen, „die durch keinerlei Gleichungen bestimmten Grades erklärt werden, vielmehr über jede algebraische Gleichung hinausgehen“. Vgl. Job. Tropfke, Geschichte der Elementarmathematik. Leipzig 1902. Bd. II, S. 161-163. Vgl. Freiheit, Determinismus, intelligibel.