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Substantiv und Verbum

Auch zwischen Substantiv und Verbum scheint nach dem scheinbaren Tiefsinn mancher Sprachphilosophen ein tiefer Kategorienunterschied zu bestehen. Und auch meine Erklärung klingt vielleicht ähnlich, wenn ich sage: das Substantiv bezeichnet die Gesamtheit der Empfindung, die von einer Ursache ausgeht, das heißt es bezeichnet eben die Ursache, das Verbum aber bezeichnet eine Veränderung dieser Ursache in Raum und Zeit. Man achte nur auf die — ich will sagen — konkreten Verben, z. B. "der Baum blüht"; wieder beachtet die Sprache eine einzelne Empfindung, die sich aber vom Adjektiv ("der Baum ist grün") dadurch unterscheidet, dass wir eine Änderung, eine Entwicklung, eine Bewegung oder wie man es nennen will, wahrgenommen haben. "Es regnet" sagt auch durchaus nichts Anderes als das Substantiv "Regen", unter Umständen nichts Anderes als das Adjektiv "naß". Und wieder ist daran zu erinnern, dass ganz gewiß an vielen Dingen, den beweglichen zumeist, eben die Veränderung am meisten auffiel, dass darum diese Veränderung das sie Bezeichnende wurde und so diejenigen Substantive, die nicht Adjektive waren, eben Verben waren. Wohlgemerkt, zu einer Zeit, als die Kategorien noch nicht aufgestellt werden konnten, die in der Wirklichkeitswelt nicht sind.

Ich überlasse es Anderen, den Spuren nachzugehen, die die adjektivische Welt mit anderen "Kategorien" verbinden; für mich hat es immer etwas Adjektivisches, wenn Teilvorstellungen von einem Dinge "ausgesagt" werden. "Vierhändig" ist so ein Adjektiv, das ebenso hübsch durch: (der Affe) "hat vier Hände" ausgedrückt werden kann. Man sieht die Metapher deutlicher, wenn wir z. B. sagen: der Apfel hat ein rotes Ansehen, rote Backen, hat süßen Geschmack, hat den und den Geruch, anstatt: ist rot, süß usw.

Decken sich also die allgemeinsten Formen der Wirklichkeit, ihre Kategorien, schon in den deutlichsten Fällen nicht mit den Bedeteilen, den Kategorien der Sprache, wie soll es erst in den knifflichen Fällen der Verhältniswörter und Fürwörter werden? Und wie soll die Einheit der Formen in Wirklichkeit und Denken gerettet werden, wenn wichtige Kategorien der einen Sprache in anderen Kultursprachen fehlen? Und wie soll es werden, wenn die moderne Naturforschung endlich das Recht beansprucht, die Sprache so zu verbessern, wie sie durch künstliche Werkzeuge die Leistungen der Sinnesorgane verbessert hat? Wie wenn sie die künstlichen Sinnesempfindungen, wie wenn sie die Ergebnisse schwieriger Experimente sprachlich ausdrücken wollte? Wenn sie Licht, Wärme usw. als Bewegungen bewiesen und wahrgenommen hätte (wie schon lange vorher den Schall) und nun verlangte, dass das Adjektiv durchaus zum Verbum würde? Wo blieben dann die alten Kategorien des Aristoteles?

Doch selbst, wenn wir den vorläufig paradoxen Gedanken, die Zukunftssprache unseren verbesserten Sinnesorganen (Mikroskop, Teleskop, Mikrophon, analytischer Mechanik und mathematischer Analyse) anzupassen, auf sich beruhen lassen — selbst dann ist die alte Kategorienlehre nicht zu halten, nicht in der ursprünglichen Fassung und nicht in irgend einer Umdeutung.

Platon ist noch frei von ihr, was aber nicht sein Verdienst ist. Er hatte eben noch von den Redeteilen, die nach ihm aufgestellt wurden, keine rechte Vorstellung; darum allein faselte er noch nicht von den verschiedenen Kategorien des Seins und begnügte sich mit einer einzigen: der Idee; seine Ideen waren ihm so etwas wie Modelle alles dessen, was wir vorstellen können. Er war der Erzrealist, im Sinne der Scholastiker natürlich, und hätte, wenn er von Präpositionen gewußt hätte, irgendwo in Wolkenkuckucksheim auch eine Idee der Präpositionen angenommen. Seine Ideen waren ihm die Mütter, die Matrizen unserer Einzelvorstellungen; da er aber glücklicherweise noch nicht Grammatik gelernt hatte, so hatte wenigstens jede Vorstellung nur eine Mutter, eine Idee; seit Aristoteles, der schon Grammatiker war und Logiker dazu, konnte jede Vorstellung bis zehn solcher Mütter oder Kategorien haben.

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