Ein Führer
Aus der Fülle der Bewerber, die den Schinder nicht erwarten können, drängt sich einer vor. Er ist auf den ersten Blick der unwahrscheinlichste, wenn nicht die andern, die sich noch gedulden müssen, sich als unwahrscheinlicher herausstellen. Man soll nichts berufen. Max Geißlers »Führer durch die deutsche Dichtung des 20. Jahrhunderts«. Der Verleger, dessen Name preisgegeben werden muß — es ist die Firma Alexander Duncker in Weimar — sagt mit Recht:
Kein Volk darf sich rühmen, ein Werk dieser Art zu besitzen, das an Zuverlässigkeit und Größe der Anlage, oder auch nur der Idee nach, ähnlich wäre Max Geißlers Führer durch die deutsche Dichtung des 20. Jahrhunderts.
Der ›Brenner‹ zitiert unter anderen die folgende Stelle:
Heym, Georg »... Er war das Haupt einer Gruppe junger Berliner Dichter, die sich Neopathiker nennen. Zu ihnen gehören auch Verhaeren, Johannes V. Jensen, Whitman ...«
Ferner ergibt sich diese Perspektive:
Peter Altenberg
»Eine sehr üble Erscheinung auf dem deutschen Parnaß, die ein groteskes Spiel mit sich selbst und etwa dem Caféhauspublikum spielt, oder was auf seiner Höhe steht. Der Dichter als Karikatur. Aber allem Anschein nach aus raffinierter Berechnung. Bohémien in seinem Leben und Schaffen — ein Gaukler, der in Peter Hille einen Bruder besaß, zu dessen Karikatur er sich hinabarbeitete. Dabei vergißt er, das Hängekleidchen einer mitunter recht schlecht gespielten Kindhaftigkeit abzutun. Aber — warum denn nicht? ... So lang es Publikum gibt, das zu so etwas sich bekehrt und Literaturgeschichten-Schreiber, die über seine Dirnenfreundschaften und Dirnenseele sich entzücken ... warum denn nicht? Er steht sich besser bei dieser Sorte Bohème als in anderem Kostüm. Seine Dichtung ist unreif wie die Komödie seines Daseins, ein Mosaik von banalen Gemeinplätzen und Frivolitäten, und möchte Dirnenmoral auf den Thron setzen.«
Thomas Koschat
»In Schildereien, Kurzgeschichten und in zahlreichen Liedern aus seiner kärntnerischen Heimat .... hat er ein Denkmal sich errichtet im Herzen seines Volkes, im Herzen der Menschheit. Am 13. November 1912 trat er als Hofkapellensänger in den Ruhestand, Ehrenmitglied der Wiener Hofoper; 45 Jahre lang hat er als Führer des Opernchores gewirkt und zur Feier des Tages wurde sein Liederspiel ›Am Wörthersee‹ aufgeführt. Sechs Operndirektoren sah Koschat kommen und gehen. Ursprünglich für das Studium der Naturwissenschaft bestimmt; er wurde aber im Angesicht der Kärntenschen Wälder und Seen ein Sang er und Poet. In seinen 110 Werken rauschen vor allem die Quellen des Gefühls und Gemüts; in den meisten Fällen ist er Dichter und Komponist zugleich — ›Verlassen‹ ist die schmerzvollste und populärste Schöpfung K’s. Sie findet sich in seinem lustigen Liederspiel ›Am Wörthersee‹, ebenso ›Armes Diandle, tua nit wanen‹ ... Stürmischer Jubel umbrauste K., als er am Schlüsse des Abends in seiner Nationaltracht vor dem Vorhange sich zeigte ...«
Und mit so was lebt man auf einem Planeten!
Vgl.: Die Fackel, Nr. 381/382/383, XV. Jahr
Wien, 19. September 1913.