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Das Geschlecht

Kürzer kann ich bei derjenigen Sprachform sein, die das Geschlecht heißt und bei der Erlernung fremder Sprachen eine fast unüberwindliche Schwierigkeit bietet. Man sollte daraus, dass verschiedene Sprachen und selbst verschiedene Dialekte der gleichen Sprache nicht übereinstimmen in dem Geschlechte, welches sie den Dingen beilegen, die Lehre ziehen, dass Logik und Philosophie mit dieser Kategorie wenig zu schaffen haben. Was ist über die Bedeutung des Geschlechts nicht alles zusammengefabelt worden! Sicherlich ist ursprünglich die Unterscheidung zwischen den getrennten Geschlechtern der wirklichen Natur (Hengst und Stute, Mann und Frau) der Anlaß gewesen, dass man bildlich den Geschlechtsunterschied auch auf die übrigen Dinge übertrug. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass dabei eine üppige Phantasie tätig war. Jede geschlechtliche Bezeichnung eines Dings ist metaphorisch. Während aber alle Metaphern, durch welche die Sprache sich sonst bereichert, notwendig und nützlich waren und die neue Beobachtung mit Verwendung des alten Wortvorrats in die Sprache aufnahmen, mußte die Einteilung der Dinge nach Geschlechtern von jeher ein Luxus sein, ein Ballast.

Zur Mythologie der Sprache gehört also das Geschlecht der Substantive. Es ist natürlich und darum nicht mythologisch, wenn das dritte persönliche Fürwort für die beiden Geschlechter verschiedene Formen besitzt; auch hat die englische Sprache, nachdem sie den Ballast des Geschlechts sonst fast vollständig abgeworfen hat, die Trennung von "er" und "sie" beibehalten. In irgend einer Urzeit der Sprache mag es auch natürlich gewesen sein, die beiden Geschlechter einer Tierart mit verschiedenen Worten zu bezeichnen, nicht etwa nur mit verschiedenen Geschlechtsformen desselben "Worts. Es ist bezeichnend, dass diese verschiedenen Worte Tiere betrafen, welche als Haustiere dem menschlichen Interesse am nächsten standen. Die eierlegende "Henne" war von anderem Nutzen als der Hahn, die "melkende Kuh" von anderem Nutzen als der Stier usw. Immerhin mag es noch nicht Mythologie, sondern falsche Naturkenntnis gewesen sein, wenn sodann weniger intime Tiere bald dem männlichen, bald dem weiblichen Geschlechte zugeteilt wurden, wie bei uns der Spatz, die Meise. Natürlich war es wieder, wenn in einer späteren Sprachzeit nach der Analogie männlicher und weiblicher Endungssilben aus der Spatz "die Spätzin" gemacht wurde, was wohl zuerst dem Sprachgefühl als ein Scherz erscheinen mochte.

Wir kennen jedoch die Phantasie alter Zeiten zu wenig, um ebenso einfach erklären zu können, wie es zu der Aufstellung des schematischen und unnatürlichen dritten Geschlechtes kam, des sächlichen, und warum schließlich in vielen Sprachen die Einordnung jedes Substantivs unter diese drei Klassen notwendig wurde. Es ist aber ein Gesetz des Sprachgebrauchs geworden, dem sich z. B. die Griechen, die Lateiner und die Deutschen unweigerlich fügen mußten. Dieses phantastische Gesetz erinnert an die Gewohnheit altmodischer Künstler und Dichter, Dutzende von abstrakten Worten wie Treue, Liebe und Hoffnung zu Gottheiten zu erheben, trotzdem sie in der reichhaltigen Mythologie der Alten nicht vorkamen. Im Französischen wird die Göttlichkeit solcher Abstraktionen durch einen großen Anfangsbuchstaben angezeigt. Und dieser Vorgang berührt sich noch näher mit dem Aufkommen der sprachlichen Geschlechtskategorie, wenn wir erwägen, dass so ein abstrakter Begriff zu einem männlichen Gott oder zu einer weiblichen Göttin gemacht wird, je nachdem der Zufall der Sprachgeschichte ihn zugeteilt hat; ein deutscher Bildhauer wird den "Fleiß" als einen Jüngling darstellen, ein französischer als eine Jungfrau.